Rezensionen 10.10.2018

PeterLicht - Wenn wir alle anders sind [Tapete / Indigo]

Lang, lang ist’s her seit PeterLicht der Gesellschaft mit seiner präzise-grotesken, zwischen Dada-Lyrik und herzerwärmendem Aufrührertum schwankenden Pop-Spielart zuletzt den Spiegel vorhielt. Selten hat sie aber ein Album wie „Wenn wir alle anders sind“ so gebraucht wie jetzt.

Ja, der Typ, der auf dem Sonnendeck ist wenn nicht hier, der sein iPhone an der Biegung des Flusses begrub; der wusste, dass wer überhaupt nicht entspannt, eigentlich ja schon tot ist und den Wolf im Fuzzi-Pelz zum Leben erweckte - aber mit Songs wie „Alles was du siehst gehört dir“ oder „Neue Idee“ auch so dringliche wie wunderschöne Popstücke mit unmessbarem Mehrwert erdachte, ist wieder da. Und beginnt sein erstes Album seit sieben Jahren mit der Zeile „Erst wenn der letzte Chips gegessen ist, werdet ihr sehen, dass man Chips nicht essen kann“. Das zweite Stück heißt „Candy Käsemann“. Und dann gibt es die erste nicht zwischen Dadaismus und Kunstlyrik versteckte Ohrfeige: „Emotionale, auf zum letzten Verzicht! Die hinterfotzigen Systeme kommen jetzt ans Licht!“ PeterLichts Interpretation der „Internationale“, dieses großen Kampfliedes der Arbeiterbewegung, ist eine dieser neuen Hymnen, von denen der Künstler möchte, dass man sie singt; ein geniales Stück, das absolut jeden, der sich auf dem so offenkundig falschen Weg befindet, abwatscht mit tätowierfähigen Zeilen wie „Blutsverwandte und Benässte, nässt euch ein und seid stolz / auf eure richtigen Pigmente, ihr seid das Holz auf dem Weg, auf dem ihr geht“. Dass die größte Geißel dieser Zeit der Mensch höchstselbst ist, wird auf „Menschen“ deutlich, das vor all den Wichtigtuern zu kapitulieren scheint, all den Meinungsinnehabern und Plänemachern und dem Scheitern an deren Weltverständnis, das sie so starrköpfig rennen lässt, ohne dass sie irgendwo ankommen. Das „Kontolied“, das „Umentscheidungslied“ und das „Liebeslied von unten“ - Hastewasbistewasse, chronisch Unschlüssige, selbstverliebte Selbstoptimierer, sie alle sind die Typinnen und Typen aus dem Albumtitel, die mit „wir“ so beschrieben werden, dass man sich beim selbst an die Nase fassen ertappt. Denn man muss kein intellektueller Potenzprotz sein, um aus PeterLichts Betrachtungen zu schließen, dass sie - oder wir, wenn wir so sind, wie PeterLicht uns zu sein befürchtet - das Leben miteinander nicht besser, sondern bloß komplizierter machen. Was die Frage beantwortet, was denn nun ist, wenn wir alle anders sind. Aber dieses Album ist kein Plädoyer für die große Gleichschaltung: Der große Krieg, den PeterLicht zum Abschluss beschreibt, ist offenkundig der gegen uns selbst, unsere übersteigerten Bedürfnisse und obskuren Ängste, unseren Fatalismus und unsere Geltungssucht, den Hedonismus und Egoismus, der uns hat vergessen lassen, wie wichtig eine gute Gemeinschaft ist, in der wir alle auf natürliche und gute Weise anders sein dürfen, und trotzdem am Leben bleiben - weil das anders sein nichts mit besser und wichtiger sein zu tun hat. In diesem Sinne: „Ich glaub, wir haben was falsch gemacht - wir müssen uns wieder umentscheiden“.


Text: Kristof Beuthner