Das Netzwerk der fleißigen Neo-Klassizisten ist nicht komplett ohne Greg Haines, der zu den wichtigsten Protagonisten dieser so herrlich kreativ reifenden Szene gehört. Neben seiner gerade veröffentlichten Werkschau erscheint mit "Where We Were" sein neues Album.
Darauf hat er sich von den ansonsten charakteristischen Streichern weitestgehend verabschiedet und sich eher wabernden, ausufernden Synthieflächen hingegeben. Ein Jahr lang improvisierte Haines Melodien, Klangkaskaden und Loops an Klavier, Vibraphon und Percussions und verfremdete die Ergebnisse derart, dass organische Instrumente kaum noch nachvollziehbar sind. Die wenigen Momente, die er doch bewusst geplant hatte, zum Beispiel mit einem der anderen großen Masterminds, Peter Broderick, mussten letzten Endes dem Wunsch nach eigener Improvisation weichen. Das Ergebnis ist ein hochinteressantes Stück Synthesizermusik, die mal cineastisch und orchestral wirkt, mal treibend pulsiert, nie aber in sterile Mechanik ausartet. "Where We Were" ist trotz des Verzichts auf Brodericks Ideen aber kein Haines'scher Egotrip geworden. Der Austausch mit ihm war für die Entstehung genauso wichtig wie die einmal mehr tadellose Produktion von Nils Frahm; als Percussionist wurde schließlich der Niederländer Sytze Pruiksma ins Boot geholt, mit dem Greg Haines auch beim Alvaret Ensemble musiziert. Das Album erinnert in seinen stillen, schwebenden Momenten häufig an Clint Mansells Soundtrack zu Darren Aronofskys "The Fountain", denn es strahlt selbst in seinen stilleren Stücken immer eine Unruhe aus, eine Rastlosigkeit, die sich auch Mansell in seiner Geschichte über die stete Suche nach dem ewigen Leben zu Eigen machte. So wechseln sich auf "So It Goes" elegisch ausgebreitete Flächen mit geloopten Akzenten mit majestätisch bedrohlichem Bombast ab; der Wechsel zwischen den Stimmungen ist faszinierend. Doch seine eigentliche Stärke findet "Where We Were" immer dann, wenn sich die schwelgerischen Soundflächen einem treibenden Beat hingeben; wenn Einflüsse aus dem psychedelisch-synthetischen Werk Tangerine Dreams mit hypnotisch-treibenden Drums aus dem Schweben ein Gleiten machen, seinen Höhepunkt findend in dem magisch fließenden "Habenero", in dem auch Haines' neu entdeckte Liebe zu Afrobeat-Percussionisten Ausdruck findet.
"Where We Were" ist ein äußerst spannendes, vor allem aber auch nie selbstzufriedendes und abwechselungsreiches Album geworden, das einen großartigen Künstler in seiner ganzen Vielseitigkeit darstellt. Ein wirklich faszinierender, belohnender musikalischer Trip.
Text: Kristof Beuthner