Das also ist das nächste große Ding, da ist sich die einschlägige Fachpresse im letzten Jahr schon einig gewesen. Dazu passte, dass Max Gruber seinen Drangsal lange Zeit als geheimnisumwittertes Mysterium inszenierte und die großen Fürsprecher alles weitere regeln ließ.
Als da wären: Benjamin Griffey alias Casper, der ebenfalls mit dem Produzenten Markus Ganter arbeitet, außerdem erwiesene Bescheidwisser wie Kristof Schreuf und Messer-Kopf Hendrik Otremba. Gruber spielte im Vorprogramm von Kraftklub und platzierte höchst medienwirksam Skandalnudel Jenny Elvers im Videoclip zur ersten Single „Allan Align“. Damit schart er einen Pool an Leuten um sich, die auf den ersten Blick gar nicht mal so viel gemeinsam haben. Dazu noch mit Drangsal ein Name für sein Projekt, der sich auf dem Wave-Gotik-Treffen formidabel ins Lineup einfügen sollte. Und zack, schon lief sie auf Hochtouren, die Internet-Spekulationsmaschine: Wie klingt sie denn nun, die neue große Hoffnung deutschstämmiger Popmusik?
Und wer ist überhaupt dieser Max Gruber? Das weiß man inzwischen: Ein 22jähriger Typ aus Herxheim, im lokalen Jargon Harieschaim genannt, daher der Albumtitel. Einer von den Jungs, die früh Einflüsse aus Popkultur und Musik aufsaugen und damit sehr schnell abgegrenzt sind von den Baggy- und Capträgern in ihrem Jahrgang. Wer schon in so jungen Jahren Marilyn Manson auch in seinem Dasein als Kunstfigur für sich entdeckt (und die ganze Inszenierung als solche durchschaut und faszinierend findet), ist im Grunde prädestiniert für eine große Liebe zur abseitigen Kunst. Gruber schreibt Songs, hört dabei The Smiths und die frühe Neue Deutsche Welle, nennt sein Baby Drangsal. Das passt; es fasst die Qualen einer Jugend, in der man anders ist als andere und damit zwar selbstbewusst umgeht, es aber trotzdem in einem stetigen Kampf (auch mit sich selbst) austragen muss, griffig wie bedeutungsschwanger in einem Wort zusammen. Der Sound: Bis ins letzte Detail infiziert von den 80ern. Postpunk-Düsternis, New Wave, NDW, letztere hört man auch daran heraus, dass Gruber nicht allein auf englisch textet, sondern auch deutschsprachige Songs gebastelt hat; das (ebenfalls sehr Goth-kompatibel betitelte) „Der Ingrimm“ oder „Will ich nur dich“ sind solche Stücke, „Moritzzwinger“ trägt nur einen deutschen Namen, ist aber englisch gesungen. Es flirren die Synthies, es hallen die Drums und es hallt Grubers Stimme; „Harieschaim“ ist eine aus der Zeit gefallene Platte ganz und gar, versteckt sich zu keinem Zeitpunkt hinter ihren Inspirationsquellen und möchte eigentlich gar nicht im Jetzt zuhause sein. Da überrascht es fast, dass man immer wieder auch Bands wie The Cure oder die unvermeidlichen Joy Division in Drangsals Referenzschublade legen will, er einen Einfluss gerade dieser beiden aber weit von sich weist. Denn das Album entbehrt nicht einer gewissen Düsternis, wenngleich es sich nicht in dunklen Fabrikhallen verschanzt sondern in seiner klar definierten Melodieführung durchaus immer auch einen Blick auf den Pop wirft. Das alles gelingt Gruber sehr stilvoll und -echt; und gäbe es nicht dieses riesengroße Bohei um seine Person und diese unfassbaren Vorschusslorbeeren, könnte man glatt glauben, diese Platte in einem Stapel aus den 80ern aussortierten Schallplatten Jahre später auf dem Dachboden entdeckt zu haben.
Womit wir beim Problem sind, das dieses ganze Drangsal-Ding mit sich bringt: „Harieschaim“ ist eine sehr gute, vielleicht sogar eine exzellente 80er-Referenz-Platte, bei der man wunderbar auf Inspirations-Spurensuche gehen kann. Dazu noch ist die Figur Drangsal clever inszeniert und gut in Szene gesetzt. Als neues großes Ding funktioniert die Platte leider nur begrenzt. Vielleicht hätte man das vorher einfach nicht so laut sagen sollen.
Text: Kristof Beuthner