Fundgrube 03.06.2014

Goodbye, Whitest Boy!

Ein bißchen war es leider abzusehen gewesen. Das letzte Album von The Whitest Boy Alive liegt fünf satte Jahre zurück; eine unfassbar lange Zeit. Ist eine Band überhaupt noch zusammen, wenn man so lange nichts von ihr hört? Und wieso ist es dann trotzdem so traurig, wenn sie schließlich tatsächlich die Trennung verkündet?

Es ist schließlich so: Die Band um Erlend Øye hat weder Platinplatten gewonnen, noch war sie zu einem Erfolg in der Größenordnung gelangt, dass sie es auf Titelseiten der einschlägigen Genremags geschafft hätte. Sie tauchte seltenst in Jahresbestenlisten auf mit ihren Alben; nur wir von Nillson waren uns über ihr letztes Werk "Rules" einig und wählten es mit einhelliger Begeisterung auf Platz 1 des Jahres 2009. Frontmann Øye hat sich auch nebenbei verdient genug gemacht, dass man dieses Bandprojekt eigentlich gar nicht als sein Hauptbetätigungsfeld hatte sehen müssen. Die Kings Of Convenience waren da, und natürlich seine Spielwiese DJing; unvergessen die grandiose DJ-Kicks-Ausgabe, auf der er jeden Titel selbst kurz einsang bevor er den Track überleitete, ach ja - und sein nicht minder grandioses Solowerk "Unrest".

Der ausgeprägte Spieltrieb Erlend Øyes war es aber schließlich, der überhaupt zur Gründung von The Whitest Boy Alive führte. Zusammen mit Marcin Öz wollte der Norweger vor elf Jahren eigentlich nur seine elektronisch-housigen Pfade ein bißchen weiter austrampeln. Es kam eine große Portion Pop-Appeal dazu und mit Sebastian Maschat und Daniel Nentwig die Erweiterung vom Projekt zur Band. Das Debüt "Dreams" erschien 2006; der Zweitling "Rules" wie gesagt drei Jahre später.

Die Prämisse: Dance Music, aber organisch. Platten, die so flüssig klingen wie maschinisiert, die aber in wenigen Takes direkt und im Bandformat eingespielt wurden, ohne dass großartig an ihnen gedreht worden wäre, ohne Programmierung und Brimborium. Schlagzeug, Gitarre, Bass, Synthesizer. Die Rückführung einer artifizierten Musikrichtung auf das Pure, das Reelle. Bei Live-Auftritten standen Meckerer, die sich ereiferten, The Whitest Boy Alive würde ja live einfach nur so klingen wie auf Platte. Es war andersherum: Diese Band klang auf Platte so wie live.

"The Rules we made for ourself became a Golden Cage", war gestern auf ihrer Facebook-Seite zu lesen; der Titel des letzten Albums und des ersten Hits fassen das treffend in Worte. Es ist deswegen so schade, dass diese Band geht, weil sie in punkto Popmusik so viel mehr richtig gemacht hat als die allermeisten anderen, die aber ungleich mehr Erfolg hatten. The Whitest Boy Alive hatten Hits. Sie hatten unwiderstehliche Bassläufe, sie waren unfassbar tanztauglich. Die Stimme Erlend Øyes, die noch zu Kings Of Convenience-Zeiten mal von einem Kritiker als "schmalbrüstig" bezeichnet worden war, schmiegte sich über dieses unsagbar catchy Konstrukt wie eine Klangdecke.

Da passte alles zueinander, und es passte eigentlich zu allen. Die Elektrifizierung für die Elektroheads, der House-Anstrich für die Discos, überhaupt die Tanzbarkeit für die Tanzmenschen, die edle Melodieführung für die Popaffinen, der Drive und der besonders auf der Bühne außerordentlich stark spürbare Spielwitz für die Indie-Community. The Whitest Boy Alive haben vielleicht die in den letzten Jahren universellste und wahrhaftigste Version von Popmusik kreiert. Niemand, nicht einmal meine Freunde mit Vorliebe für Hitparadenmusik, denen ich die Alben natürlich trotzdem andiente, konnte die Füße stillhalten, alle mussten sich bewegen und mitsummen nach ein paar Minuten, obwohl diese Musik sich nie anbiederte durch ihre Simplizität, sich nie an den Hals schmiss; einen vielmehr einfach packte und nicht mehr hergab. Erlend Øye hätte den Pop auf unaufdringlichste Weise wieder salonfähig machen können, ohne dass man ihn in ein Schema hätte pressen müssen, denn Schemata stehen ihm nicht, und Images eben auch nicht.

Zwei Solo-Songs hat Erlend Øye seit letztem Sommer veröffentlicht; den Italo-Pop-Hit "La Prima Estate" und das Reggae-Stück "Fence Me In", zusammen mit der isländischen Band Hjalmar; ein neues Album bereitet er gerade vor. Er hat die letzte Platte von Kakkmaddafakka produziert und das gemacht, was er eigentlich immer tut - er ist herum gereist und hat Konzerte gespielt. Die Vielseitigkeit des Norwegers zeigt, warum man sich musikalisch um ihn keine Sorgen machen braucht. Erlend Øye kann alles, darf alles und macht zum Glück auch alles.

Das letzte Whitest Boy Alive-Konzert, das ich sah, war 2012 auf dem verblichenen BootBooHook in Hannover. Hochenergetisch und gewohnt tight, mit zwei neuen Stücken und einem absolut mitreißenden "Show Me Love"-Cover. Seitdem wartete ich sehnlichst auf ein neues Album.

Das weinende Auge geschlossen, mache ich ein lachendes auf, freue mich über die beiden Alben die es gibt und bin natürlich immens gespannt auf den Solo-Output dieses großen Künstlers. Aber ich hätte speziell von dieser Besetzung gerne noch viel mehr gehört. Vielleicht hätten sie mit Album Nummer 3 den endgültigen Durchbruch gepackt, hätten die Leute mitgenommen und in jeder Hinsicht die ihnen zustehende Aufmerksamkeit aus jeder Ecke gekriegt. Vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.

Definitiv bleibt die Dankbarkeit über zwei außerordentlich starke Platten und etliche geniale Konzerte, durchtanzte Nächte und Zugfahrten, auf denen erst "Dreams" und dann später "Rules" meine Soundtracks waren.


Text: Kristof Beuthner