"Egal, wo man hinschaut: Kein Jahresrückblick für 2015 kommt ohne das Fazit aus, dass dieses Jahr ein besonders schlimmes gewesen ist.", schrieben wir eingangs unserer letzten Jahrescharts. Wer hätte da gedacht, dass 2016 noch viel schlimmer werden würde?
Doch: Halt. Wir wollen uns an dieser Stelle eigentlich insofern gar nicht an derlei Konstatierungen beteiligen, weil es a) schon so viele andere gesagt haben und b) diese kleine Jahresrückschau nicht von den Schrecklichkeiten handeln soll, die das vergangene Jahr 2016 für uns bereit hielt. Sie soll nicht all die toten Künstler betrauern, die uns im vergangenen Jahr verloren gegangen sind, soll nicht über die Politik motzen und politische Gesinnungen, und nein, sie soll auch nicht in den Januar hinein orakeln ob des Grauens, das uns von überm großen Teich wohl erwartet. Nein: Diese kleine Jahresrückschau hier ist ausschließlich der Großartigkeit der schönsten Nebensache der Welt gewidmet. Der Musik. 30 Platten voll mit schöner Musik.
Denn die hat es gegeben, auch wenn selbst hier nicht wenige der festen Überzeugung sind, das Jahr 2016 sei musikalisch ein reichlich niveauarmes gewesen. Man muss eben suchen! Wo bleibt da die Herausforderung? Und dann reißt halt vielleicht mal niemand einen neuen Trend auf, dann rettet halt vielleicht mal niemand die Popmusik, dann hält vielleicht nicht die neue Supergroup das, was sie versprochen hat. Dafür kommen alte Helden mit neuen Alben um die Ecke, die uns daran erinnern, warum wir sie einst zu eben jenen auserkoren haben. Dann machen liebgewonnene Bands und Künstler plötzlich etwas völlig anderes wenn sie beginnen, über die Liebe zu erzählen. Dann ist da vielleicht trotzdem an diesem einen kalten Abend dieser eine Typ mit der Gitarre aufgetreten, der uns in diesem Moment in einem kleinen Club bei einem nicht mal kalten Bier das Leben so erklärt hat, dass wir es verstanden haben. Für diesen einen Moment.
Und lehrt uns die Kälte dieser Welt nicht, dass wir umso mehr die goldenen, die schönen Momente schätzen und einrahmen müssen, weil niemand so recht weiß, ob noch deren viele auf uns warten? Ist es nicht so, dass wir manchmal und umso dringlicher den temporären Ausstieg aus der Schnelligkeit und dem Chaotizismus dieses Lebens brauchen, und stimmt es nicht, dass sich das mit dicken Kopfhörern und dem liebsten Menschen im Arm am besten gestalten lässt?
Die hier folgenden 30 Platten sind für solche Momente verantwortlich gewesen im Jahr 2016, und sie bilden 30 eindrucksvolle Beweise dafür, dass 2016 keinesfalls nur schlecht gewesen sein kann. Und weil wir euch direkt im Anschluss an diese Liste unter die nächstbesten Kopfhörer schicken wollen, weil es da so tröstlich und schön ist, wartet nach der Bekanntgabe unserer Nummer 1 eine Playlist mit den zehn besten Songs unserer Top 10 auf euch.
Wir danken euch für eure Unterstützung im vergangenen Jahr und freuen uns auf ein klangvolles 2017.
Eure Nillsons.
Platz 30: Muncie Girls - From Caplan To Belsize

Ohrwurmplatte. Nein: OHRWURMPLATTE! Herzlich Willkommen zu einem ganz vortrefflichen Einstieg in die Top 30. Die Muncie Girls, die gar keine All-Girl-Band ist, mit Lande Hekt aber eine überaus umtriebige wie sympathische Frontfrau hat (sie veröffentlichte 2016 auch mit The Fairweather Band ein Album), schütteln sich so herrlich zupackende Powerpop-Songs aus dem Ärmel, dass man zeitweilig daran denkt, dass so die weibliche Version von Nada Surf klingen könnte. Doch dazu liegt das Herz der Briten zu sehr im Punk: Songs wie „Respect“ oder „Gone With The Wind“ tragen den unbedingten Willen in sich, die Zustände nicht so hinzunehmen wie sie sind. Sondern dagegen aufzustehen. Mit unbändiger Wucht.
Platz 29: Nada Surf - You Know Who You Are

