Jetzt kann man fast schon Stunden zählen: Am Freitag läd Glitterhouse Records wieder zum Orange Blossom Special nach Beverungen ins Weserbergland ein. Mit noch mehr Ideen, noch mehr Programm, einem absolut grandiosen Bandaufgebot und in diesem Jahr sogar schon einem Donnerstag. Ach - und einem besoffenen Einhorn.
„Nothing this beautiful“ - so lautet dieses Mal das Motto vom schönsten kleinen Open Air Deutschlands, und das ist ja nun wohl mal in jeder Hinsicht zu unterschreiben. Das Einhorn als Mottotier stand schon im letzten Jahr fest - dass es kein romatisch-verkitschtes plüschiges Regenbogen-Hipster-Fabelwesen sein würde, hätte da eigentlich schon klar sein müssen, aber das finale Artwork des Festivals ist wirklich eine bemerkenswerte Motto-Antithese. Vollkommen desolat läuft ihm grüner Schleim aus den Mundwinkeln, die Nacht war hart wie das Leben an sich, nothing this ugly möchte man darunter schreiben.
Aber wenn man bedenkt, dass das OBS so häufig schon die perfekte Medikation für innere Gefühlslagen wie diese darstellte, kommt es doch wieder hin. Es besteht eigentlich kein Zweifel daran, dass das Einhorn am Sonntagabend wieder strahlt. Muss es! Denn wer aus dem Grau des Alltags in ein erhebend-familiäres, liebevoll-eskapistisches Festivalwochenende startet, der strahlt am Ende. Das ist ein Gesetz. Und das tritt in Kraft, sobald man mit dem gepackten Auto (oder im Zug, mit dem Fahrrad oder einem anderen Verkehrsmittel seiner Wahl) den heimischen Rand des Wahnsinns verlässt, um sich drei Tage lang in die tröstlich-wunderbare Gesellschaft von brillant ausgewählten Bands, unglaublich freundlichen Menschen und einem mit ganz viel Herz und Hingabe organisierendem Team begibt.
Das ist so, Jahr für Jahr, und dieses Jahr wieder ganz besonders. Denn das Angebot an Bands, die von Freitag bis Sonntag die kleine Bühne unter dem Kronleuchter im Glitterhouse-Garten bespielen, ist qualitativ so hoch wie lange nicht. Das fängt schon mit den drei Tagesheadlinern an. Da wäre zunächst Blaudzun alias Johannes Simons aus Holland, dessen Karriere gerade durch seinen Albumzyklus „Jupiter“ noch mehr explodiert und der mit seinem großgestigen Folkpop derzeit wohl neben Die Nerven Glitterhouses bestes Pferd im Stall ist. Dicht gefolgt natürlich von den Schweden von Immanu El, die 2012 schon einmal hier waren und deren aktuelles Album „Hibernation“, für das das Quartett satte fünf Jahre und unendlich viele Nerven brauchte, bis es im Januar bei Glitterhouse (es kommt zusammen, was zusammen gehört!) erschien. Elegischer Postrock, himmlische Stimmen - das wird ein fulminanter Abschluss am Sonntagabend. Aber wir dürfen natürlich auch AnnenMayKantereit nicht vergessen, die ganz genau wissen, auf welchem Festival man sich am meisten willkommen, am höchsten geschätzt und am sorgsamsten beachtet fühlt - die Größe der Band ist seit ihrem ersten Auftritt in den Umbaupausen hier vor drei Jahren ins Unermessliche gestiegen, aber zu guten Freunden kommt man eben gern zu Besuch, darum sind die Kölner auch 2017 wieder hier, und das ist mehr als nur ein kleiner Coup von Rembert Stiewe und seiner Mannschaft.
Mit den Giant Rooks ist in diesem Jahr noch so eine Band dabei, die gerade von klein zu ganz groß wächst. Dass sie wie einst AMK zwei Umbaupausen bespielen und nicht auf der Hauptbühne stehen wird, zeigt, dass Glitterhouse mit ihren Highlights nicht selbstzweckhaft verfahren, sondern den ganz besonderen Bands die Plattform (in diesem Fall die Mini-Bühne am hinteren Rand des Geländes) bietet, die ihnen und ihren Zuschauern am besten steht. Ganz bestimmt gut aufgehoben werden dort Jörkk Mechenbiers Schreng Schreng & La La mit ihrem schrammeligen Rocksound sein. Mechenbier war im letztes Jahr mit seiner Band Love A schon hier und es gefällt ihm so gut, dass er Rembert Stiewe und Simon Baranowski auch bei den Anmoderationen der anderen Acts zur Seite stehen wird, während er mit seinem Nebenprojekt auf die kleinere Bühne ausweicht. Und zum Freitag gibt es für die, die sich von der Atmosphäre im Garten allein nicht verzaubern lassen wollen, die Zaubershow von Siegfried & Joy auf der Mini-Stage. Letzterer Teil des Duos, The Great Joy Leslie, war letztes Jahr schon alleine hier und steht für allerhöchste Unterhaltsamkeit. Das wird fein!
Wem zwei Bühnen nicht reichen, der darf sich auf zwei ganz besondere Acts freuen, die im Zeitplan (bzw. im Bühnen-Belegungsplan) unter „mal hier, mal dort“ geführt werden. Das sind die wunderbar ehrlichen, tiefgründig-zupackenden Rumpel-Folker Ove, die zum Teil aus Mitgliedern von den im Glitterhouse-Garten altbekannten Torpus & The Art Directors bestehen und den früh anreisenden OBSlern sogar am Donnerstag schon den Abend versüßen. Und dann ist da natürlich der mächtige Rocco Recycle, der das Instrumentarium für seine Version von Rock’n’Roll aus Müll selber bastelt.
