Rezensionen 20.02.2012

Kettcar - Zwischen den Runden [Grand Hotel Van Cleef / Indigo]

Sagenhafte vier Kalenderjahre ist es jetzt schon her, dass uns Kettcar mit einem Album beglückten. Vier Jahre! Da merkt man erst, wie gut die Songs des letzten Albums »Sylt« gealtert sind. Zum neuen Album »Zwischen den Runden« muss man also direkt vorweg sagen: »Mann, schön dass Kettcar wieder da sind!«

Neben der Veränderung in der Besetzung (Christian Hake ersetzt Frank Tirado-Rosales am Schlagzeug) gibt es auch musikalisch eine gewichtige: Kettcar scheinen bei ihren Konzerten mit Orchesterunterstützung auf den Geschmack gekommen zu sein. 

Die klassischere Instrumentierung zieht sich nahezu durchgängig durch das neue Album. Es gibt gewitzte, einfühlsame Texte in neuem, musikalisch gediegen-elegantem Gewand. 

»Zwischen den Runden« wird allen über die Maßen gut tun, die Freude an Songs wie »Schwarz zu Blau« und »Am Tisch« hatten. Fans von »Deiche« oder »Graceland« seien gewarnt: dieses Album hat sanftere Schwerpunkte. Während »Sylt« den Eindruck hinterließ, von Unruhe und dem Hunger nach Veränderung geprägt zu sein (im positiven Sinne), so wirkt »Zwischen den Runden« merkwürdig angekommen. Eines der Stücke heißt zwar »Im Club«, doch war kein Album Kettcars soweit vom Club entfernt wie dieses. 

Dafür brilliert »Im Club« sowohl mit Streicher-Ensembles als auch mit einem originellen Video: In jeder Einstellung des Videos flimmern im Sekundentakt Fotos von Fans über den Bildschirm. Überhaupt: Zu jedem Song des Albums gibt es ein Video – welch eine schöne Idee. 

Grandiose Songs finden sich auf dem neuen Werk zuhauf. In »Rettung« geht es um eine ganz üble Sauferei und die Fürsorge nach dem Hangover. Ein dankbares Thema, aber dafür umso liebenswürdiger verpackt in allerlei Kettcar-typische Zitate. So auch »Schrilles, buntes Hamburg«, mit dem Kettcar jedem Wahlhamburger aus der Seele sprechen – untermalt von der Kettcar-Gitarre™. Ein Hochgenuss. Und sowieso jeder der Kettcar mag wird auch »Schwebend« mögen, denn die Balade ist einfach zu gelungen.

Musikalische Veränderung ist das wichtigste Gut einer Band. Keiner will zwei mal das gleiche Album mit anderen Texten haben. Die Phrasen, die bei Songs von Kettcar hängenbleiben und die Zitierfähigkeit der Werke enorm steigerte, gibt es immer noch. Verpackt werden sie aber nicht mehr in kernige, rockige Stücke, sondern in Zusammenhänge. Die Hamburger erzählen jetzt mehr denn je Geschichten.

Kettcar haben sich zum Grandseigneur des Indierock emporgeschwungen. Sie sind nicht mehr der kleinste gemeinsame Nenner wenn man von deutschem Indie spricht. Die Stücke zeugen von perfektioniertem Handwerk. Wiebuschs Stimme war selten so gut in Szene gesetzt. Kettcar sind mit ihren Fans älter geworden. Als langjähriger Fan ist das Album ein ganz tolles, eins in dem man schwelgen kann – eines der Alben die man am besten nicht alleine hört. Aber es ist anders, das muss man wissen.

 

Text: Arne Seemann