Ladies and Gentlemen, es ist wieder einiges liegen geblieben auf meinem Plattentisch. Der so voll liegt, dass man kaum noch Tischplatte sieht. Wirklich wahr jetzt! Plattencover allüberall. Acht davon habe ich mir gegriffen, und das waren gute Griffe. Ausnahmslos tolle Alben, die ich euch in einer neuer Ausgabe der Kurzkritiken nahelegen zu dürfen die Ehre habe.
Heidi Happy - Hiding With The Wolves [Silent Mode / Cargo]

Beginnen wir mit einer echten Überraschung. Denn nach ihrem Album "Back Together", das mir wirklich nicht viel gab, hatte ich Priska Zemp alias Heidi Happy wieder schmerzlos aus den Augen verloren. Album Nummer 2 habe ich gar nicht beachtet. War ja alles ganz nett, aber eben auch nicht spannend. Nun eine neue Chance mit "Hiding With The Wolves". Und holla die Waldfee, diese Dame hat sich weiterentwickelt. Überzeugt gleich beim Opener "My Love Won't Wait For You" mit tollem Songwriting und warmen Streichern und Bläsern, die den Ohren wirklich vorzüglichst schmeicheln. Das Niveau wird über die volle Distanz von immerhin fünfzehn Stücken gehalten. Aber am beeindruckendsten finde ich hier Priska Zemps Stimme, die wesentlich stilsicherer zwischen Norah-Jones-Softjazz und Boy-Poppigkeit changiert, als hätte sie endlich ihre Lücke gefunden. Eine wirklich schöne Platte.
Fritz Kalkbrenner - Suol Mates [Suol / Rough Trade]

Der immer noch viel zu wenig gehypte Bruder von Paul darf etwas schönes machen, nämlich eine Ausgabe zur Compilation-Reihe "Suol Mates" beisteuern. Dass er selbst tolle elektronische Musik macht und ergo auch ein Gespür dafür hat, hat er auf seinem eigenen Album bewiesen. Hier packt er seine Plattenkiste aus und liefert ein zwanzig Stücke umfassendes DJ-Set auf Platte, das keinesfalls stoisch die Technonummer fährt, sondern sich vor Breakbeats, Funk und Soul verbeugt. Das ist vielleicht eine kleine Überraschung, zeigt aber auch, dass man diesen Kalkbrenners mit der Elektronik-Schublade unrecht tut. Mehr noch: das man häufig nicht erkennt, in welchem Umfang das hier gebotene (Pete Rock, J Dilla, Roy Ayers etc.) tatsächlich eine Rolle in der Musik Fritz Kalkbrenners spielt. Singt er selbst, ist seine Stimme dem ehrlichen Soul näher als dem Pop. Seine "Suol Mates" sind ein absolut glorreicher Mix geworden.
SoKo - I Thought I Was An Alien [WMU / Warner]

Ist sie nicht niedlich, mit ihrem französischen Akzent und ihrer dahinter versteckten Bissigkeit? Gab es was anderes, das zu ihrem Hit "I Kill Her" zu sagen war, bzw. gesagt wurde? Kaum. Entsprechend skeptisch war ich gegenüber der neuen SoKo-Platte. Dass die Dame, die eigentlich Stéphanie Sokolinski heißt, aber auch vor allem eine gute Songwriterin ist, die es versteht, herrlich spröde Folkpopsongs zu spielen; die in punkto Verschrobenheit durchaus Maßstäbe setzen kann und so verborgen sprechsingt, als wäre sie mit ihrer Stimme gar nicht tragendes Element sondern nur einer von vielen Bestandteilen ihrer Songs, so dass die Innigkeit ihrer Texte erst beim zweiten, beim dritten Hören zum Tragen kommt: das, und nur das, sollte zählen angesichts all dieser schrägen Marketingstrategien, mit denen sie - kein Witz! - sogar schon in die Nähe eines unbedeutenden, aber bis ins Unerträgliche gehypten Sternchens wie Lana Del Rey gerückt werden soll. Diese Platte darf man entdecken.
Cursive - I Am Gemini [Saddle Creek / Indigo]

Fast hätten wir's übersehen: das neue Werk von Tim Kasher und seinen Jungs, aus dem Rennstall, der noch vor ein paar Jahren als unbesiegbar galt. Mittlerweile ist der Blick der Hypemaschine nicht mehr so sehr auf Omaha gerichtet. Gut für Saddle Creek. Denn die Qualität ihrer Bands und der Platten, die dort erscheinen, ist ungebrochen auf hohem Level, aber der Druck ist jetzt nicht mehr so groß. Und kann musikalisch umso präsenter sein. Cursive machen's vor: mit einem Monster von Konzeptalbum über die bei der Geburt getrennten Zwillinge Castor und Pollux, der eine gut, der andere böse. Cursive klingen lauter, treibender als zuvor, die Songs wirken wie aus einem Guss. Immer wieder changierend zwischen Ruhe und Ausbruch. Ein tolles Album, das einen mitnimmt, einem über seine ganze Laufzeit eine Geschichte erzählt, intensiv ist und mitreißend. Äußerst famos.
HRSY - Here Is Why [Riotvan / Groove Attack]

