Rezensionen 22.03.2017

Mutter - Der Traum vom Anderssein [Die Eigene Gesellschaft]

»Der Traum vom Anderssein« heißt das neue Mutter-Album, welches am kommenden Freitag über das bandeigene Label Die Eigene Gesellschaft erscheint und auf welchem die Band im Kontrast zum Vorgängeralbum »Text und Musik« und wie sich bei den letzten Konzerten schon andeutete, wieder losgelöster arbeiten, die acht Songs des Albums weiter ausufern lassen. Gesang und Spiel sind an vielen Stellen wieder freier und unmittelbar expressiver als zuletzt, verfallen andererseits doch zu oft zu einfachen Lösungen.

Tatsächlich hört man direkt beim Eröffnungssong »Glauben nicht wissen« wieder eine wütende Befremdung heraus, wie sie in früheren Mutter-Stücken so bestechend war und das Stück klingt mit Florian Koerner von Gustorfs (auf dem ganzen Album) unnachgiebigem und trockenem Schlagzeug und den Noise-Exzessen der restlichen Mitglieder*innen so schön gestört wie etwa das sehr frühe Album »Ich schäme mich...« es tat, wobei Max Müllers Texte stark hinterm Instrumentellen zurücktreten und hier und auch noch im zweiten, doom-artigen Stück »Menschen werden alt und dann sterben sie« nur fragmentweise zu verstehen sind. Wo das hier in seiner Fremdartigkeit zuweilen spannend ist, penetriert einen an anderen Stellen doch die Frage, warum das Versteckspiel mit der Stimme betrieben wird – namentlich in den letzten beiden Stücken »Geh zurück« und »Kravmann«, wo Müllers Gesang von autotune-haften Effekten verwischt wird.

Es gibt hier also gute und schlechte Unklarheiten und Verwirrungen. Der Schizo-Künstler August Priebe hat mich gestern, in anderen Zusammenhängen aber, darauf aufmerksam gemacht, dass es doch verlogen sei, sich hinzustellen und eine Identifikationsfläche abgeben zu wollen. Das ist von der Band Mutter sicherlich auch nicht gewollt, aber es gibt da einige bedenkliche Moment auf »Der Traum vom Anderssein«. Das titelgebende Stück etwa endet in einer klaviergetriebenen Elegie, in der die Losung aus dem Titel wieder und wieder wiederholt wird als sollte jetzt alle mitsingen und in gleichgeschaltetes Mitfühlen verfallen; dabei haben grade Mutter es sonst meistens geschafft, eng am Kitsch sich zu bewegen ohne dabei tatsächlich ins Pathetische zu verfallen – wahrscheinlich vertragen sich Einsichten ins menschliche Zusammenleben, wie Max Müller sie textet, schlicht auch gut mit solchen Gesten, sodass das oft funktioniert hat. Im Song »Der Traum vom Anderssein« aber geht das aber eben nicht auf. Dabei hat er in der ersten Hälfte doch den schönsten Refrain des Albums (»weil du weißt es ist da / und es fühlt sich so gut an / der Verzicht leider nicht / weil man ihn nicht steuern kann«). Auch im Hit des Albums »Glorie« sollen das Klavier und die singalong-artigen Parts ganz offenbar mitreißend sein, jedoch gibt es in dem Song noch genug Bodenlosigkeiten und der Song wird nicht reduzierbar auf eine kleine Aussage.

 

 

Anderereits schaffen es Mutter auch auf »Der Traum vom Anderssein«, wie sie schon auf anderen Album auszeichnete ermutigend zu klingen ohne dass das anbiedernd wirkt – etwa in »So bist du«, einem Stück, das vielleicht unangenehm heilsam daherkommt und dramaturgisch ähnlich funktioniert wie das beschriebene »Der Traum vom Anderssein« oder das später folgende »Fremd«, aber dem ich mich gerne hingebe. Das könnte daran liegen, dass der Song näher klingt und die Studioarbeit weniger aufdringlich als an manch anderen Stellen der Platte wirkt. Oder daran, dass hier die Dinge noch offen bleiben – etwa ob die Zeile aus dem Titel Vorwurf oder Versprechen sein soll. Das Album »Der Traum vom Anderssein«, das letzten Endes kein schlechtes ist, lässt eine*n wohl zerrissen zurück – zwischen neuen alten Maschinen und abgewetzten Werkzeugen: Mutter klingen wie eine Zusammenfügung verschiedener Phasen der Band, mit von frühen sludge-mäßigen zu späteren lied-orietierten reichenden Elementen, wobei man im Unklaren darüber bleibt, wieso das alles so sein muss, wie es auf dem Album dasteht. Doch eigentlich sind solche Unaufgelöstheiten ja gut.

 

»Der Traum vom Anderssein« erscheint am 24.03.2017 über das bandeigene Label Die Eigene Gesellschaft.

Live zu sehen ist die Band Mutter an drei Wochenenden im April, Mai und Juni.

 

28.04.2017: Hamburg – Nachtasyl

29.04.2017: Berlin – Festsaal Kreuzberg

19.05.2017: Ludwigshafen – Das Haus

20.05.2017: München – Milla Club

23.06.2017: Erfurt – Museumskeller

24.06.2017: Köln – Artheater

 

 

Text: Aiva Kalnina