Im vergangenen Monat sind über das famose Glitterhouse-Label gleich drei spannende Alben veröffentlicht worden, die uns - gerade im Zuge der steigenden OBS-Vorfreude, siehe die aktuellste News - sehr beschäftigen. So sehr beschäftigen, dass wir sie gleich alle zusammen veröffentlichen.
Wovenhand - Live At Roepaen (CD + DVD) [Glitterhouse / Indigo]

Ich gebe es offen zu: mir anzumaßen, mich dem Kosmos von David Eugene Edwards und seinem Bandprojekt Wovenhand bisher auch nur ansatzweise verständig nähern zu können, fiele mir beim besten Willen nicht ein. Zu baff, zu überfahren fühle ich mich noch von dieser intensiven Faszination, die von diesem Mann und seiner Musik ausgeht; dieser seltsamen Mixtur aus schamanischen Gesängen, düsterem Country und Folk. Beim 2010er OBS bekam ich den Mund vor Staunen und Ehrfurcht kaum zu. Nun sind Live-Erlebnisse zwar nicht in ihrer Erfahrbarkeit reproduzierbar, doch aber digital aufzubereiten. Die Rede ist von einem Konzert, dass Wovenhand im holländischen Roepaen in einer Kirche gespielt haben, und ja: das Gefühl des andächtigen Staunens ist definitiv reproduzierbar. Das liegt zum einen an dem sehr besonderen Ort des Geschehens, denn eine Kirche und diese Musik, das passt; dieses Setting und die besondere Akustik verleihen den Songs beinahe noch mehr Erhabenheit und Größe, als sie ohnehin schon besitzen. Um Edwards dreht sich alles, seine Präsenz ist wie eh und je von beeindruckender Intensität und wird nahezu perfekt eingefangen. Die Kamera ist fast die meiste Zeit bei ihm, seine Band macht einen perfekten Job im Hintergrund. Das mächtige Kirchenschiff, die Kerzenständer, das zurückhaltende Publikum - all das lässt das Konzert wie eine Andacht wirken, Edwards' Songs wie eine Predigt. Wie er mit geschlossenen Augen Teil seiner Musik wird und einen sogar im Wohnzimmer dazu bringt, die Augen nicht von ihm abwenden zu können, ist für eine Musik-DVD ein beeindruckender Erfolg. Das Package beinhaltet neben der DVD auch das gleiche Konzert als CD, doch diese erfüllt ohne die Schauwerte nicht den gleichen Zweck, entfaltet nicht die gleiche Wirkung. Für lange Bewunderer der Band ist dieser Release ein Geschenk, für Laien und Aufgeschlossene ein nahezu unersetzbarer Einstieg.
Nive Nielsen & The Deer Children - Nive Sings! [Glitterhouse / Indigo]

Man kann sich nicht dagegen wehren: wenn ein Künstler oder eine Künstlerin aus Grönland sich in den Fokus der Musikwelt spielt, ist man besonders neugierig. Zu exotisch ist doch das kleine Land; zu wenig weiß man über seine Menschen und seine Kultur. Eigentlich ist das aber blöd, denn gute Musik ist gute Musik, egal wo sie herkommt. Und Nive Nielsens Debütalbum "Nive Sings", das sie zusammen mit ihrer Band The Deer Children eingespielt hat, könnte auch aus anderen, der geneigten Hörerschaft eher als Lieferanten qualitativ hochwertigster Musik bekannten Teilen der Erde kommen. Ein paar schöne Geschichten gibt es natürlich schon zu erzählen über Frau Nielsen, etwa die von ihrem ersten Konzert überhaupt, das gleich vor dem dänischen Königshaus statt fand, oder ihrer Schauspielkarriere in Hollywood und der freundschaftlichen Nähe zu fast jedem, der in Kanadas Musikszene Rang und Namen hat. Viel wichtiger ist jedoch, dass "Nive Sings" ein wirklich wunderschönes, wenngleich auch nicht wenig seltsames Folkalbum geworden ist. Dabei bedient sie sich keineswegs seltenen oder noch nie da gewesenen Stilelementen, und auch andere verhuscht klingende Sängerinnen haben es schon vorher in unsere Herzen geschafft. Aber nur wenige klingen dabei trotzdem so direkt und unprätentiös und irgendwie niedlich, aber eben nicht in diesem knuddeligen Sinne, sondern vielmehr als Synonym für harmonieselig, verspielt, unschuldig. Ja, unschuldig: Vermutlich wäre es eine bessere Welt, wenn alle nur noch über Rentiere und das Versäumnis, Kaffee zu kochen singen würden. Und dann hat sie noch den ein oder anderen musikalischen Überraschungsmoment auf ihrer Seite, wenn sie in der grundsätzlich sehr dezenten Instrumentierung plötzlich die Bläser auffährt und den Folk um nicht wenige auf den ersten Blick schräge, auf den zweiten aber äußerst herrliche Wohlklänge erweitert. Man nehme nur mal die Bläser in "Aqqusernit".
Spain - The Soul Of Spain [Glitterhouse / Indigo]

Spain sind wieder da. Ich wusste allerdings vorher gar nicht, dass sie überhaupt weg gewesen waren. Auf die Ankündigung des neuen Albums "The Soul Of Spain" folgte ein musikalischer Streifzug meinerseits, den es in dieser Intensität selten gegeben hatte. Dass sich Presse und Musikmenschen so einhellig über ein viertes Album einer Band freuten, die mir zuvor nicht einmal namentlich aufgefallen war, konnte ich so nicht stehen lassen. Ich kaufte alle Alben, ich las alte Artikel. Ich unternahm eine Reise ins Jahr 1995 auf Höhe des ersten Longplayers, "The Blue Moods Of Spain", und versuchte mir einen Background zu erarbeiten, der zuließ, dass ich das neue Album, "The Soul Of Spain", so genießen würde können, wie es das verdient hätte. Bei Album Nummer vier mit einer Band anzufangen, die es schon seit fast zwanzig Jahren gibt, kam nicht in Frage. Was ich entdeckte, war eine Musik, die auf der einen Seite herzberührend direkt war, auf der anderen Seite langsam, fast lethargisch und zurückgelehnt ruhig. Nicht umsonst verpasste man der Band damals den Stempel Slowcore. Vor allem überzeugend war diese besondere Fülle an Stil und Klasse in den Alben von Josh Haden und seinen Mannen, und hier schließt, elf Jahre nach dem dritten Album "I Believe", "The Soul Of Spain" an, das einen durchaus treffenden Titel trägt - bringt es doch die Quintessenz der Faszination, die man für Spain empfinden kann, musikalisch nochmal auf den Punkt. Das wäre: dezent angejazzter Gitarrenpop, nicht mehr nur noch im Downtempo angesiedelt, aber immer noch mit Josh Hadens wunderbarem Gesang, der dich eben direkt anschaut beim Reden. Mit dem, was er so sagt, ist er immer noch eine Art großer Bruder, der dir eine gewisse Reife und demzufolge auch die ein oder andere weise Ansicht voraus hat. Und auch, wenn es so abgegriffen ist - aber durch meine persönliche Neuentdeckung von Spain kann ich das wirklich mit Fug und Recht sagen - ist es, als wäre diese Band gar nicht wirklich weg gewesen. "The Soul Of Spain" fügt sich so schlüssig ins Oeuvre ein, das man einmal mehr zu dem Schluss kommen muss, dass eine Band sich nicht immer irgendwann musikalisch neu erfinden muss um spannend und faszinierend zu sein.
Text: Kristof Beuthner