Ach, die alten Helden. Dabei sind Nada Surf inzwischen ja tatsächlich schon eine ganze Zeit lang „die alten Helden“, und immer mehr sind sie das nun auch optisch: Matthew Caws ist trotz seiner nach wie vor jungenhaften Stimme mit seinem Publikum gealtert, und die Falten unter Daniel Lorcas nach wie vor imposanten Dreads sind auch mehr geworden. Trotzdem klingt auch „You Know Who You Are“ immer noch auf herrlich unverbrauchte Weise nach den Nada Surf, denen wir die Sommer unserer Teenie- und frühen Twen-Jahre verschrieben haben. Wie diese Band es nach all den Jahren immer noch schafft, Songs wie „New Bird“ oder „Friend Hospital“ rauszuhauen, ist schlicht der Wahnsinn.
Platz 28: Esperanza Spalding - Emily's D+Evolution

Heidenei, den Namen Esperanza Spalding hatten wir trotz seines exquisiten Klangs schon fast wieder vom Radar verloren. Doch die dereinst bei den Grammys reüssierende Jazz-Chanteuse hat mit Tony Visconti ein Album aufgenommen, das sie mit Wucht wieder in den Fokus rückte: Statt erwartbar verkopftem Jazz spielt sie nun die Emily, und die macht was sie will: Groove und Funk und Artpop und Psycho-Blues. Gleiche Klasse, anderer Sound: Der Verlust der Unberechenbarkeit ist schließlich das vermeidenswerteste Element im nachhaltigen Kunstschaffen. „Emily’s D+Evolution“ ist ein grandioses Werk geworden; ein faszinierend vielseitiges Stück Musik. So schnell vergessen wir Esperanza Spalding diesmal nicht wieder.
Platz 27: Pinegrove - Cardinal

Melancholie! Wie herrlich sie ist, hat man die passende Band gefunden, die dieses sanfte Traurigkeitsgefühl so vortrefflich multipliziert und damit dieses grandios kontrollierte Selbstmitleid evoziert, zu dem wir uns am allerliebsten auf dem Sofa räkeln. Pinegrove aus Montclair, New Jersey sind eine weitere dieser famosen Bands, die zwischen Weakerthans und Death Cab angesiedelten, dezent Emo-inspirierten, sanft treibenden Indie-Rock mit Folk-Einschlag zelebrieren, und sie tut es hochklassig und versiert. „Cardinal“ ist das zweite Album des Quartetts, und es war uns im Herbst dieses Jahres einer der treuesten Begleiter. Lohn ist Platz 27 unserer Jahrescharts. Châpeau.
Platz 26: Duesenjaeger - Treibsand

2016 war ein gutes Jahr für die alten Hasen des Deutschpunk, ohne, dass man Bands wie Ein gutes Pferd oder eben Duesenjaeger vorwerfen bräuchte, sie würden sich nach all den Jahren der Existenz die Salonfähigwerdung ihres Genres durch Bands wie Turbostaat, Captain Planet und Konsorten zunutze machen um die eigene Position zu stärken. Weit weg von allen aktuellen Veröffentlichungskonventionalitäten aber schmeißen uns Duesenjaeger mit „Treibsand“ ein Dreckstück von Album entgegen, das wüst, emotional und dringlich ist und nur über die Band selbst vertrieben wird. Das ist nicht Charts, das ist noch Punk, das ist wie früher und in dem Fall gerade dadurch sehr stark.
Platz 25: Messer - Jalousie

Die Band um Hendrik Otremba zeigte ein weiteres Mal eindrucksvoll, wie weit man den Begriff Punk inzwischen fassen kann. Von drei-Akkorde-Mitgröl-Eskapaden ist seine Band Messer auch auf „Jalousie“ meilenwert entfernt; Punk ist hier nur noch die ausdrückliche Unangepasstheit der Musik von Messer an die Konventionen und die Erwartungen. Auf „Jalousie“ regieren Düsternis und Theatralik, Tristesse und Bedrohlichkeit. Das Ergebnis ist eine Kunstplatte, die absolut nicht jedem gefallen will und die nicht wenige mit Anlauf vor den Kopf stößt; sie ist ein grandioses Monster von Tonclash, der verschreckt und malträtiert, aber gerade dadurch auch ungemein faszinierend ist.
Platz 24: Slingshot Dakota - Break

