"Meine ganze Arbeit ist ein Versuch, noch weiter aufs Eis zu gehen." Wohl niemand beherrscht die Kunst zwischen Feuilleton und Popkultur hin- und herzuflanieren annähernd so perfekt wie der Grandsignore des deutschsprachigen Chansons. Am kommenden Sonntag wird Andreas Dorau 50 Jahre. Wir gratulieren aufs Herzlichste.
Pünktlich zum Jubiläum erscheint eine Doppel-Veröffentlichung. Die Compilation "Hauptsache Ich" blickt auf 34 Jahre Musik von Andreas Dorau zurück. 2 CDs, 35 Gassenhauer. Als die Neue Deutsche Welle mit fortschreitender Lebensdauer rasant ihrem Ende und ihrer eigenen Implosion entgegen schwappte, waren es nur die Bands und Akteure, die für die Initialzündung sorgten und die die Quintessenz des Genres überlieferten, die blieben: DAF, die Fehlfarben und eben Andreas Dorau. Der "Fred vom Jupiter"-Zeit ist Andreas Dorau schon lange entwichen. Einladungen für etwaige NDW-Revivalshows werden vehement ausgeschlagen. Der Dorau im 21. Jahrhundert bahnt sich seinen Weg irgendwo zwischen Elektronika, Krautrock und Pop.
"Aus der Bibliothèque" heißt sein neues Album, das zeitgleich mit dem kompilierten Rückblick erscheint. Die Muse für das Werk war einer der langsamsten Orte der Welt, die Bibliothek. Gewissermaßen der Gegenentwurf zu Spotify in Gebäudeform – der Premium-Account kann nicht erworben, sondern muss durch Sitzen hart erarbeitet werden. In der Zentralbibliothek am Hühnerposten, auf halben Weg zwischen dem Hamburger Hauptbahnhof und den Deichtorhallen gelegen, saß also Dorau die ein oder andere Stunde, beobachtete und machte sich Notizen. Neben ihm die Alt-Akademiker, die sich in Bücher zur Ahnenforschung vertieften oder für den nächsten Beschwerdebrief recherchierten, den Blick nach draußen auf die "Bienen am Fenster" gerichtet oder mit den Gedanken bei einer unliebsamen Begegnung auf der letzten Party ("Löwe"). Die Single-Auskopplung "Flaschenpfand" fährt in herrlicher Naivität mit der gesellschaftlichen Diskussion Karussell, trifft dadurch faszinierenderweise aber genau den kritischen Kern.
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen steuerte große Teile der Musik zur Platte bei und machte Andreas Doraus neuntes Album zu seinem erstem mit Bandunterstützung seit 1987. Mehr Opulenz, mehr Drive und rockigere Töne sind das Resultat, während Elektronisches gefühlt ein wenig zur Seite weicht. Sonst bleibt aber allem beim Alten: Auch „Aus der Bibliothèque“ ist Beklopptes in Vinyl-Format. Auch „Aus der Bibliothèque“ hat eine große Beobachtungsgabe für Kuriositäten, für das Schöne und Absonderliche und ist wie alles von Dorau ein bisschen nicht von dieser Welt. Wenn das dann die nächsten 50 Jahre so weiter geht, ist der Mann auf dem Eis gut aufgehoben.
Die Geburtstagsgalas mit musikalischen Gästen:
18.01. Hamburg, Knust (als Gäste: Der Plan, Egotronic, Justus Köhncke, Maurice Summen)
25.01. Berlin, Bi Nuu (als Gäste: Der Plan, Wolfgang Müller, Justus Köhncke, Maurice Summen)
Text: Daniel Deppe