Die Frames aus Hannover haben in diesem Jahr mit ihrem zweiten Album "In Via" eines der spannendsten Postrock-Alben veröffentlicht. Es klingt episch, intensiv und lässt den Hörer, nicht zuletzt unter Zuhilfenahme von Hermann Hesses Gedicht "Stufen", sein Leben vertont hören, oder besser: mit Musik in Einklang bringen. So weit, so gut - schöner geht es ja kaum.
Was aber das spannende an der Sache ist, ist die nicht abreißen wollende Diskussion um das für und wider des Genres Postrock. Wo die einen sich fallen lassen wollen in die ausufernden Strukturen und dichten Gemälde von Bands wie Sigur Rós, Mogwai, This Will Destroy You oder den Russian Circles, winken die anderen ab und machen Vorwürfe à la "Die finden ja kein Ende!", "Das ist viel Lärm um nichts!" oder "Das hätten die statt in neun auch in zwei Minuten hinkriegen können!". Postrock ist ein Spalter, und das liegt nicht zuletzt daran, dass es ein Genre ist, das sich aus vielen verschiedenen Einflüssen speist, sich in alle erdenklichen Richtungen erstreckt und so klar gar nicht zu definieren ist. So klebt man den Genrestempel gleichzeitig auf ein Album von And So I Watch You From Afar wie auf eines von Olafur Arnalds.
Es liegt wenig näher, als der Sache auf den Grund zu gehen, mit einer Band, die mittendrin steht. Also gaben wir den Frames - namentlich Manuel, Kyrill, Hajo und Jonas - selbst das Wort, trafen uns vor einem im Endeffekt außerordentlich großartigen Konzert in der Lila Eule in Bremen und diskutierten. Über die Geschichte, die "In Via" so ganz ohne Text zu erzählen vermag; über die Schwierigkeit, Postrock zu verstehen, und über den Entstehungsprozess eines Achteinhalbminutensongs, der den Hörer buchstäblich mit auf eine Reise nimmt.
Lasst uns über euer Album sprechen, "In Via", das durch das erste und letzte Stück von dem Gedicht "Stufen" von Hermann Hesse eingerahmt wird. Die beliebte Frage, die sich hier aufdrängt: wie ist es denn dazu gekommen?
Jonas: Ich bin großer Hesse-Liebhaber und hab alles von ihm gelesen. Irgendwann bin ich dann auch auf diese Tonaufnahme, in der Hermann Hesse das Gedicht selber spricht, gestoßen, und habe halt gedacht, man könnte das gut verwenden. Es passt thematisch zur Musik, bei der es sich ja um all diese Themen - Leben, Wandel etc. - dreht. Für mich selber war es natürlich auch persönlich eine schöne Sache. Ich bin nicht so der verbale Mensch und habe seine Ausdrucksfähigkeit immer bewundert.
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In diesem Jahr wurde das Genre, in dem die Frames zuhause sind - Postrock - in unserem Umfeld wieder heiß diskutiert, weil es anscheinend immer noch vielen sehr schwer fällt, es klar zu definieren. Viele Songliebhaber werfen ihm vor, dass es nicht "zum Punkt kommt"; andere sehen in den ausufernden Strukturen die Erfüllung. Ein interessanter Satz kommt vom Bassisten der Band Pelican, Bryan Herweg, der einmal auf die Frage, warum die Band keinen Gesang verwende, entgegnete: wenn bei ihnen ein kräftiger Mann ins Mikro schreien würde, würden es alle Metal nennen; schriee ein dünner Mann, würden alle sagen, es sei Emo. Ohne Gesang könne man aber das Privileg genießen, zwischen den Genres zu wandeln. Ein interessanter Ansatz, stehen sich doch darin zwei nicht unwichtige Richtungen gegenüber, zwischen die der Postrock gerne angesiedelt wird.
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Wie steht ihr persönlich zu Genreeinordnungen von außen?
Manuel: Man kann dem nicht entfliehen. Wir selbst haben uns nie als Postrock kategorisiert. Es ist ein total schwammiger Begriff. Ich glaube, die Ausgangsposition ist eben die, eine Musik ohne Gesang zu machen, die trotzdem aussagekräftig ist. Damit können wir uns auch identifizieren. Manche nennen das auch New Art Rock, andere benutzen wieder andere Begriffe.

Jonas: Wir sind eigentlich okay mit fast allen Genrebezeichnungen. Progressive Rock haben wir auch schon gehört, Instrumental Art Rock, Psychedelic... was weiß ich noch alles. Das überlassen wir gerne den Journalisten. Es ist ja in jeder Hinsicht positiv für die Band, wenn sich Menschen darüber Gedanken machen und versuchen, Einordnungen vorzunehmen. Man muss vielleicht auch noch festhalten, dass instrumentale Musik ja nicht immer gleich Postrock ist. Das instrumentale kommt bei uns zum Beispiel auch daher, dass keiner von uns singen kann.