Auch 2016 war unser neues US-Lieblingslabel Topshelf gut für mitreißende Platten in der Schnittstelle zwischen Indierock und Emo. Seine schönste im scheidenden Jahr stammt von Slingshot Dakota, einem Duo aus Bethlehem, Penssylvania, das mit herrlich einfachen Mitteln herrlich großartige Songs schreibt. Drums, elektrische Gitarren, ein Synthesizer, das war’s. Hört man die Stimme von Carly Comando über diesen spärlichen Arrangements, klingelt die Glocke an der Riot-Grrrl-Schublade, doch damit tut man Slingshot Dakota Unrecht: Diese Songs zwischen rumpelndem Garagenrock und süß-melancholischem Indiepop sind grandiose Musik ohne jede Referenznot.
Platz 23: Apples In Space - The Shame Song

Das Berliner Duo Apples In Space hat sich vergrößert, ja sogar verdoppelt, personell gesehen. Julie Mehlum und Phil Haussmann haben jetzt ein Quartett, doch wo man meint, der poppige Indiefolk ihres Debüts ließe sich durch das größere Aufgebot nur noch breiter instrumentieren, sieht sich bei „The Shame Song“ getäuscht. Rauer und deutlich geerdeter erzählt die Band von den allzumenschlichen Tragödien, persönlichen Schicksalsschlägen und dem Versuch, das Grau aufzulösen. Das geht tief und berührt; ist fein skizziert und innig. Platten wie diese können ganz manchmal das eigene Leben retten, wenn es mal wieder in Scherben vor einem liegt.
Platz 22: Bersarin Quartett - III

Das dritte Album des Bersarin Quartett bekommt den inoffiziellen Titel „Nachtplatte 2016“. Die wunderbar mystisch mäandernden Drone- und Ambientflächen entbehren nicht eines gewissen jazzigen Akzents; ihre tiefgreifende Nachdenklichkeit und kryptische Songitel wie „Die Nächte sind erfüllt von Maskenfesten“, „Verflossen ist das Gold der Tage“ oder „Sanft verblassen die Geschichten“ lassen melancholisch-abschiedssehnsüchtige bzw. -wehmütige Träumereien zu, die überaus trefflich zu einem guten Glas Rotwein mit leerem Blick aus dem dunklen Fenster passen. Als würde diese Musik für dich denken, als würde sie für dich fühlen und dich verwirrt, aber glücklich zurücklassen.
Platz 21: White Wine - Who Cares What The Laser Says?

Großer Verschrobenheitspop ist auch auf dem dritten Album des Trios um Joe Haege (Tu Fawning, 31 Knots) angesagt. Wobei bei diesem Wort immer ein leichtes Belächeln von Verspielt- und Durchgeknalltheiten mitschwingt - das ist hier gar nicht Thema. Joe Haege gibt mit ungeheurer Finesse den Mr. Magorium in White Wines Wunderladen; auch „Who Cares What The Laser Says?“ bietet auf faszinierende Weise ein Sammelsurium kurioser Ideen, immer nah am Trash, stets aber auch filigran und formschön, düster und verrückt. Wäre diese Musik ein Film, sie müsste mindestens von einem Großmeister vom Schlag eines Tim Burton bebildert werden. Ein herrlicher Trip.
Platz 20: Frank Ocean - Blond

Wo Kendrick Lamar die große Zukunftshoffnung für den Rap darstellt, lässt sich über Frank Ocean seit seinem famosen „channel Orange“ das gleiche im Soul sagen. Gespickt mit Gästen - neben Justin Vernon auch Beyoncé und besagter Lamar - ist „Blond“ zwar immer noch nicht das überdimensionale Soul-Album, das die Welt von seinem Künstler erwartet, aber es zeigt den Facettenreichtum und die popkulturelle Strahlkraft, die Frank Ocean eigen ist und die ihn zu einem so großen Hoffnungsträger macht. Zu Gitarre und Keyboard unternimmt sein Soul Ausflüge in Dream Pop und Funk, positioniert sich politisch und kritisch, gefühlig und real. Zum großen ewigen Wurf fehlt nicht mehr viel.
Platz 19: Arliss Nancy - Greater Divides

