Und weil sich im Moment wirklich eine Menge stapelt, wird innerhalb von kurzer Zeit schon die nächste Kurzkritikenkiste aufgemacht und ausgeräumt. Warum denn auch nicht? Wieso warten? Nur hier, meine Damen und Herren, beginnen Sie bei packendem Hardcore-Stoner-Prog, trinken zwischendurch verbittert Dosenbier, reisen ins Weltall und enden zu Housemusik tanzend auf irgendeiner Tanzfläche.
Pulled Apart By Horses - Tough Love [Cooperative Music / Universal]

Beginnen wir die neue Runde mit ein wenig amtlicher Lautstärke. Dazu fällt in die Hände: das neue Album der allseits geliebten Schreihälse Pulled Apart By Horses mit dem Titel "Tough Love". Und da fällt zu allererst auf, wie herrlich sich diese Band auch zwei Jahre nach ihrem Durchbruch treu bleibt, ohne langweilig geworden zu sein. Schöne, amtliche Härte; Vocals, dem Geschrei nahe, aber nie in reines Gekreische abdriftend, immer noch irgendwo zwischen Pelle Almqvist, Lemmy Kilmister und Cedric Bixler-Zavala. Und a propos Mars Volta, Motörhead und Hives: auch musikalisch baut das auf "Tough Love" immer noch eine sichere Brücke zwischen Hardcore, Stoner Rock, Garage Rock und Prog. Brettharte Riffs stehen neben treibenden Passagen, störrisches Gefrickel neben purer Explosion. Wird man, hat man erstmal Feuer gefangen, nur ganz schwer wieder aus dem CD-Player bekommen.
Frau Potz - ...lehnt dankend ab [Delikatess Tonträger / Broken Silence]

"Wenn wir dir zu uncool sind, studier doch in Berlin!" - Na, das ist doch mal wieder eine Ansage. Außerdem haben wir eh schon viel zu lange keinen amtlichen Deutschpunk mehr gehört. Da bieten sich Frau Potz an, über die schon lange getuschelt wird. Und wenn ich persönlich mal von der Tatsache absehe, dass ich das schrille Organ des Sängers auf Albumlänge nur schwer ertragen kann, den Songs aber einzeln eine Chance gebe, dann zündet Frau Potz aber schon kräftig die Lichter an. Der Bandname täuscht; das ist kein Party-, sondern stinkwütender, verbitterter Aufruhr-Punkrock mit mächtig Antrieb und irrsinniger Wucht. Erinnert teilweise an die frühen Muff Potter, in den poppigeren Momenten auch an die frühen Schrottgrenze, aber in der textlichen Intensität an packende Alben von Bands wie Bessere Zeiten. Geht tief, kommt wie ein Faustschlag zuweilen. Frau Potz gehört zusammen mit Adolar sicherlich zu den spannendsten Neuankömmlingen im Genre.
Manual Kant - Applaus [Richard-Mohlmann-Records / Universal]

Ebenfalls neues gibt es aus dem Hause Richard-Mohlmann-Records, und zwar einen Beweis, dass Bandnamen finden nicht leicht ist. Manual Kant. Kann jeder selber für sich entscheiden, ob er das clever, witzig, gut oder schlicht doof findet. Ist für die Musik auf dem Debüt "Applaus" aber in Wirklichkeit auch gar nicht wichtig. Die bietet schleppend-trägen Grunge (gibt es dieses Genre überhaupt noch?) und macht damit der fabelhaften Gruppe Sport Konkurrenz. Der natürlich vollkommen zynisch gemeinte Albumtitel findet sich in seiner Aussage auch in den Lyrics wieder. "Gut aus" ist ein herrlicher Abgesang auf dummdreiste Anmachrock-Chansons wie Bakkushans "Baby, du siehst gut aus" vor ein paar Jahren und den Style-Fanatismus dieser Tage. Und überhaupt, spätestens beim dritten Song findet man auch kaum noch, dass der Sänger manchmal nach Kraftklub klingt, und freut sich über die schön pointierten Lyrics mit reichlich Szeneüberdruss. Muss man sehr gut finden.
120 Days - 120 Days II [VMC / Soulfood]

Switchen wir langsam den Hebel um und widmen uns der Elektronik. Und zwischen Rock und Rave finden wir einen guten Platz für 120 Days aus Oslo mit Album Nummer 2 und der Verstärkung der Phalanx, die von Kasabian seit Jahren so siegessicher gehalten wird. Heißt: aufs Feinste vermischt sich hier breitbeinige Rockpose mit teilweise dunkeldüsterem Elektrosound, pluckernd und treibend, atmosphärisch dicht und intensiv. Aber im Gegensatz zu Pizzorno und seinen Mitstreitern hört man den 120 Days ihr Erbe weitaus deutlicher an; findet man stärkere Referenzen in die Elektronik. Die haben auch Kraftwerk gehört und die Happy Mondays, kennen Primal Scream und Industrial-Bands. Spielen gerne auch mal abseits ihrer breiten Melodiebögen recht krautig am Synthesizer, und das macht's zu keinem Zeitpunkt - trotz etlicher repetitiver Muster und epischer Länge von Songs wie "Dahle Disco" oder dem dreiteiligen "Lucid Dreams" - auch nur ansatzweise langweilig.
Urlaub in Polen - Boldstriker [Strangeways / Indigo]

