Fundgrube 14.04.2019

2019, so far #1: Tiny Ruins, Botschaft, Jungstötter, E.B. The Younger und Lingby

Das Musikjahr 2019 ist bisher zwar mit unfassbar vielen tollen neuen Alben gesegnet, konträr dazu aber leider nicht mit viel Zeit, um über sie zu erzählen. Das wird jetzt nachgeholt. Die erste Folge von „2019 so far“ mit fünf großartigen Alben, die wir natürlich trotzdem gehört haben und keinesfalls unerwähnt lassen dürfen: Geht los!

Beginnen wir mit der Neuseeländerin Hollie Fulbrook und ihrem Projekt Tiny Ruins, das bereits seit Erscheinen des Debüts „Some Were Meant For Sea“ vor acht Jahren in unseren Herzen wohnt. Das inzwischen dritte Album „Olympic Girls“ (Marathon Artists / Soulfood) bewegt sich nun weg vom ganz reduzierten Folk; Fulbrook öffnet sich vielmehr dem Bandkonzept und dem Dream Pop. Weil sie aber mit einer so wundervollen Stimme gesegnet ist, steht ihr auch die reichere Instrumentierung ganz famos; mehr noch, es hebt ihr Stimmvolumen über das fragile Hauchen ihres bisherigen Oeuvres in Sphären einer Hope Sandoval, so kraftvoll und gleichzeitig zauberhaft klingt sie auf „Olympic Girls“. Ein großer Vergleich, ja, aber Stücke wie der Titeltrack oder „Holograms“ müssen sich vor dem inspirierenden Werk Mazzy Stars nicht verstecken. Wundersam versponnene Melodien, liebevolle Arrangements: Eines der bisher hingebungsvollsten Alben des Jahres, das uns Tiny Ruins nur umso mehr hochpreisen lässt. (erschienen am 1. Februar)

Nicht minder wunderbar: Die Supergroup Botschaft, bestehend aus ehemaligen Mitgliedern von The Robocop Kraus, Tusq, Saboteur und Station 17; man könnte sagen: Der qualitativen Speerspitze des hiesigen Indie von vor 15 Jahren. „Keine deutsche Band macht momentan Musik, die auch nur entfernt an Botschaft erinnert“, schreibt die Presse-Info, und das stimmt, wenngleich es auch daran liegen dürfte, dass solche Musik im Jahr 2019 auch gar nicht mehr gebastelt wird. Soft Rock, Yacht Rock, glamourös und unglaublich intelligent getextet - das findet man allenfalls vergleichbar bei einem Albrecht Schrader. Zur Hochzeit der „Müssen alle mit“-Sampler wären Botschaft eine der beliebtesten Bands gewesen - heute wird „Musik verändert nichts“ (Tapete / Indigo) wohl die Nische zelebrieren müssen. Ich sage dennoch: Wenn man mit so viel Finesse ans Werk geht, so locker-leichte Popsongs in unser Ohr drapiert, dann verdient man, angehört und gern gehabt zu werden, egal, welches Jahr es ist und was die Generation Spotify lieber mag. (erschienen am 8. Februar)

Fast genau so lange ist es her, dass die großartigen Midlake das Licht der Welt erblickten. Und auch schon wieder seit fünf Jahren liegt die Band auf Eis. Ihr Sänger Eric Brandon Pulido tat sich infolgedessen erst mit so illustren Musikern wie Ben Bridwell von Band Of Horses oder Fran Healy von Travis zusammen und veröffentlichte ein Album unter dem Namen BNQT. Jetzt hat er als E.B. The Younger eine Platte veröffentlicht, die auf sehr persönliche Weise seinen Platz in der Welt, vergangene Entscheidungen (gute wie schlechte) und Orte, an denen er sich aus verschiedentlichen Gründen bewegte, reflektiert. „To Each His Own“ (PIAS / Bella Union / Rough Trade) ist eine Songsammlung zwischen Soft Rock, Country und Folk, bei weitem nicht so versponnen wie zu Midlake-Zeiten, sondern reichlich geerdet und melodieverliebt, und trotzdem mit Pulidos unverwechselbarer Versiertheit gesegnet. Das Ganze klingt sehr liebevoll und warm, durchaus auch recht poppig und eingängig, aber das war eine Seite, der sich Midlake in ihrem späten Schaffen auch geöffnet hatten - somit schreibt Pulido das Werk seiner Band auf konsequente wie kathartische Weise fort. Schön! (erschienen am 8. März)

Fabian Altstötter ist Sänger bei den einst stark gehypten Sizarr, die neben jugendlicher Unbekümmertheit immer schon einen sehr edlen, ästhetisch anspruchsvollen Approach an Popmusik zeigten und deswegen auf nunmehr zwei Alben von der Kritik über den grünen Klee gelobt wurden. Weil aber alles in Bewegung ist und manche Anzüge einem zu klein werden, hat er sich unter dem Projektnamen Jungstötter nun einer deutlich reiferen, samtig dunklen Lesart gewidmet. „Love Is“ (PIAS / Rough Trade) klingt mit angejazzten Phrasen und trotz nur weniger Instrumente cineastisch ausladenden Arrangements introspektiv sinnierend, sehr romantisch und warm, getragen von Altstötters sonorer Stimme. Man imaginiert einen dunklen Raum, nur spärlich illuminiert von dunkelroten Kerzen, eine Bar und Ohrensesseln: Der edle Touch der zehn Songs, die deutlich spürbare Intimität und die alles einnehmende Melancholie zeugen von einer stark potenzierten Klasse im Songwriting, wenngleich es vor allem das Gesamtstimmungsbild von „Love Is“ ist, was nachhallt, und weniger die Stärke einzelner Songs. Ein wunderbares, ein großes, ein umarmendes Album. (erschienen am 1. Februar)

Und dann war da noch das dritte Album von Lingby, die mit ihrem „Like A Stone“ vom 2015er Album „Twist And Turn“ eine der unterschätztesten Indiepop-Hymnen der vergangenen Jahre vorgelegt hatten, bevor es erst einmal ruhig wurde um die Kölner Band. Zeitlos schöne Musik, im Kern wie gesagt Pop, sich aber mit dem Besten aus Folk und Indierock speisend: So viel hat sich da in der Zwischenzeit gar nicht verändert, wenngleich der Synthesizer auf „Silver Lining“ (Klaeng Records) deutlich mehr Präsenz erhält. Doch im Kern sind Lingby klanglich immer noch die Alten, und dieses Gerüst aus dem verletzlichen Gesang der Schwestern Judith und Carmen Heß und dem streckenweise durchaus sperrigen, in den wunderbarsten Momenten Get Well Soon-schwelgerischen, mal stark introvertierten und mal wunderbar ausladenden Konstrukten aus Indierock, Folk und Pop (letzteres insgesamt aber nur wenig auf „Silver Lining“, ins Ohr wie „Like A Stone“ geht hier kaum eines der neun neuen Stücke) werden dem Thema der Platte, einem schweren menschlichen Verlust, der die überwältigende Wucht des Lebens schmerzvoll greifbar macht, vollends gerecht. (erschienen am 22. Februar)


Text: Kristof Beuthner