Wenn man an japanische Musik denkt, fällt einem vermutlich beim ersten Gedanken nicht viel gutes ein. Schon eher denkt man an Anime-Soundtracks, Visual-Kei-Posen und ähnliches. Dabei hat es gerade den letzten Jahren und Monaten immer wieder spannende Platten von Künstlern gegeben, die Kraft in Ruhe und Glanz finden. Einen eigenen Kosmos schaffen; Werke zwischen Ambient, Folk, Jazz und Prunkpop veröffentlicht und sich damit nachhaltig in unserem Bewusstsein verankert haben. Wir stellen vier davon vor.
Und beginnen mit zwei Künstlern, die bei den Luxemburgern von Own Records unter Vertrag stehen: Chihei Hatakeyama und Tomoyoshi Date. Die nicht nur wegen ihrer gemeinsamen Labelzugehörigkeit in einem Atemzug zu nennen sind, sondern auch deswegen, weil sie sich in den Grundzügen ihres Schaffens recht ähnlich sind. Nicht zuletzt musizierten beide zusammen einige Zeit unter dem Namen Duo Opitope. Chihei Hatakeyama, der sein erstes Soloalbum "Minima Moralia" im Jahr 2006 via Kranky Records veröffentlichte, webt unglaublich feine, spukige Ambientflächen wie Spinnennetze im Morgentau und legt sie über ein nebelverhangenes Feld. Höchst selten verirren sich mal ein Klavier, eine Gitarre oder ein Vibraphon in das Klangbild, das ansonsten höchst stoisch, fast apathisch vor sich hin mäandert. Was auf den ersten Blick unspektakulär und nach freakigem New Age klingt, funktioniert - wenn man sich darauf einlässt - auf diffuse Art und Weise reinigend und beinahe schon spirituell. Es ist nicht viel bekannt über den Künstler und die Beweggründe für seine Musik. Doch das ist auch der Vorteil. Der Hörer muss sich seinen eigenen Zugang schaffen, in sich gehen, nach Nischen zum Einhaken suchen. Entschleunigung entdecken. Das macht es einem leichter, aber der Trip, auf den einen das vor zwei Jahren via Own erschienene Album "Ghostly Garden" schickt, bedarf dennoch einigem eigenen Engagement.
Ähnlich - nicht gleich, aber ähnlich - hält es Tomoyoshi Date. Der legte einem die ganze Geschichte seines Anfang des Jahres erschienenen Debüts "Otoha" treuherzig an die Hand. Es geht hier eher um Nachvollziehen, um Miterleben. Um Einfühlen in einen werdenden Vater und seine Empfindungen in den 24 Stunden vor der Geburt seiner ersten Tochter (japanisch "Otoha"), zwischen Ankunft seiner Frau im Krankenhaus und dem ersten Augenöffnen eines kleinen Menschen. So kitschig der Grundgedanke, so groß aber das Ergebnis. Tomoyoshi Date hat daraus ein kleines Wunderwerk gemacht zwischen Fieldrecordings, sphärischem Ambient und Klaviermusik. Wir hören entfernte Stimmen, Vogelzwitschern, verloren wirkende Klavierakkorde. Lethargie, Vorfreude, Müdigkeit, Aufbruchsstimmung, es ist alles da. So leise, dass es niemanden stört. Date schafft sich einen Fluchtpunkt in einer alles entscheidenden Nacht, sperrt die große Welt mit ihrer Schnelligkeit, ihrem Lärm und ihrer Hektik einfach aus. Das ist für den Hörer, wenn man sich mal von der Vater-Kind-Thematik und somit der Intention des Künstlers ablöst, nicht nur nicht unwichtig, sondern nahezu wertvoll. Einfach mal innehalten, Pausen schaffen, wertschätzen. Ruhig auch mal fürchten. Das ist spannend und geht über den klischeebeladenen Selbstfindungstrip weit hinaus.
Ein weiterer, reichlich unprätentiös aufspielender Künstler ist Takeshi Nishimoto aus Fukuoka. Nach seinem Schulabschluss wanderte in die Vereinigten Staaten aus, um dort Musik zu studieren. Er bekam einen Platz an der Thornton School Of Music, der Fakultät für Gitarristen an der University Of California, und lernte bei einigen der besten Gitarristen der Welt. Beschränkte sich aber nicht ausschließlich aufs klassische Gitarrenspiel, sondern streckte seine Fühler weit aus, in die Elektronik, in den Jazz. Die letzteren beiden Komponenten hört man Nishimotos Debüt "Monologue", das er - mittlerweile nach Berlin umgezogen - auf dem kleinen, Morr Music-nahen Label "Büro" veröffentlichte, nicht an. Dennoch zeigt es sein unglaubliches Feingefühl für Atmosphäre und klangliche Brillanz. "Monologue" wurde in einer Kirche aufgenommen, man hört darauf lediglich Takeshi Nishimoto selbst und seine Gitarre. Ein bißchen Hall, ein paar Hintergrundgeräusche. Das Album ist jetzt schon fast fünf Jahre alt, es ist das bis heute einzige, das er als Solokünstler veröffentlicht hat. Die Wirkung ist auch heute noch nicht verflogen: wer sich "Monologues" anhört, versinkt in ein fragiles Konstrukt aus winzigen Melodiebögen, sich verlierend, wieder verflechtend, still und anheimelnd. Als ob die Gitarre spräche, eben einen Monolog abhalten würde. Takeshi Nishimoto lässt ihr den Vortritt, versteckt sich dahinter, und doch hat er die Stücke komponiert, spielt er dieses Instrument so, als kämen diese Töne aus ihm selbst. Was ihn fraglos zu einem der spannendsten Sologitarristen dieser Tage macht. Und nicht nur das: zusammen mit dem DJ John Tejada bildet er das Projekt I'm Not A Gun, auf dem er elegische, weitläufige Klangphantasien entwickelt und seinen beiden anderen musikalischen Leidenschaften, Elektronik und Jazz, frönt. Und das ist dann nicht minder intensiv als sein Solowerk.
