Hallo ihr Nillson-Sympathisanten. Habt ihr nach dem ein oder anderen Festivalwochenende in einem Sommer, der wirklich seinen Namen verdient, Lust, auf ein paar unkonventionelle Tage im Schatten an einem bekannten Berliner Ort, der sich Berghain nennt? Wie? Ihr verbindet mit dem Berghain nur Sven Marquardt und Hostelhorden, die die Hälfte ihres Hauptstadt-Aufenthalts in den heiligen Hallen des Technos verbringen, wenn ihnen Sven Marquardt denn Eintritt gewährt?

Wir lehnen uns nicht zu weit von der Oberbaumbrücke, wenn wir sagen, dass die "Pop-Kultur" das Potenzial hat, sämtliche Klischees des Ortes über Bord zu werfen und das Berghain in neues Licht zu rücken. Es sind der innovative Ansatz dieses Nachfolge-Festivals der Berlin Music Week und die außergewöhnliche Auswahl der Acts zwischen Popmusik mit und ohne elektronischen Einflüssen, Wissenschaft, Kulturwirtschaft, Politik etc., die uns vom 26. bis 28. August Zeit im Berghain verbringen lassen.

Wir nehmen euch mit zu den weisen Herren der Popliteratur, Andreas Dorau und Sven Regener, die Geschichten aus dem Leben ("Ärger mit der Unsterblichkeit") des Erstgenannten vorlesen, bevor wir zuhören, was Sebastian Schipper, Regisseur der One-Shot-Sensation "Victoria", über eben jenen Film und sein künstlerisches Schaffen im Allgemeinen zu erzählen hat. Zwischendrin – die Wege bei diesem Festival sind erfrischend kurz – schauen wir auf jeden Fall bei den Glitterhouse-Neulingen von Die Nerven vorbei und sind schon sehr gespannt, wie die Stuttgarter als Liveband wirken.

Anna Haffmans, Managerin der Labels Domino und Mute, Musikproduzent und DJ Alec Empire werden gemeinsam mit dem VIVA-Veteranen Dieter Gorny sowie dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, die Zukunft des Urheberrechts diskutieren. Ebenfalls am Donnerstag lohnt es sich, bei den durchgeknallt-poetischen Schnipo Schranke einen Platz in einer der ersten Reihen zu ergattern. Top-Attitüde haben die beiden Hamburgerinnen und das "ausverkauft" ist verdient, aber schade für alle, die ticketlos bleiben. Ein exzellenter Trost sollten im Anschluss aber die Post-Punker von Messer sein.

Die Schweizerin Sophie Hunger, die am Freitag in der Halle des Berghains auftritt, wird ein namhaftes Highlight des Festivals sein. "Ein exklusives Konzert mit zahlreichen illustren Gästen" wird angekündigt. Die Zeitschrift SPEX, die seit 35 Jahren den popkulturellen Diskurs befeuert und als Sprachrohr einer zeitgemäßen Popmusik fungiert, erhält zum Abschluss der "Pop-Kultur" ihren würdigen Platz. Im Rahmen einer Session soll ein selbstkritischer Blick auf die Gerechtigkeit im Pop-Betrieb und die immer noch mangelhafte Repräsentation weiblicher Musikerinnen und Journalistinnen geworfen werden.

Über 60 Acts wartet das Festival insgesamt auf. "Oberstes Ziel war es, besondere Performances einzukaufen, die noch niemand gesehen hat oder Künstler zur Zusammenstellung von besonderen Programmen anzuregen.", so Martin Hossbach, der die "Pop-Kultur" gemeinsam mit Christian Morin und Katja Lucker vom Musicboard Berlin kuratiert. Die Festivalmacher wollen eine Plattform schaffen, die einen fließenden Austausch über fachliche Grenzen hinweg und zwischen Fans und Fachpublikum möglich macht. 

Der Neurowissenschaftler Dr. Tom Fritz wird mit dem Maler Norbert Bisky über die Wirkung des Technos auf das menschliche Gehirn reden. Bianca Casady von CocoRosie stellt ihr neues Solo-Projekt vor und Matthew Herbert spielt sein erstes Deutschlandkonzert mit seiner neuen Platte. Nicht zu unterschlagen sei an dieser Stelle das Programm "Pop-Kultur Nachwuchs", bei dem junge Musiker_innen, Journalist_innen, DJs, Produzent_innen, Club-, Label- und Festivalmacher_innen sich in Workshops mit etablierten Kräften der Szene wie dem isländischen Musiker Ólafur Arnalds oder Maurice Summen, Betreiber des Labels Staatsakt, austauschen und kreativ werden.

Uns werden unglaublich viele Eindrücke entgegen schwappen und vielleicht wird uns auch ein bisschen der Kopf rauchen, wenn wir anschließend ähnlich beseelt wie die Hostelhorden nach Hause tappen. Wenn ihr wissen wollt, wie sich Popkultur im Jahr 2015 anfühlt, empfehlen wir euch den Besuch im Berghain nachdrücklich. Wir für unseren Teil werden anschließend an dieser Stelle und auf dieser Welle ausführlich berichten.

Hier nochmal die harten Fakten:

Was? "Pop-Kultur" Festival

Wann? Mi, 26.8., bis Fr, 28.8.2015

Wo? Berghain, Berlin

Wie viel? Anstelle eines klassischen Festivaltickets habt ihr die Möglichkeit, einzelne Bausteine zu buchen und euch einen individuellen Fahrplan zusammenzustellen. Die jeweiligen Tickets kosten zwischen 5 und 25 € zzgl. Gebühren und sind hier erhältlich.

Mit wem? Eine vollständige Übersicht der Acts im Timetable ist hier zu finden.



Text: Daniel Deppe
Foto: Wikimedia Commons