Es funktioniert also eher nicht so, dass man sich mit einer gemeinsamen Idee trifft, einer gemeinsamen Vorliebe, und diese versucht, zusammen in Musik umzuwandeln - und dass man sich da bei einer bestimmten Musikrichtung trifft?
Manuel: Doch, das ist schon so. Wir wollen alle genau die Musik machen, die wir machen, weil wir das alle lieben. Aber wir treffen uns nicht und sagen: wir machen jetzt Postrock. Das läuft eher auf einer gemeinsamen Gefühlsebene, und das ist das große Ganze, was uns zusammenhält. Das entbehrt dann im Grunde auch jeder Kategorisierung.
Wie steht ihr persönlich dazu, dass dem Postrock immer eine gewisse Naturromantik angedichtet wird? Liest man über euch, findet man auch viel von dunklen Wäldern, tiefen Tälern und nebligen Lichtungen...
Hajo: Finde ich im Grunde genommen okay, weil das bedeutet, dass die Leute versuchen, über die Musik nachzudenken. Dass sie etwas auslöst. Wir geben den Leuten ja keine direkte Vorgabe. Jede Assoziation ist da gern gesehen, es gibt kein "richtig" oder "falsch".
Manuel: Die Naturmotive kommen auch glaube ich einfach daher, dass kein Gesang da ist, der die Leute thematisch in eine Richtung schiebt. Man muss sich universellere Bilder suchen. Dazu kommt, dass wenn in der Musik Streicher verwendet werden, es epische und bombastische Passagen gibt, Bilder von gewaltigen Phänomenen im Kopf entstehen. Da ist die Natur in all ihrer Macht sicherlich etwas, das einem schnell einfällt. Das ist ein sehr intuitiver Prozess.
Würdet ihr denn sagen, dass das eine Sache ist, die rein auf der Hörerseite abläuft? Oder sind das Vergegenwärtigungen, die euch auch beim Schreiben der Stücke unterlaufen, einfach durch ein Gespür für den eigenen Sound?
Kyrill: Es erscheint mir als normal, dass das passiert. Als natürlich! Ich würde aber nicht sagen, dass das einem bestimmten Konzept entspricht.
Jonas: Jeder hat da für sich seinen eigenen Kosmos, wenn er die Musik spielt und fühlt. Ich würde sagen, dass das eine sehr intuitive, gefühlsgesteuerte Sache ist, die man nicht steuern kann.
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"In Via" erzählt, wie die meisten Alben, eine Geschichte. Nun ist es ja im Postrock so, dass durch das Fehlen von Gesang der Hörer sich die Geschichte selbst zusammenreimen muss; bzw. sie vielleicht sogar mit seiner eigenen abgleichen kann, womöglich sogar für das richtige Verständnis mus. Das Gedicht von Hermann Hesse, darüber sprachen wir ja eingangs, schiebt den Hörer freilich in eine bestimmte Richtung und bietet ihm Deutungsmöglichkeiten der Platte an. Der Sound untermalt wie eine Parabel das menschliche Dasein, Kapitel um Kapitel, Song um Song. Man kann vom Wandel des Lebens erzählen, von der Gefahr der Stagnation, vom Schönen und Schlimmen in jeder Phase, vom Suchen und Finden von Zufriedenheit. Es sind universale Themen, die jeden von uns betreffen - allein, sie existieren im Kopf des Hörers.
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Welche Geschichte wolltet ihr mit "In Via" erzählen? Gibt es überhaupt eine?
Jonas: Ich glaube eher, dass das fragmentarisch aufgesammelte Gefühlsmomente sind, die alle in diesem Spannungsbogen passieren. Die Geschichte, die das Album damit vielleicht erzählt, verläuft auch keinesfalls linear.
Manuel: Eine klare Geschichte kann ich in "In Via" nicht finden. Durch das Gedicht ist das Album im Grunde schon deutlicher und konkreter, als wir es eigentlich haben wollten. Die Themen, die du ansprichst, sind natürlich präsent. Aber was man persönlich daraus macht, ist vollkommen individuell, und das gilt sowohl für den Hörer als auch für uns selbst. Jeder von uns sieht unsere eigenen Songs anders, einfach weil wir verschiedene Individuen sind. Das ist auch irgendwie das Schöne daran! Und das war auch irgendwo das Konzept; nicht zu deutlich zu werden, eher einen großen Rahmen zu schaffen.
Würdet ihr sagen, dass es vielleicht beim Postrock vor allen anderen Genres durch seine Beschaffenheit auch leichter ist, eine Suggestion zu schaffen und eine höhere Form von Interaktion zwischen Band und Hörer zu erreichen?