Schließlich sei Shugo Tokumaru genannt. Und nun nimmt die Musik in diesem Artikel plötzlich Fahrt auf, bewegt sich aus der Lethargie in den Glanz, in die Pracht, in den Folk. Vielleicht ist sie auch eine Art Monolog. Der Tokyoter Soundtüftler hält ihn aber in Form eines riesigen, musikalischen Gesprächs mit sich selber. Er spricht durch Flöte, Klavier, verschiedene Schlaginstrumente, Orgeln, Gitarren und seine Stimme. Alles macht er selbst. Er singt - auf japanisch. Was uns als fremde, seltsame Sprache erscheint, wird somit zu einer Erweiterung des Klangbildes, wie zu einem weiteren Instrument in dieser langen Reihe. Sein 2010 erschienenes, insgesamt fünftes Album "Port Entropy" markierte Tokumarus Durchbruch auch außerhalb Japans, nicht umsonst nahm sich das tolle Label Souterrain Transmissions dem Künstler an. Es ist ein Album voller Niedlichkeit, voller spürbarer Glücksgefühle und Enthusiasmus, was noch sympathischer wird, da man immer wieder auch die typisch japanische Zurückhaltung durchhört. "Port Entropy" ist wie eine farbenfrohe Klangreise, wie man sie beispielsweise von den Dänen von Efterklang kennt. Schon in meiner Review damals schrieb ich, dass das Album klingt, als würden Efterklang Japan bereisen - auch heute würde ich das noch unterschreiben. Und wenn Tokumaru selber einräumt, er beziehe sich mit seiner Musik neben japanischer Folklore und traditionellen Musikern seines Heimatlandes wie Hachidai Nakamura auch auf die Beach Boys, dann wird auch plötzlich vieles einleuchtend.
Was haben die vier Künstler und ihre Musik gemeinsam? Sie sind vor allem zeitlos. In einer Musikwelt, in der so vieles nur noch für den Moment gemacht zu sein scheint, bilden sie einen kolossal großartigen Gegenentwurf: sie machen Musik für Momente, die sich variabel über dein Leben verteilen lassen und dadurch zu jedem Zeitpunkt wertvoll sind. Emotional intelligent ist diese Musik, vor allem aber spannend, feinfühlig und klug inszeniert. Es ist gar nicht wichtig, dass nur eine der präsentierten Platten aus diesem Jahr kommt. Ein Trip in den Kosmos von Chihei Hatakeyama, Tomoyoshi Date, Takeshi Nishimoto und Shugo Tokumaru lohnt sich, egal wann. Und sollte dringend mal ausprobiert werden.
Text: Kristof Beuthner
Ähnlich - nicht gleich, aber ähnlich - hält es Tomoyoshi Date. Der legte einem die ganze Geschichte seines Anfang des Jahres erschienenen Debüts "Otoha" treuherzig an die Hand. Es geht hier eher um Nachvollziehen, um Miterleben. Um Einfühlen in einen werdenden Vater und seine Empfindungen in den 24 Stunden vor der Geburt seiner ersten Tochter (japanisch "Otoha"), zwischen Ankunft seiner Frau im Krankenhaus und dem ersten Augenöffnen eines kleinen Menschen. So kitschig der Grundgedanke, so groß aber das Ergebnis. Tomoyoshi Date hat daraus ein kleines Wunderwerk gemacht zwischen Fieldrecordings, sphärischem Ambient und Klaviermusik. Wir hören entfernte Stimmen, Vogelzwitschern, verloren wirkende Klavierakkorde. Lethargie, Vorfreude, Müdigkeit, Aufbruchsstimmung, es ist alles da. So leise, dass es niemanden stört. Date schafft sich einen Fluchtpunkt in einer alles entscheidenden Nacht, sperrt die große Welt mit ihrer Schnelligkeit, ihrem Lärm und ihrer Hektik einfach aus. Das ist für den Hörer, wenn man sich mal von der Vater-Kind-Thematik und somit der Intention des Künstlers ablöst, nicht nur nicht unwichtig, sondern nahezu wertvoll. Einfach mal innehalten, Pausen schaffen, wertschätzen. Ruhig auch mal fürchten. Das ist spannend und geht über den klischeebeladenen Selbstfindungstrip weit hinaus.