Wem The Gaslight Anthem endgültig zu poppig geworden sind und Frank Turner zu offensiv hemdsärmelig, der war 2016 mit „Greater Divides“ von Arliss Nancy aus Colorado perfekt bedient. Frontmann Cory Call sieht halt mit seinem langen Bart, den Tattoos und dem Karohemd so schön verlebt aus, dass man ihm abnimmt, mit dieser Band und diesen rau-herzlichen Songs just aus der „Bar Of The Century“ gestrumpelt zu sein um den Arm um uns zu legen und uns das Leben - na, vielleicht nicht zu erklären, aber für diesen einen Moment eine entscheidende Spur plausibler zu machen. „That’s how it is, that’s how it goes, I guess this is life. Some people get rich, some people quit and some people die“.
Platz 18: Tiny Moving Parts - Celebrate

Weil seit 2015 guter Emo wieder so richtig salonfähig ist, haben wir dieser Tage das ganz große Glück, einen starken neuen Genre-Beitrag nach dem nächsten zu entdecken. So wie „Celebrate“, das neue Album von Tiny Moving Parts aus Benson, Minnesota, das auf dem Liebhaberlabel Big Scary Monsters erschienen ist und einfach mal eben all das richtig macht, was man richtig machen kann: Die Power, die Wucht, die mächtigen Vocals, mal gesungen, mal geschrieen; Zeilen wie „I wish I had the guts“ (auf „Happy Birthday“), die die jugendliche Machtlosigkeit unserer Teenie-Jahre erneut heraufbeschwören. Ein großes, energetisches und mitreißendes Album.
Platz 17: Leonard Cohen - You Want It Darker

„You Want It Darker“, titelte der große Troubadour, „I’m ready, my lord“ singt er im Eröffnungsstück mit Grabesstimme, und dann zog sich der Vorhang zu. Drei Wochen vor seinem so schmerzlich beklagten Tod mit 82 Jahren veröffentlichte Leonard Cohen sein vierzehntes Studioalbum, dass er aufgrund seines Gesundheitszustandes beinahe gar nicht fertig gestellt hätte, und das so randvoll mit dunkeldüsteren Folkweisen ist, dass es ein umso intensiveres Goodbye eines der Größten darstellt. Bis zuletzt war dieser Mann ein nur von wenigen erreichter Songwriter, bis zuletzt hatte er etwas zu sagen, verwaltete seine Kunst nicht nur sondern wirkte sie bis zum bitteren Ende. It’s darker now.
Platz 16: Hammock - Everything And Nothing

Zweiter Sieger des Nillson-internen I-Love-Postrock-Battles sind, Achtung, nicht die üblichen Verdächtigen wie Explosions In The Sky oder die Japaner von Mono, sondern Hammock mit ihrem bildschönen „Everything And Nothing“, das eher so aus dem Nichts kam und uns mit seiner Grandezza schier übermannte. Den Übergang von Leben zum Jenseits beschreibt dieses Kunstwerk mit wundervollen Songtiteln wie „I Will Become The Ground You Walk On“ oder „She Was On The Field Counting Stars“; zwischen Instrumentalstücken und zurückgezogen-gespenstischem Gesang wird hier mit wunderbar elfenhaftem Feingefühl ein tröstliches Requiem gespielt, das noch lange nach Verklingen seines letzten Tons betört und beschäftigt.
Platz 15: Mozes & The Firstborn - Great Pile Of Nothing

Der neueste Streich der holländischen Indie-Rocker Mozes & The Firstborn wurde nicht mehr ganz so euphorisch bejubelt wie dereinst das famose Debüt (warum eigentlich nicht?), gewinnt aber den direkten Vergleich problemlos. Weil: Die Jungs ihre Stärken gebündelt und ausgebaut haben, sich die Ohrwürmer zwischen Garagenrock, Indiepop und Country gefühlt noch müheloser aus den Ärmeln des karierten Flanellhemdes schütteln und ein so herrlich erdiges Stück Popmusik im so unheimlich in seltsame Sphären abgedrifteten 2016 eine absolute Notwendigkeit darstellt. Es darf dieser Band von Herzen gewünscht werden, dass sie 2017 endlich den verdienten Weltruhm bekommt. So.
Platz 14: Maeckes - Tilt!

