Nun haben Eisenbahnen in Deutschland nicht gerade den besten Ruf. Eisenbahnen kommen zu spät und die Wagen sind grundsätzlich nie in der vorher angegebenen Folge gereiht. Und teuer ist die ganze Mobilität auf der Schiene auch noch. Das Credo des Durchschnittsreisenden: Damals war das alles anders und besser. Damals konnte man seine Taschenuhr noch nach der Zugankunft stellen.
Damals, im Jahre 1835, fand die erste mit einer Lokomotive betriebene Eisenbahn in Deutschland ihren Weg aufs Gleisbett. Knapp ein Jahrzehnt später erschien die Posse „Ein Heiratsantrag in der Niederwallstraße“ des Satirikers Adolf Glaßbrenner und feierte auf den Berliner Theaterbühnen Premiere. Darin die Passage: „Es ist die allerhöchste Eisenbahn, die Zeit is‘ schon vor drei Stunden anjekommen.“
Warum das nun alles? In diesen Tagen ist ein Album erschienen. Titel: Schau In Den Lauf Hase. Band: Die Höchste Eisenbahn. Die Mannschaftsaufstellung von links nach rechts: Francesco Wilking (Gesang, Gitarre), Moritz Krämer (Gesang, Gitarre), Felix Weigt (Bass, Keyboard), Max Schröder (Schlagzeug). Was sich liest wie die Nationalmannschaft der Liedermacher und Instrumentalisten, überrascht in dieser Konstellation und mit dieser Platte. In erster Linie überrascht der Sound.
Die Auftritte mit Gisbert zu Knyphausen und Judith Holofernes, 2011 gewissermaßen Startpunkt des Projekts, scheinen Streckenkilometer entfernt. Die Höchste Eisenbahn will sich breit positionieren und das hört man den Songs an. Wem Hip-Hop-Intro und Saxophon-Intermezzo in „Egal Wohin“ zu viel der Experimentierfreudigkeit sind, wer bei „Body & Soul“ dann fast schon weiter skippt, der versöhnt sich bei „Aliens“ vollends mit „Schau In Den Lauf Hase“. Nicht ohne Grund beginnt Moritz Krämer den Aushängesong der Platte mit der Zeile „Dann fang' ich jetzt mal an“.
Toll ist die Tapete-Veröffentlichung vor allem dort, wo sich auf Stärken besinnt wird: Gitarren und die sagenhafte Harmonie der Stimmen von Moritz Krämer und Francesco Wilking. Faszinierend ist die Platte dort, wo der Sound minimiert ist und das unglaubliche Textpotential der beiden Songwriter zur Geltung kommt. Wenn sie dann den Hörer mit dem klapprigen Regionalzug „Raus aufs Land“ nehmen wollen, dann weint man entweder noch den verpassten Versuchen 1 und 2 nach und bleibt in der Stadt oder – und das ist viel wahrscheinlicher – nimmt das Angebot dankend an.
„Wenn wir uns so lange nicht sehen, bleiben die Uhren am Hauptbahnhof stehen.“ Eine der schönsten Romantiken ist die Eisenbahn-Romantik. Wir legen nun „Schau In Den Lauf Hase“ in unseren portablen CD-Spieler, setzen uns in eine ursprüngliche Bahnhofsgaststätte – solange es solche Orte noch gibt –, warten auf den Zug und gespannt auf die nächste Reise der Höchsten Eisenbahn. Sollte sie nicht pünktlich kommen: Pünktlichkeit wird eh überbewertet, wenn man unterwegs ist.
Text: Daniel Deppe