Den Rest des Lineups zu ranken fällt schwer bzw. ist unmöglich. Harte und vor allem laute Kost gibt es von Odd Couple und Heim, deutschsprachigen Diskurs-Punk von Hendrik Otremba und Messer, einer der derzeit wichtigsten hiesigen Bands, deren Gesellschaftskritik durch die Roughness des Sounds einer gewissen Theatralik und Kunstfertigkeit nicht entbehrt. Eher obskur wird es bei Teksti-TV 666 aus Finnland zugehen, die mit satten fünf E-Gitarristen und finnischen Texten eine in jeder Hinsicht faszinierende Suppe aus Krautrock, Shoegaze und Punk kochen werden.
Ganz groß vertreten ist wie gewohnt auch die Folk-, Blues-, Country- und Americana-Fraktion, die von den großartigen Wintersleep aus Kanada angeführt werden. Louis Berry spielt den Bluesrock den er kriegt und ist neben dem OBS sonst nur beim Hurricane/Southside-Zwilling in Deutschland zu sehen. Wenn das seine beiden Bühnen sind, darf davon ausgegangen werden, dass da Großes im Gange ist. The Builders & The Butchers, die das Festival am Freitag eröffnen, waren schon einmal da; ihr herrlich zupackender Folk hat mit Schönspielerei nur am Rande zu tun, das wird ehrlich und emotional. The Desoto Caucus aus Dänemark haben Heimspiel beim OBS; der New Yorker Steve Waitt wird den oben genannten Genres noch eine gute Portion Soul hinzufügen; das Duo Wayne Graham (benannt nach den Großvätern der beiden Bandmitglieder) steht für grandiosen Alternative-Country und die Iren von John Blek & The Rats verneigen sich vor der großen Songwriting-Kunst eines Woody Guthrie oder eines Neil Young. Julia Jacklin ist derzeit in Americana- und Country-Kreisen durch ihre trotz ihres jungen Alters bemerkenswert lebensweisen Texte in aller Munde, und die schwedische Glitterhouse-Resident Christine Owman sorgt für die Psychedelik im Folk, die im letzten Jahr auf so herzerwärmende Weise Josefin Öhrn & The Liberation verkörpert haben.
Und dann gibt es ja noch die Indie-Darlings von Gurr und die Art-Pop-Formation Yes We Mystic, die beide auf dem vergangenen Reeperbahn-Festival in Hamburg restlos überzeugten, den Schweizer Songpoeten Faber und den Norweger Moddi, der die Ungerechtigkeiten dieser Welt nach eigener Anschauung in faszinierendem Songmaterial aufarbeitet. Und der obligatorische Surprise Act am Sonntagmittag darf natürlich auch nicht fehlen.
Dazwischen, daneben, dabei? Gibt es wieder so viel zu entdecken: Stadtführungen, Reit-Schnupperkurse, den Luftgitarren-Verleih, Lauftreffs, Yoga, Boule, Meet & Greets, ein Upcycle-Projekt, einen Mitmachzirkus für Kinder (!) und Vergünstigungen in der nahen Weser-Therme für alle die, die dem Festivaltrubel mal für einen Moment entfliehen wollen. Und der hochgelobte Lachs-Burger, der im vergangenen Jahr unsere Festival-Food-Challenge gewinnen konnte - der ist natürlich auch wieder dabei und wird alles geben, um seinen Titel zu verteidigen.
Long story short: Das wird genial, großartig, fantastisch, intensiv, erhaben und tierisch erholsam für die Seele. Natürlich ist das Festival ausverkauft, aber vielleicht springt ja noch jemand ab, also haltet in eigenem Interesse die Äuglein offen. Wir sind natürlich mittendrin und berichten euch nächste Woche haarklein, was wir alles erlebt haben. Natürlich nicht ohne euch hier nochmal den Zeitplan zu präsentieren.
Freitag, 2.6.2017
Hauptbühne
17:00 - 18:00 The Builders & The Butchers
18:25 - 19:25 Steve Waitt
19:50 - 20:50 Odd Couple
21:15 - 22:15 Louis Berry
22:50 - 23:55 AnnenMayKantereit
Mini-Bühne
19:25 - 19:50 und 20:50 - 21:15 Siegfried & Joy
Samstag, 3.6.2017
11:30 - 12:30 Wayne Graham
12:55 - 13:55 Christine Owman
14:20 - 15:20 John Blek & The Rats
15:50 - 16:50 Messer
17:20 - 18:25 Moddi
18:55 - 20:00 Teksti-TV 666
20:40 - 21:50 Wintersleep
22:30 - 23:45 Blaudzun
Mini-Bühne
15:20 - 15:50 und 16:50 - 17:20 Schreng Schreng & La La
Sonntag, 4.6.2017
11:30 - 12:30 Surprise Act
12:55 - 13:55 Gurr
14:20 - 15:30 The Desoto Caucus
16:00 - 17:10 Faber
17:40 - 18:50 Julia Jacklin
19:20 - 20:30 Heim
21:00 - 22:10 Yes We Mystic
22:40 - 23:50 Immanu El
Mini-Bühne
17:10 - 17:40 und 20:30 - 21:00 Giant Rooks
Text: Kristof Beuthner