Die Speerspitze des Deutschrap in unseren Jahrescharts wird von Maeckes gebildet, Mitglied der Orsons, nach dessen Solo-Ausritt „Tilt“ man sich eben genauso fühlt - als wär man ein Flipperautomat, an dem zu stark gerüttelt wurde. Nach einem umjubelten Reeperbahn-Festival-Gig, der unsere Redaktion endgültig auf Maeckes‘ Seite zog, lief die Platte rauf und runter; das war Rap, der Humor hatte, aber auch genau die richtige Portion Biss um wehzutun - und die Emotionalität von Caspers Durchbruchsalbum „XoXo“, ohne hier Vergleiche ziehen zu wollen und zu können. Starke Beats, dieser nur scheinbar gelangweilte Flow: Ergibt die beste deutschsprachige Rap-Platte 2k16.
Platz 13: Will Varley - Kingsdown Sundown

Die Riege der Leisetreter-Lieblingsplatten - nicht zwingend die der Schöngeister, eher die der hemdsärmelig-melancholischen Feinbeobachter - lässt sich seit 2016 nicht mehr ohne Will Varley aufzählen. Sein wunderschönes „Kingsdown Sundown“ lässt den Künstler mit von der Bitterkeit des Lebens angerauhtem Organ zur Gitarre - pur, ohne jegliches Klimbim - so zwingend-zupackend vom täglichen Rauschen um dich herum erzählen, dass man große Lust bekommt, ihn zu einem seiner neuen besten Freunde zu ernennen. Ein brillantes Folkalbum, dem man seine Seele verschreibt, das man in sich aufsaugt, das man mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Los! Geht das entdecken!
Platz 12: Federico Albanese - The Blue Hour

Der Mailänder Pianist beobachtet auf „The Blue Hour“, seinem zweiten Album und dem ersten auf dem neuen Berliner Contemporary-Label „Neue Meister“, mit feinem Auge die diffuse Stimmung in der Gleitzeit zwischen Tag und Nacht; die seltsame Lethargie, die nachtschwärmerische Aufbruchsstimmung, die Melancholie, die Vorfreude. Elektronischer als auf seinem Debüt „The Houseboat And The Moon“ kleidet er seine intensiv-innigen Epen in ein mäanderndes Kleid aus Piano-Figuren und Ambient-Texturen, und immer mehr fliegen ihm die Herzen auch derer zu, die Klaviermusik bisher nur aus den Regalen ihrer Eltern kannten. Ein ganz wunderbares Album.
Platz 11: AnnenMayKantereit - Alles nix konkretes

2016 kam an dem Kölner Quartett endgültig niemand mehr vorbei. Die Teens, die Twens, die Thirty-Somethings, die großen Prints, die kleinen Onliner, und gerade im Zuge der letzten zwei auch: Die Hater. Doch bot „Alles nix konkretes“ endlich gebündelt das auf, was man an der jungen Band so lieben gelernt hatte über die Jahre von ganz klein nach ganz groß: Die nach wie vor unfassbare Stimme Henning Mays, die immer noch betäubend präzise formulierten kleinen persönlichen Nachaußenkehrungen eines emotional-feinbeobachtenden Inneren. Und alle bisherigen Lieblingssongs endlich vereint auf einer Platte. Ab sofort verwalten AMK ein großes Erbe.
Kurztexte: Kristof Beuthner
Platz 10: Overhead, The Albatross - Learning To Growl

