Rezensionen 09.10.2016

The Slow Show - Dream Darling [Haldern Pop / Rough Trade]

Schon ein Jahr nach dem vielumjubelten Debüt „White Water“ gibt es ein neues Album von The Slow Show, das in fast jeder Hinsicht seinem grandiosen Vorgänger noch eine Schippe draufsetzt, darin aber droht, übers Ziel hinaus zu schießen.

Dass Rob Goodwin und seine Band zum Beispiel plötzlich ihre große Liebe für Chöre und ganz große Opulenz entdeckt haben, liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass sich The Slow Show bei ihrem gefeierten Auftritt beim letztjährigen Haldern - dem Festival ihres Hauslabels, dem sie ihre vor allem hierzulande immer größer werdende Popularität verdanken - mit dem Cantus Domus-Chor und dem Stargaze-Orchester zusammengetan haben. Deren Einsatz verlieh den Songs von „White Water“ eine noch größere Portion Bombast und war natürlich eine gigantische Idee, aber, und das führt uns lückenlos zum Nachfolger „Dream Darling“, es nimmt den Stücken auch ein wenig die subtile Größe, die etwa ein „Bloodline“ zu einem so allumfassend riesenhaften Trauerbewältigungsepos gemacht hatte. Denn Chor, Bombast, Opulenz - das suggeriert nicht mehr, das ist. Was auf „White Water“ bei „Dresden“, dem Eröffnungsstück, noch dazu nutzte, dass einem sofort klar war, mit was für einem feierlichen, ja zeremoniellen Werk man es hier zu tun hatte, erzielt dieses Stilmittel auf „Dream Darling“ den eher gegenteiligen Effekt. Denn wenn sich die glockenhellen Stimmen im Background zum Opener „Strangers Now“ in himmlische Höhen aufschwingen, ist man leider eben nicht direkt überwältigt, sondern eher überfrachtet.

Wie wichtig „Dream Darling“ für The Slow Show und insbesondere ihren Kopf Rob Goodwin ist, spürt man dabei deutlich in jeder Sekunde: So viel Schmerz, so viel Trauer steckt immer noch in dem kleinen Mann mit dem magisch sonoren Bariton, dass er damit nach draußen muss. „Hurts like hell“ ist eine Phrase, die wir immer wieder hören auf diesem Album, auf dem sanften „Hurts“ und dem deutlich vorab veröffentlichten Trennungsdrama „Breaks Today“, bei dem The Slow Show mit ihrem Chor und ihrem Bombast endlich so richtig Hand in Hand gehen - leider bleibt von „Dream Darling“ danach nur noch ein instrumentales Outro übrig, das tieftraurig und engelsgleich die Platte nach Hause bringt.

Vielleicht ist das Jammern auf hohem Niveau, denn im Grunde ist „Dream Darling“ ein völlig nachvollziehbares Follow-Up zu dem feierlich-dunkelgefärbten „White Water“; ein Weitererzählen der Bewältigungsthematik seines Vorgängers, das dessen Stärken konsequent weiterentwickelt („Brawling Tonight“, „Last Man Standing“, das eben schon erwähnte „Hurts“). Auch wenn es wie die Hölle schmerzt, ist die Sonne endlich sichtbar, was vor allem an dem dezent Yacht-rockigen „Ordinary Lives“ spürbar ist. Hier beschreibt Rob Goodwin die Kehrtwende, aber eine deutlich offener formulierte, weniger trotzige, als er das mit seinen repetitiven „This is the last time, the last time I call“-Zeilen auf „Bloodline“ getan hat: „Everything is changing“ wiederholt er hier immer wieder, und dazu strahlen die Bläser und wärmen die Streicher, und dann kommt es: „I am not afraid. I can see so clear. I’m tired of being down. Time to disappear.“ Goodwin ist ein ausgezeichneter Songwriter, das zeigt er auf „Dream Darling“ an jedem Ende, und das ist auch nicht der Punkt, an dem es hakt - sein Sprechgesang ist nach wie vor faszinierend, innig und nahbar; die Themen sind tief und kathartisch; die Melodien erinnerungswürdig (neben „Ordinary Lives“ und „Breaks Today“ bleibt vor allem „This Time“ im Kopf). Aber die großen Arrangements drücken bei den ausladenden Stücken zu häufig die Intensität; weniger wäre hier einfach mehr gewesen, denn so ist da in zu vielen Momenten zu viel Pathos in dieser ohnehin schon pathosanfälligen Musik; wo die Slickness-Falle auf „White Water“ noch konsequent umlaufen wurde (lediglich „Paint You Like A Rose“ war da verdächtig), tappt Goodwin auf „Dream Darling“ immer wieder hinein. Zu zart wird dann sein Schmelz, zu fordernd die Bläser und Streicher. Und das ist insofern schade, weil die Arrangements hier - im Gegensatz etwa zu denen eines Konstantin Gropper (Get Well Soon), der seine feierliche Opulenz stets in den Dienst der Songs stellte - anrüchig sind, zum Selbstzweck zu verkommen. Das haben The Slow Show nicht nötig.


Text: Kristof Beuthner