Rezensionen 15.03.2017

Lingua Nada / Paan - Split [Kapitän Platte / Cargo Records]

Leipzig in Sachsen – Sehnsuchtsort der jungen freischaffend Agierenden, der vom Mietpreis Verdrängten Großstädter*innen, neuerdings auch der auf bezahlbare Eigentumswohnung schielenden, einer gewisser Borstigkeit ihrer zukünftigen Heimatstadt aber nicht abgeneigten Wohlverdienenden; gelobtes Land voller selbstverwalteter Räume für Kunst, klandestiner Kellerkonzerte und sonstiger spendenbasierter Kulturveranstaltungen. Viel los hier. Aber bei dem Versuch nur drei Leipziger Bands zu nennen, wollen einem doch immer nur Die Prinzen, die Ego-Trottel Die Art und vielleicht noch irgendeine dritte Band, die man damals mal bei irgendeinem Battle of the Bands im Jugendklub oder den Räumlichkeiten der örtlichen FFW gesehen hat. Doch die Sachlage ist gar nicht so hoffnungslos, so dämmert es, hinsichtlich des Releases der Lingua Nada/Paan-Split-EP.

Ich bin geneigt die jugendliche Hyperaktivität dieser beiden Bands aufdringlich und nervig zu finden. Dann aber wiederum erfreut mich die Spielfreude und macht es Spaß, sich diese ganzen musikalischen Verweise um die Ohren hauen zu lassen. Der naheliegendste Vergleich für Lingua Nada wären wohl die über allem thronenden Tera Melos, da beide es verstehen, zwischen den ganzen mathematischen Abstraktionen und dem Effektgeballer strand- und ohrwurmtaugliche Hooks einzubauen, wenn die auch allzu schnell – aber immerhin konsequent – wieder von massiver Gitarrenpedal- oder Schlagzeugarbeit abgelöst werden und auch nicht nochmal wieder kommen, wenn ich mich richtig erinnere. So war das schon auf Lingua Nadas EP »Shapeshift« [lala Schallplatten] und so läuft das auch bei den fünf neuen Songs der Split-EP, nur dass die Melodien diesmal noch mehr nach der Sommervariante von Shoegaze und Dream Pop klingen. Dann und wann tritt die Band übrigens auch unter dem Namen moshi moshi supermagic auf. Welche Bewandtnis es damit hat, ist dem Autor aber bisweilen unklar. Auf den Konzerten hat die Musik in beiden Fällen gleich funktioniert, außer dass es manchmal mehr – zugegeben wirklich schöne – Teenage-Sentimentalitäten in Form von Weezer-mäßigen Refrains gab, manchmal weniger davon und dafür ausuferndere effektgestützte Instrumental-Spastiken.

 

 

Die zweite Seite der EP haben Paan bespielt, die man auch gut finden kann und vor allem als Reformprogramm des Screamo-Genres, vor allem im deutschsprachigen Kontext, ganz interessant sind. Typischen Screamo-Momente sind vorhanden und können durchaus befriedigen bzw., je nach persönlicher Voreinstellung, peinlich berühren. Abseits dieser Teile sind Paans drei Songs ungefähr genauso versatzstückreich und wechselhaft wie die Songs der A-Seite. Die vielen postrockhaften Bergfahrten wirken da eher zäh; andere, vielleicht ebenso beliebig eingestreut wirkende Elemente, wie etwa der Metal-Chor am Ende von »Großteig« hingegen ingeniös.

 

Noch ein Nachtrag zugunsten der Leipziger Bandszene: So schlimm ist es hier nicht; vielleicht folgen diesem Artikel noch ein paar mehr, anhand derer das belegt wird. Es zeigt sich auch schon an den anderen Bands, in denen die Lingua-Nada-Mitglieder spielen. Adam ist momentan noch Aushilfsbassist bei Dolphins und den Maserati-Freunden jeffk tätig, Valek spielt bei Tuggy, die Bass-Slapping wieder akzeptabel machen und Michel hat als Sodalane mal Giraffes? Giraffes! nachgeeifert, macht mittlerweile aber offenbar mehr Gitarren- und Vokal-Ambient-Musik.

 

Die Lingua Nada/Paan-Split-EP erscheint am 17.03.2017 über Kapitän Platte als 7"-Schallplatte in einer Auflage von 250 Stück.

 

Lingua Nada sind derzeit mit der Dresdner Shoegaze-Band Jaguwar auf Europtour und werden die letzten drei Tage Konzerte dieser in deutschen Städten spielen:

16.03.17: Hamburg - Gängeviertel

17.03.17: Bielefeld - Forum

18.03.17: Berlin - ZGK

 

Text: Aiva Kalnina