Ein spätes Geschenk war dieses Album des irischen Sextetts, und sicherlich keines, das man so ohne weiteres hatte entdecken können; sind Overhead, The Albatross doch außerhalb ihrer Heimat noch kein sonderlich dick beschriebenes Blatt. Doch der Postrock auf „Learning To Growl“ wirkte wie eine Blaupause für all das, was wir an diesem Genre so lieben. Da war die tiefe, mäandernde und episch vorgetragene Melancholie von Bands wie Sigur Rós (nur ohne den Elfengesang) oder Explosions In The Sky; da war die überbordende Virtuosität von Caspian und der drückende Drive von Mogwai; die cineastische Erzählkraft vom Kronos Quartett oder, in den ganz leisen Momenten, A Winged Victory For The Sullen. „Big River Man“ ist das Postrock-Stück, das man aus 2016 für die Nachwelt einrahmen und festhalten muss; „Indie Rose“ oder „Bara“ bildschöne musische Gemälde. Als Nachklapp veröffentlichte die Band noch ein Cover von Hans Zimmers „Time“: Da war es dann endgültig um uns geschehen. (Kristof Beuthner)
Platz 9: The Hotelier - Goodness

2015, Hamburg, Pirate Satellite Festival in der Markthalle. Mit The Hotelier und „An Introduction To The Album“ verbinde ich eine der schönsten Konzert-Eröffnung an der meine Ohren beiwohnen durften. Und ich habe schon viele Konzerte beginnen gehört. Die Jungs aus Massachusetts wissen halt wie man musikalisch Spannung aufbaut. Das scheinen sie sich über die Jahre angeeignet und in „Goodness“ perfektioniert zu haben. Die Platte dessen Cover wahlweise nackte oder zensiert verpixelte Menschen auf einer grünen Wiese zeigt beginnt diesmal mit einem Gedicht, das nach Koordinaten in New England benannt ist. Ein Thema was sich mehrfach wiederfindet und die Platte angenehme Abwechslung verleiht. Der Rest klingt zugegeben genau so emo wie man es kennt und erwartet aber ist das nicht der Grund warum wir das hier überhaupt hören? Wir sind zumindest noch nicht müde und freuen uns das ganze 2017 vielleicht schon wieder live zu hören. (Stefan Kracht)
Platz 8: The Slow Show - Dream Darling

Es ist schon erstaunlich, über wie viele außergewöhnliche Songs The Slow Show nach gerade einmal zwei Alben und sechs jungen Bandjahren verfügen. Nach dem erhabenen Debütalbum „White Water“ (Platz 1 unserer Jahrescharts 2015) schafft es „Dream Darling“ 2016 auf einen starken 8. Platz. Der Nachfolger steht der 2015er Veröffentlichung in punkto Intensität in nichts nach. Jeder Song ist bis in kleinste Detail orchestriert und das Album bietet dramaturgisch einen Spannungsbogen, wie man ihn sonst nur auf starken Postrock-Alben findet. Rob Goodwins tiefe Stimme umrankt die wunderschönen Arrangements und erzählt von Fehlern und Entscheidungen, von Liebe und Verlust. Der Zauber der Veränderung und dass alle Dinge sich am Ende immer zum Guten wenden, ziehen sich durch das gesamte Album. „Dream Darling“ ist mit seiner Euphorie und seinem Optimismus ein immens wichtiges Album in stürmischen Zeiten. Danke, The Slow Show. (Daniel Deppe)
Platz 7: Modern Baseball - Holy Ghost

"But I want to make something good, I want to make something better, something that cannot leave the ground, unless we lift it up together". Es hat nur bis Track 3 gedauert, da hatte mich dieses Album an der Hand gepackt, zwischen zwei Kopfhörern auf einen Stuhl gefesselt und die nächsten 8 Songs nicht mehr in Ruhe gelassen. Wie habe ich das vermisst. Diese grandiosen Texte die einen so überwältigen und sich selbst noch in der nächsten Zeile an Perfektion überbieten. Das füllt den viel zu lange leer gelassenen Raum den Bands wie The Weakerthans hinterlassen haben. Die Alkoholprobleme und der Suizidversuch von Frontmann Brendan Lukens sind Umstände die noch viel mehr in Frage gestellt haben als nur die Fertigstellung eines Albums. So ist es alles andere als eine Selbstverständlichkeit dieses zu den schönsten 30 Minuten Musik zu zählen, die 2016 veröffentlicht wurden. Mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da und so geht der 7. Platz verdient an Holy Ghost von Modern Baseball. (Stefan Kracht)
Platz 6: Get Well Soon - Love

