Deutschsprachige Musiker hatten es schon immer schwerer. Während englischsprachige Texte sich meistens sehr leicht in den Rhythmus einschmiegen und man auch in der Wortwahl ein großes Nachsehen hat, braucht es bei den deutschsprachigen Varianten oft nur ein einziges fehlbesetztes Wort um einen ganzen Song zu zerstören. Vielleicht liegt es an der großen Vorgeschichte deutschsprachiger Formen von Lyrik. Oder vielleicht an der grundsätzlich eher unmusikalischen Beschaffenheit unserer Sprache. Fakt ist, dass stundenlange Wortschieberein und Umdichtungen in der deutschsprachigen (Musik-) Lyrikfabrik keine Seltenheit sein sollten. Und gerne wird der einfallslose aber wirksame Rückzug in Reimschemata angetreten, oder der Vorstoß in hermetische Wortgebilde, die sich jeder Erzählstruktur wehren und dadurch dem Rhythmus dienlich sind. Und dann gibt es noch Künstler, die schaffen es, einen eleganten Mittelweg zu finden. Künstler, die das Sperrige der deutschen Sprache in einen Rhythmus bekommen oder zumindest mit diesem Vorgang geschickt spielen. Weder platte Reimschemata, noch unverständliches Gebrabbel, sondern konkrete und anrührende Geschichten, immer nah am Wortwahlabgrund.
Bosse ist einer dieser Künstler. In drei Alben bewies er, dass er Geschichten erzählen kann, die sich scheinbar wie von selbst in die rockige Gitarrenmusik einfügen. Unaufgeregt und vor allem ungekünstelt brachte er uns Gedanken und Gitarrenriffs nahe, immer in bedächtigem Abstand zum Liebesdrama oder hyperventilierten Friedensausruf. Bosse ging es um die kleinen Regungen, um Begegnungen in der Stadt, um kurze Augenblicke, die manch anderer Künstler zwischen viel Pathos schnell verliert. Ein Ausflug nach Frankfurt an der Oder, Liebesträumereien auf dem Dach eines Plattenbaus, die Erinnerung an eine Dorfjugend.
„Wartesaal“ nennt sich das neue Album und kommt mit einem minimalistisch roten Coverdesign daher. Zwölf Lieder mit kurzen und eindeutigen Titel (wie man es von Bosse gewohnt ist).
Beim ersten Mal hören: ich sitze in meinem Zimmer, schiebe das Album in den CD-Player, lehne mich zurück und höre zu. Kurze Zeit später folgt das erste Stirnrunzeln. Obwohl Bosse auf seinem vierten Album immer noch keine billigen Liebeshymnen trällert, lässt er den alten Zauber vermissen. Woran das liegt? Leider allzu oft an der Wortwahl. Ein Wort zu viel, ein Wort zu wenig. Metaphern, die einfach nicht passen wollen. Und hin und wieder etwas zu viel Kitsch.
Beim zweiten Mal hören: Nachts, es ist kalt, der Sommer fehlt sehr, ich gehe an die Alster und schaue aufs Wasser. Das Bosse Album läuft auf Random, warum weiß ich auch nicht genau. Und plötzlich, nachdem mir eine Woche lang immer wieder eines der Lieder über die Stunden gelaufen ist, entdecke ich zwischen manchem allzu poppigen Beat zahlreiche Schätze. Zeilen wie „Du sagst, du wolltest immer raus hier/ aus dieser engen und verlassenen Stadt/ doch am Ende eines jeden Tages/ hast du es nur bis an die Ecke geschafft.“ (Wartesaal) oder „Ich frag niemand nach dem Weg/ ich will mich hier verlaufen […] Unsere Zukunft ist so sicher/ wie das Wetter an der Nordsee“ (Die Regie). Ich verstehe, was Bosse meint, wenn er davon singt, dass man seinen allzu vollen Kopf auf ein Glas Weizen stützen muss oder wenn Herzen zu Metropolen werden und man nicht mehr weiß, wo man dort eigentlich wohnt.
Das Album „Wartesaal“ braucht, wie der Titel schon sagt, seine Zeit, es braucht die richtige Atmosphäre und es braucht den Willen, hin und wieder zu verzeihen. Wenn das gegeben ist, dann kann man durch die Straßen seiner Stadt laufen, von einem fernen Sommer träumen und sich auf ein Bosse-Konzert freuen (Tourdaten siehe unten), denn Bosse ist einer der Musiker, der live jeden kleinen Stilpatzer ausblendet und in einem den sehnlichen Wunsch nach einem Live-Album schürt.
Text: Lasse Scheiba
Wartesaal Tour 2011:
24.03. Leipzig // 26.03. Kaiserslautern // 29.03. München // 30.03. Stuttgart // 31.03. Frankfurt am Main // 01.04. Erfurt // 02.04. Dresden // 06.04 Köln // 07.04. Bochum // 08.04. Osnabrück // 09.04. Hamburg // 14.04. Braunschweig // 15.04. Bremen // 16.04. Berlin
(Tickets sind erhältlich ab 14€ zzgl. Gebühren an allen bekannten Vorverkaufsstellen)
Festival-Auftritte 2011:
23.07. Deichbrand-Festival (Cuxhaven) // 02.09. Burg Nideggen (Nideggen) // 09.09. Museumsplatz (Bonn)
Links zum Thema:
http://axelbosse.de/