Kyrill: Es ist ja vor allem durch den Verzicht auf Texte auch eine ganz andere, eigenständige Interaktion, die da stattfindet! Wenn du Lyrics hast, geht es um etwas intellektuelles, rationelles: um Bedeutungen, Deutungen etc.! Wenn alles rein auf die Musik reduziert ist, geht es rein um die emotionale Komponente. Damit berührt man sehr vage Themen, abstrakte Themen, die man eben erstmal erfassen und für sich entdecken muss.
Ihr habt es ja schon angedeutet: es war also auch eine ganz bewusste Entscheidung von euch, auf Gesang zu verzichten?
Jonas: Das war uns am Anfang noch nicht ganz klar. Das Material für die Songs war von vornherein instrumental orientiert; ursprünglich haben wir aber auch noch nach einem Sänger gesucht. Allerdings weniger nach einem für das Strophe-Refrain-Schema, sondern einen, der seine Stimme als Instrument verwenden, lautmalerisch singen kann. So jemand ist aber sehr schwer zu finden, und wir sind auf der Suche gescheitert. Wir haben uns dann ohne Gesang weiter entwickelt, auch weil wir gemerkt haben - zum Beispiel durch Reaktionen von außen - das unsere Musik auch ohne Gesang gut funktioniert! Also sind wir dabei geblieben.
Verglichen mit eurem ersten Album, inwiefern seid ihr als Band konkreter geworden in eurem - ich nenn das jetzt mal - Storytelling?
Kyrill: Wir empfinden "In Via" als geschlossener als das erste Album, das ja auch "Mosaik" hieß, was schon auf etwas collagenhaftes hinweist. Wir hatten viele Fragmente, die erstmal wenig miteinander zu tun hatten, aber als Ganzes irgendwie - Sinn ergeben haben. Wie bei einem Mosaik eben, der Name war Programm. "In Via" ist thematisch kompletter; die Songs verfügen über ein gemeinsames Gerüst.
Postrock lastet ja immer dieser Vorwurf an, dass er mit seinen Stücken nie "zum Punkt kommt". Könnt ihr Leute verstehen, die so etwas sagen?
Kyrill: Ja, total. Absolut. Das wird daher kommen, dass es im Postrock eben diese teilweise quälend langen Hinführungen gibt, die auf einen Ausbruch hinsteuern und dann eben langsam ausfaden - wenn es zu diesem Höhepunkt überhaupt kommt! Das ist für viele aufgrund ihrer anderen Hörgewohnheiten sicherlich schwer, die Geduld für diese Entwicklungen innerhalb eines Musikstückes aufzubringen.
Ich habe mich gefragt, wie man so etwas eigentlich konzipiert. Das längste Stück auf eurer Platte beispielsweise ist "Don't Stay Here" mit 8:34 Minuten. Wie entsteht ein solches langes Postrock-Stück?
Jonas: Also ich schreibe den Großteil des Materials alleine zuhause und produziere das dann auch vor. Wir treffen uns dann im Proberaum und spielen schon mal vorgefertigte Arrangements; dann kommt im Grunde die Detailarbeit, bei der sich jeder Einzelne noch mit seinen Fähigkeiten und Vorlieben einbringt. Wie so ein Song dann wirklich aber entsteht, ist sehr schwer zu beschreiben, weil da vieles intuitiv abläuft. Du hast beispielsweise ein Gefühl, das raus muss, und du willst das mit Hilfe von Instrumenten ausdrücken. Dafür hast du eine Idee, an der bleibt man hängen. Man kommt immer weiter vorwärts, aber man kann oft rückwirkend keinen einzelnen Schritt mehr rekonstruieren oder gar benennen. Man ist im Fluss, man probiert aus, und irgendwann kommt man an.
Man spricht häufig beim Postrock von einer neuen Form klassischer Musik. Könnt ihr das deuten?
Jonas: Schwierig. Dafür ist der Begriff Postrock einfach zu schwammig und sind dem Genre zu viele verschiedene Einflüsse zuzuordnen. Beispielsweise aus dem Indie-, Ambient-, Stoner- und sicherlich auch aus dem Klassikbereich. Bei Sigur Rós beispielsweise ist der Bezug zur Klassik sicherlich durch die opulenten Arrangements, etwa mit Streichern und Bläsern, nachvollziehbar. Es ist sicherlich ein Bestandteil, irgendwie.
Wie geht es jetzt in nächster Zeit mit euch weiter? Ihr werdet ja jetzt erstmal ein bißchen mit The Intersphere touren (Daten siehe Newsbeitrag), und dann?
Manuel: Das ist noch gar nicht wirklich raus! Mit der Tour ist das Jahr 2012 dann sicherlich erstmal abgeschlossen. Wir haben eine schöne Europatour gespielt im Mai, ein paar feine Festivals. War ein tolles Jahr! Und dann werden wir sicherlich mit den Arbeiten zum dritten Album beginnen; das geht auch insofern schon los, dass die ersten Ideen gesammelt werden. Wir sind selbst ganz gespannt!
Text: Kristof Beuthner
Fotos: Dariusz Poroszewski