Konstantin Gropper und die Liebe: Es war so denkbar konsequent, dass Get Well Soons viertes Album „Love“ heißen musste, denn ein Quer- und Düsterdenker wie Gropper musste diesem größten aller Pop-Themen doch ganz besondere Seiten und damit Songs abgewinnen können - wer, wenn nicht er? Und so erschien dann im Januar eben die teils so erwartete, teils überraschende Abhandlung über das mächtigste aller Gefühle. Erwartet war der Facettenreichtum, mit dem Konstantin Gropper sich ihr annahm. Von schwindelnden Höhen bis hin zu niederschmetternden Tiefen und einer Taxifahrt unter Tränen - „This year, you are 33 / But when you cry / You still look 16“ - und einem Song, dessen Text rein aus Rosamunde Pilcher-Filmtiteln bestand, legten Get Well Soon auf beeindruckend wie erhoffte Weise dar, warum Liebe gleichzeitig so grandios und so unfassbar scheisse ist. Neu war das musikalische Gewand dieser Songs: Gespickt voll mit Referenzen an 80s-Syth-Pop und Yacht-Rock verblüffte „Love“ ganz schön, machte aber auch mit Macht deutlich, dass Get Well Soon eben nicht dazu da sind, uns alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen, sondern dass der Wein eben aus unterschiedlichen Jahrgängen kommt, aber stets besonders und gut ist. (Kristof Beuthner)
Platz 5: Die höchste Eisenbahn - Wer bringt mich jetzt zu den anderen?

Ich muss zugeben, ich habe die höchste Eisenbahn erst diesen Herbst entdeckt. Meine Schwester fragte mich, ob ich sie auf ein Konzert begleite. Da ich nur den Namen und die Mitglieder dieser Super-Boy-Band des deutschsprachigen Indietums kannte, ging ich mit, und war begeistert. Da bleibt die Frage, warum ich die höchste Eisenbahn nicht früher auf dem Schirm hatte?! Aber jetzt mal zur Sache. Zur Musik muss ich glaube ich nicht viel sagen, bei diesen Mitgliedern. Verantwortlich für Gesang und Gitarre sind mal zusammen mal im Wechsel Francesco Wilking und Moritz Krämer. Am Schlagzeug sitzt Max Schröder und den Bass bzw. das Keyboard spielt Felix Weigt. Die vorherigen Bands dieser Menschen könnt und solltet ihr euch selbst heraussuchen (und auch anhören!). Wenn ihr das getan habt, wisst ihr auch in etwa, was euch hier erwartet: ziemlich verspielte Popsongs mit wundervollen Melodien, die so lässig und doch harmonisch klingen, wie es wenige schaffen. Vor allem gefällt mir das Zusammenspiel von Moritz Krämer und Francesco Wilking. Das passt! So haben die Höchste Eisenbahn mit "Wer bringt mich jetzt zu den Anderen" ein sehr unaufgeregtes, aber eins der schönsten Alben des Jahres geschaffen! (Richard Redweik)
Platz 4: Bon Iver - 22, A Million

Justin Vernon zeigt sich nicht mehr. Zumindest nicht mehr in Gänze. Panikattacken haben den Mittdreißiger aus Wisconsin geplagt. Sein Ausweg aus der Misere war der Rückzug ins Private und ein Abnabeln von der bösen Welt da draußen. Aber wie schon bei seinem Debut ‚For Emma, Forever Ago‘ 2008 bringt die Leidensphase auch immer einen kreativen Schub mit sich. Auf Vernons drittem Album dreht er das Rad weiter in Richtung Electronica und noch eine Runde weiter in Richtung Hip-Hop und R‘n’B. Man munkelt sein Buddy und Seelenfreund Kayne West hat seinen Einfluss geltend gemacht. Vocoder und versetzte Rhythmik durchbrechen die reduzierten, elegischen Tunes. State of the Art Pop für die Undercut-Boheme rumort die Kritik, ein wegweisender Schritt aus der Pop-Sackgasse, kolportiert das Feuilleton. Am Ende bleibt festzuhalten, dass das Versteckspiel den Fokus auf das Wesentliche lenkt, auf die Musik und das Hören. Und dahin gehend bietet Bon Iver 2016 Bewegendes. (Thomas Markus)
Platz 3: Kate Tempest - Let Them Eat Chaos

