Artikel 03.12.2015

Greatest Motherfucker mit Haar, Bauch und Herz

Postbahnhof, 26.11.2015, 20 Uhr: Unwirtlich gestaltet sich das Areal um den Berliner Ostbahnhof an diesem November-Abend. Waschbeton, nasser Asphalt und Bauzäune sind allgegenwärtig. Es ist rau, kalt, verbaut und dunkel. - ein nahezu dystopisches Szenario. Auf den Bauzäunen kleben Plakate von den Künstlern die im Postbahnhof auftreten, unter anderem natürlich auch von John Grant. Dem Mann, der an diesem Abend verspricht ein seelisches Kaminfeuer gegen die Herbstkälte abzufackeln. In Hinblick auf das letzte Album pfeffert er zwischendurch sogar ein paar Feuerwerkskörper in die Flammen. John, wir kommen schon.

‚Wir‘ ist in diesem Fall gar nicht so einfach zu greifen. Viele bärtige Männer haben den Weg in das ehemalige Bahnhofsgebäude gefunden. Daneben interessierte Musik-Connaisseure mittleren Alters und irgendwo stand auch jemand im Slayer-Shirt. Aber vor allem sind wir ganz schön viele. Im Vorraum herrscht Gedränge während im Saal die Vorband spielt. Ein Blick über die Köpfe hinweg zum Merchandising-Stand verrät, dass es sich um etwas mit ‚FA‘ im Namen (oder nur auf den Shirts?) handelt. Peinlicherweise sind das die einzigen Infos die im Nachhinein rauszufinden sind. Denn logistische Probleme (Garderobe und Getränke) verhindern es einen Blick zu erhaschen, geschweige denn sich einen Eindruck zu verschaffen. Leider, urteilt man nach den Gesichtern, die einem nach dem Gig entgegenströmen. Aber es soll heute ja auch um den einen gehen.

Und dann kommt der Mann der Stunde. Ein Bär wie aus dem Bilderbuch, der mit seinem süffisanten Lächeln alle unweigerlich für sich einnimmt. John Grant irritiert gerne durch seine männliche Erscheinung und sein weiches, in manchen Gesten sehr feminines Auftreten. In perfektem Deutsch bekundet er seine Freude wieder in Berlin zu sein. Im Backstage Raum, so berichtet er, hat zu allem Überschwang auch noch etwas frohlockt. Frohlockt? Was er damit meinte bleibt ein Mysterium. Wie dem auch sei, es geht hier um seinen Machwerk auf und nicht hinter der Bühne: Eckpfeiler sind Grants sonore Stimme, die voluminös und samten weich zugleich ist und seine verzweifelt makaberen Texte, die immer auch eine gewisse fatalistische Leichtigkeit suggerieren. ‚Down here‘ vom letzten, elektro-lastigen Output und ‚It doesn’t matter to him‘, mit Johns erstem Ausflug zum Piano, bieten eine gediegene Opening-Session. ‚Pale Green Ghosts‘ erhöht dann Schlagartig den Wums-Faktor. Es darf gewackelt werden. Faszinierend wie die Identifikation mit dem Sound und seinem Interpreten die äußerlich gestandenen Mannsbilder zu theatralischen Hand-Moves und ekstatischen Hüftbewegungen verleitet - ob Oberstudienrat oder Klemmschwester. Das Publikum feiert ihn. Egal ob er Bombast-Nummern wie ‚Queen Of Denmark‘, Big Band Dance Tracks wie ‚Disappointing‘ und ‚You And Him‘ oder Schmachtfetzen wie ‚Drugs‘ aus der Zeit von Grants erster Band The Czars zum Besten gibt. Er wird uneingeschränkt geliebt. Ein sympathischer ‚Greatest Motherfucker‘ (GMF durfte im Programm natürlich nicht fehlen) mit viel Haar und Bauch, der uns von Sucht, geplatzten Träumen und den großen Momenten zwischen zwei Menschen erzählt – mal ungefiltert, mal überzeichnet, immer mit viel Herz. „I wanna go to Marz, Where green rivers flow, And your sweet sixteen is waiting for you after the show”. Irgendwie ist mir gar nicht mehr kalt.


Text: Thomas Markus