Auch immer für eine tolle Platte gut sind die Jungs von Urlaub in Polen. Weiß man. Ist von daher kaum verwunderlich, dass auch "Boldstriker", das mittlerweile fünfte Werk der Herren Brenner und Janzen, wieder ein ordentlicher Zünder ist. Im Vordergrund steht, wie schon beim Vorgänger "Liquid", der Hang zum Epischen; zum Einswerden von elektrischen Elementen und synthetischen Soundscapes mit treibenden Rockriffs. Spaciges Gegniedel, repetitive Drums und weltfremde Vocals gehören selbstverständlich auch zum guten Ton. Und auch, wenn Urlaub in Polen seiner Linie jetzt schon so lange treu ist, ist es doch eine, die nie vorhersehbar verläuft, immer noch spannend ist und faszinierend. Die neun Tracks, zwischen ganz lang und ganz kurz, bilden zusammen ein großes Ganzes von beachtlicher Raffinesse und Größe. Rauf auf die Rakete, auf in unentdeckte Sphären! Diese Band sollte man sich wirklich dick auf den Zettel schaffen.
Deichkind - Befehl von ganz unten [Vertigo / Universal]

Ja, und was ist denn nun Sache mit Deichkind? Ist das noch populär, künstlerisch wertvoll, eulenspiegelig? Durchgeknallt, subversiv, gesellschaftskritisch? Alles zusammen oder nichts davon? Ist der Witz erzählt? Brauchen wir noch mehr knalligen Rave mit zitierfähigen Texten? Zumindest entpuppen sich letztere zu häufig als Hülle: sich selbst als "Majorschlampen" titulierend, geben die Deichkinder auf Tracks wie "Illegale Fans" den Rächer der entrechteten Musikhörer und stoßen damit natürlich bei all den Diskussionen um ACTA und seine Freunde auf offene Ohren. Kalkül oder Anarchie? Bei so viel Künstlichkeit und Selbstinszenierung für die Nische zwischen den Musikmärkten hinterlässt die Show allerdings mittlerweile den schalen Beigeschmack der Vorhersehbarkeit. Aber bedenkt man, dass die Masche bei Deichkind eh System hatte seit sie erstmals in Mülltüten durchs Neonlicht sprangen, kann man "Befehl von ganz unten" sicherlich als solides Weiterführen der steilen Karriere werten.
Various Artists - Clubbers Guide 2012 [Ministry Of Sound / Warner]

Wenn schon vorhersehbar, dann doch wenigstens richtig. Wobei die Clubszene es eigentlich ganz gut gebrauchen könnte, mal wieder richtig schön durchgespült zu werden. Seit der Kalkbrennerisierung der elektronischen Musik zwischen Mainstream und Untergrund kann ja jeder relativ minimale Beats mit markanten Vocals, genau wie knallige Discokracher seit einem gewissen Herrn Guetta gang und gebe sind. Mit einem bunten Potpourri aus beidem wartet auch der neue Sampler aus dem Hause Ministry of Sound auf, aber irgendwie hat man das Gefühl, dass der neue "Clubbers Guide" bei aller Eindeutigkeit doch ein wenig die Klasse der letzten Ausgaben vermissen lässt. Alles tanzbar, klar, dafür ist es gemacht; alles auch wirklich grundsolide Kost, aber das verfährt doch zu sehr nach dem Prinzip "you see what you get". Wenige, dafür aber strahlende Glanzlichter setzen Pauls spannenderer Bruder Fritz Kalkbrenner, der wiederauferstandene Fatboy Slim und die Helden von Duck Sauce.
Various Artists - Adult Entertainment, Vol. 1 [Ministry Of Sound / Warner]

Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass die "Clubbers Guide"-Reihe für Ministry so eine Art Lebensversicherung darstellt und man sich durch die Sicherheit des Absatzes Platz für neue Entdeckungen aus dem Untergrund schafft. Einen Beweis dafür tritt die erste Ausgabe der neuen Reihe "Adult Entertainment" an. Hier gibt es nicht nur die oben vermissten Überraschungsmomente, sondern auch den flüssigeren Mix. Und eben keine großen Namen, die Erwartungsdruck aufbauen könnten. Statt dessen phasenweise sogar richtig schön oldskooliger Vocal House, der einen zurück in die seligen 1990er Jahre versetzt, als in der elektronischen Musik alles noch nicht so stylisch war und die Verquickung von House und Soul nichts mit Usher oder Rihanna zu tun hatte. Aber gut, da ist dann natürlich der Name Programm. Diese Reihe wird Kenner hochgradig glücklich auf die Tanzfläche ziehen. Neuankömmlinge werden Catchiness und Hits vermissen.
Text: Kristof Beuthner