Kate Tempest betreibt Feldstudien. In einer Eckkneipe sitzt sie an der Theke und erspürt wie ein menschlicher Seismograph Stimmungen und Schwingungen der Bevölkerung im Post-Europe-Britain. Was sie aufnimmt überführt sie in gnadenlos direkte verbale Stream of Consciousness-Snippets. Es entsteht ein Episodenfilm aus der Sicht von 7 imaginären Protagonisten aus einer Straße irgendwo in London. In Tempest Poetry-Konstrukten wird jede Gedankenwendung aus der Sicht ihrer Charaktere tabulos und akribisch seziert und von fies-düsteren Beats getragen - egal zu welcher Droge, egal zu welchem persönlichen Abgrund, egal zu welchem Trieb. Die Sehnsucht nach Halt in politischer und mikro-sozialer Hinsicht ist der unerschöpfliche Nährboden für Tempest-Kunst. In die Tempest‘sche Form gegossen spuckt sie ihre Beobachtungen ungefiltert ins Mikro, hievt sie auf die Theaterbühne oder verpackt sie in Lyrik. Ihre Stories verweisen dabei in induktiver Weise vom Drama Einzelner auf das globale Drama. Ein universales Spiegelbild, das Kate Tempest da entwirft und uns über alle Kanäle entgegenhält. Das Faszinosum: Man fühlte sich selten so nah dran. (Thomas Markus)
Platz 2: Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen - Rüttel mal am Käfig, die Affen sollen was machen

Sie machen weiter und weiter und weiter. Nun also mit "Rüttel mal am Käfig, die Affen sollen was machen" das dritte Album der Liga der gewöhnlichen Gentlemen nach der Superpunk-Ära. Zwei der "Top Old Boys", Carsten Friedrichs und Tim Jürgens, sind noch dabei, und das hört man auch. Die fünf Herren, zu denen noch Gunther Buskies, Philip Morten Andernach und Heiko Franz gehören, kreieren eine tiptop melodiöse Mischung aus Northern-Soul, 60s-Pop und Garage mit denen, wie ich finde, lustigsten Texten in deutscher Sprache. Lustige Musik auf deutsch ist ja immer ein schwieriges Thema. Aber diese Herren haben Humor! Ein Nillson-Kollege schrieb einmal, dass der Hamburger Humor der Liga... schon nicht mehr in Hannover zu verstehen sei. Das kann ich nicht verstehen. Ich kenne sogar Bayern (sic!), die diesen Humor großartig finden! Die Liga... beschreiben auf eine lockere Art und Weise scheinbar banale Alltagsthemen, welche zwischen dem Sechsbuchstabenwort, das die Deutschen lieben (Arbeit), trinkenden Eseln, Zechprellern und natürlich Fußballstadien handeln. So verpacken sie doch teilweise ernste Themen mit viel, viel Humor auf einer durchweg positiv treibenden Musik, wie es nur die Liga der gewöhnlichen Gentlemen kann. In einem Jahr mit einigen unschönen Momenten, hat mich diese Platte immer wieder zum Lachen gebracht! (Richard Redweik)
Platz 1: John K Samson - Winter Wheat

Einmal pro Jahr bin ich der festen Überzeugung, dass es niemals eine bessere Band als die Weakerthans gab. Dann höre ich drei bis fünf Tage exzessiv alle Platten der Kanadier. Ich höre sie zum Frühstück, auf dem Weg zur Arbeit, in der Mittagspause und auf dem Nachhauseweg. John K. Samson hat seit Gründung der Band 1995 einige der besten Melodien der Welt geschrieben. Seine Texte sind in all den Jahren zu guten Freunden geworden. Auch Johns zweites Soloalbum „Winter Wheat“ knüpft nahtlos an das großartige Gesamtwerk der Weakerthans an. Es ist ein wundervoll melodiöses Folkpopalbum mit hochkarätigen Texten und ein aufmerksamer Begleiter durch die letzten Monate eines komischen Jahres. John K. Samson buddelt mit „Winter Wheat“ die Hoffnung aus und es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass er gerade in diesem Moment bestimmt schon am nächsten Soundtrack unseres Lebens schreibt. „When it gets too complicated, when you can’t get to sleep, select all delete.“ Auf ein Neues! (Daniel Deppe)