Ein weiterer, reichlich unprätentiös aufspielender Künstler ist Takeshi Nishimoto aus Fukuoka. Nach seinem Schulabschluss wanderte in die Vereinigten Staaten aus, um dort Musik zu studieren. Er bekam einen Platz an der Thornton School Of Music, der Fakultät für Gitarristen an der University Of California, und lernte bei einigen der besten Gitarristen der Welt. Beschränkte sich aber nicht ausschließlich aufs klassische Gitarrenspiel, sondern streckte seine Fühler weit aus, in die Elektronik, in den Jazz. Die letzteren beiden Komponenten hört man Nishimotos Debüt "Monologue", das er - mittlerweile nach Berlin umgezogen - auf dem kleinen, Morr Music-nahen Label "Büro" veröffentlichte, nicht an. Dennoch zeigt es sein unglaubliches Feingefühl für Atmosphäre und klangliche Brillanz. "Monologue" wurde in einer Kirche aufgenommen, man hört darauf lediglich Takeshi Nishimoto selbst und seine Gitarre. Ein bißchen Hall, ein paar Hintergrundgeräusche. Das Album ist jetzt schon fast fünf Jahre alt, es ist das bis heute einzige, das er als Solokünstler veröffentlicht hat. Die Wirkung ist auch heute noch nicht verflogen: wer sich "Monologues" anhört, versinkt in ein fragiles Konstrukt aus winzigen Melodiebögen, sich verlierend, wieder verflechtend, still und anheimelnd. Als ob die Gitarre spräche, eben einen Monolog abhalten würde. Takeshi Nishimoto lässt ihr den Vortritt, versteckt sich dahinter, und doch hat er die Stücke komponiert, spielt er dieses Instrument so, als kämen diese Töne aus ihm selbst. Was ihn fraglos zu einem der spannendsten Sologitarristen dieser Tage macht. Und nicht nur das: zusammen mit dem DJ John Tejada bildet er das Projekt I'm Not A Gun, auf dem er elegische, weitläufige Klangphantasien entwickelt und seinen beiden anderen musikalischen Leidenschaften, Elektronik und Jazz, frönt. Und das ist dann nicht minder intensiv als sein Solowerk.
Schließlich sei Shugo Tokumaru genannt. Und nun nimmt die Musik in diesem Artikel plötzlich Fahrt auf, bewegt sich aus der Lethargie in den Glanz, in die Pracht, in den Folk. Vielleicht ist sie auch eine Art Monolog. Der Tokyoter Soundtüftler hält ihn aber in Form eines riesigen, musikalischen Gesprächs mit sich selber. Er spricht durch Flöte, Klavier, verschiedene Schlaginstrumente, Orgeln, Gitarren und seine Stimme. Alles macht er selbst. Er singt - auf japanisch. Was uns als fremde, seltsame Sprache erscheint, wird somit zu einer Erweiterung des Klangbildes, wie zu einem weiteren Instrument in dieser langen Reihe. Sein 2010 erschienenes, insgesamt fünftes Album "Port Entropy" markierte Tokumarus Durchbruch auch außerhalb Japans, nicht umsonst nahm sich das tolle Label Souterrain Transmissions dem Künstler an. Es ist ein Album voller Niedlichkeit, voller spürbarer Glücksgefühle und Enthusiasmus, was noch sympathischer wird, da man immer wieder auch die typisch japanische Zurückhaltung durchhört. "Port Entropy" ist wie eine farbenfrohe Klangreise, wie man sie beispielsweise von den Dänen von Efterklang kennt. Schon in meiner Review damals schrieb ich, dass das Album klingt, als würden Efterklang Japan bereisen - auch heute würde ich das noch unterschreiben. Und wenn Tokumaru selber einräumt, er beziehe sich mit seiner Musik neben japanischer Folklore und traditionellen Musikern seines Heimatlandes wie Hachidai Nakamura auch auf die Beach Boys, dann wird auch plötzlich vieles einleuchtend.
Was haben die vier Künstler und ihre Musik gemeinsam? Sie sind vor allem zeitlos. In einer Musikwelt, in der so vieles nur noch für den Moment gemacht zu sein scheint, bilden sie einen kolossal großartigen Gegenentwurf: sie machen Musik für Momente, die sich variabel über dein Leben verteilen lassen und dadurch zu jedem Zeitpunkt wertvoll sind. Emotional intelligent ist diese Musik, vor allem aber spannend, feinfühlig und klug inszeniert. Es ist gar nicht wichtig, dass nur eine der präsentierten Platten aus diesem Jahr kommt. Ein Trip in den Kosmos von Chihei Hatakeyama, Tomoyoshi Date, Takeshi Nishimoto und Shugo Tokumaru lohnt sich, egal wann. Und sollte dringend mal ausprobiert werden.
Text: Kristof Beuthner