Vor zwei Jahren erwischte mich diese Band kalt und eröffnete mir den Sommer. Da ich Laie zu diesem Zeitpunkt nichts wusste von "The Lonely Cnorve Machine", dem zu jenem Tag bereits knapp zehn Jährchen alten Debüt der Garyband, geriet ich unbedarft an "One Last Hurrah For The Lost Beards Of Pompeji" und schmolz dahin bei so viel Harmonieseligkeit.
Die den rauhen Sound des Debüts abgelöst hatte und ein in so vieler Hinsicht sonniges, liebevolles und warmherziges Songwriting mitbrachte, dass das Album sehr schnell zu einem meiner besten Freunde wurde. Robert Stadlober hatte es damals versprochen: nochmal würde man nicht zehn Jahre auf ein Gary-Album warten müssen. Und siehe da, "Hey Turtle, Stop Running" ist draußen. Stellt sich doch gleich die Frage: wie klingt ein Album, bei dem zum Vorgänger keine Dekade dazwischen lag, in der man so etwas wie erwachsen geworden ist? Die Antwort: gar nicht so viel anders als "Pompeji", was im Grunde nicht so sehr überrascht und in diesem Fall auch ein Segen ist. Und vielleicht liegt es am jetzt immensen Erwartungsdruck, aber die Schildkröte springt einen nicht ganz so schnell an. "Bill Ayers Torn Pamphlet For The Children Of The Revolution" bildet da beim ersten Hören eine Ausnahme, was vielleicht daran liegt, dass er die akustischen Quintessenzen der beiden bisherigen Alben eindrucksvoll auf einen Nenner bringt und somit fast schon nostalgisch klingt. Ach ja, da war doch was mit den Songtiteln! Die waren auf "Pompeji" verschwurbelt und teilweise ellenlang und sind auf "Turtle" wesentlich zugänglicher, vom Bill-Ayers-Beispiel mal abgesehen. Und noch mehr Änderungen gibt es. Astrid Noventa spielt mittlerweile eine größere Rolle im Garyband-Kosmos als auf dem Vorgänger; man hört ihre wundervolle Background-Stimme jetzt wesentlich öfter auch mal im Vordergrund, und das steht dem Sound famos, wie beim schön verschrobenen Intro oder auf "Four Letter Words", bei dem sich Robert Stadlober vornehm zurück hält. Hach ja. Ansonsten bleiben die Schuster bei ihren Leisten: sonnige, strahlige Indiepopmusik mit vielen Gitarren, Sixties-Anleihen und meist zweistimmigem Gesang. Zeitlos, weil aus der Zeit gefallen, oder vielmehr: weil musikalisch in einer verortet, die in den Köpfen der Dabeigewesenen eh nicht zu Ende ist und in denen der Neuentdecker in ganz eigenen Farben leuchtet. Melodien, die einem dieses Mal wie gesagt nicht sofort den Kopf verdrehen, sondern das erst beim zweiten, dritten Durchgang schaffen. Dann aber mit Wucht. Das fast schon hymnische "Are You My Pilot", die Single "Love Is Love" und natürlich "You, Lou & Stephen ca. 1995", bei dem sich ein dickes, fettes Lächeln auf die Gesichter derer legt, die sich schon mal auf einem Konzert vom unbekannten Nebenmann respektive Nebenfrau so verstanden gefühlt haben wie von niemandem zuvor, und auf die derer, bei denen dieser herzerwärmende Sepia-Film jetzt im Kopfkino läuft.
Setzen wir doch mal ein Fazit unter die neue Gary. Reifer klingt sie, ja. Gott sei Dank aber nicht erwachsener. Das ist auch in meinen Augen nicht "tied to the 90s", wie es Travis mal sagten, auch nicht simple Bauchpinsler eigener alter Heroen oder gar deren Staffelholzträger, sondern nach wie vor der Kunstform Musik ganz und gar tief verbunden. Mehr noch: zu den Gefühlen, die Musik in einem hervorruft, und dafür sorgt, dass diese Gefühle Feder und Instrument werden und neue Songs entstehen. Mit allen Erinnerungen, Konzerten, Parties, Tränen, Weinflaschen, die eben so dazu gehören und ins Neue einfließen. Das ist der ewige Kreislauf dieser großen Kunst, ohne falsche Emotion oder sterile Künstlichkeit, und bei Gary wird nach wie vor einfach toll spürbar, wie Rädchen um Rädchen ineinander greift und aus etwas, das einen irrsinnig geprägt hat, immer noch und immer wieder etwas spannendes, zeitloses, neues wird.
Text: Kristof Beuthner