Kein Monat ohne 80er-Referenzbands. Heute im Pool: HRSY, gesprochen so wie der Albumtitel. Kommen aus Leipzig und haben natürlich ihre Hausaufgaben trefflich gemacht. Ich bin, wenn auch wirklich kein Freund des synthetischen Jahrzehnts, immer wieder beeindruckt, wie perfekt manche Bands den Klang einer Dekade imitieren können. "Here Is Why" vermischt die Künstlichkeit der frühen Depeche Mode (für die zum Direktvergleich lediglich Dave Gahans tiefe Stimme fehlt) mit melancholischem Dunkelpop und klingt damit reichlich aus der Zeit gefallen. Lediglich die Beats und die gute Produktion lassen darauf schließen, dass es sich hier um einen 2012er handelt. Auch an der präsenten Nähe zur clubaffinen Elektronik merkt man, dass es sich hier um eine "in"-Platte handelt, der man - und das ist das schöne - aber zu jedem Zeitpunkt anhört, dass sie von Herzen kommt. Kein Plagiat, das auf den schnöden Hype schielt, sondern eine Band, die sich verbeugt und ihr musikalisches Lieblingsjahrzehnt hofiert. Kann man nichts schlechtes dran finden.
Fenster - Bones [Morr Music / Indigo]

Kommen wir zu einem der aktuellsten Releases des wunderbaren Morr-Labels aus Berlin. Die, je länger sie Musik herausbringen, ihr Raster stetig erweitern. Zwischen Flüsterfolk, Flächenelektronik und den Elektropop-Absahnern von FM Belfast ist nun wieder Platz für eine Band, die sich zuschauen lässt beim Schaffen einer neuen Sparte von Popmusik, für die mir schier kein Name einfällt. Wenn man dem so zuhört, was JJ Weihl und Jonathan Jaryzna auf "Bones" so veranstalten, erinnert das mit seinem Zusammenspiel spröder Chords und Drums und seine zwischen glasklar und geisterhaft-verhuscht changierenden Vocals an einen hochgradig faszinierenden Hybrid aus Fleet Foxes-Wärme und The XX-Kühle, zu denen Jack White an sämtlichen Instrumenten gleichzeitig sitzt. Ja, sogar am Glockenspiel. Huiuiui, das klingt interessant, werdet ihr jetzt vielleicht sagen. Ist es auch. Sperrig durchaus, vor allem aber hochgradig faszinierend und spannend. Muss man häufig hören!
Salim Nourallah - Hit Parade [Tapete / Indigo]

Zu den Herzensdieben des Tapete-Lädchens gehört fraglos Salim Nourallah aus Texas. Der sich von fortgeschrittener Singer-Songwriter-Kost im Bandformat auf "Hit Parade" (vielleicht passt da sogar der Titel) erfreulicherweise entfernt und sich - wie er selbst gerne erzählt - auf eine Zusammenfassung der Quintessenzen seiner Lieblingsbands und -platten einigt. Er nennt dann die Beatles, The Kinks und auch The Clash, und das kommt so im großen und ganzen auch hin, mal deutlich erkennbar, mal weniger. Denn insgesamt ist doch das, was ihn auch bisher ausmachte, das tragende Element von "Hit Parade": das stilsichere Gespür für tolle Melodien und Harmonien, seine warme Stimme und sein durch und durch amerikanischer Sound. Die Single "Unstoppable" wurde nicht zu Unrecht dazu erkoren. Wenn das Album von Salim Nourallah heute die Quintessenz der geliebten Bands zusammenfasst, fasst dieser Song die Quintessenz des gesamten Albums zusammen. Und das ist alles, aber nicht langweilig.
Vadoinmessico - Archaeology Of The Future [PIAS / Rough Trade]

Beenden wir die Klangreise mit einem Trip nach Italien, oder vielmehr in die Ecke von Indiepop, die gängige Strukturen mit südeuropäischer Folklore mischt. Das kennen wir von den Crystal Fighters schon, die balearische Drums mit deftiger Elektronik in Einklang brachten, und aus genau diesem Dunstkreis stammen auch Vadoinmessico. "Archaeology Of The Future" heißt das vierzehn Stücke starke Werk, und das passt, denn diese Soundmixtur ist gerade derart gefragt, dass es schon möglich ist, dass man sich irgendwann rückbeziehend damit auseinandersetzen wird. Neben strahlendem Indiefolkpop hören wir Referenzen an Italien, Mexiko (siehe Bandname) und die Karibik, und das erinnert ab und zu sogar erfreulicherweise an die tollen Vampire Weekend (wo sind die eigentlich?). Das ist eine wundervolle Popplatte, die richtig viel Spaß macht und deren Entstehung sicherlich auch Freude bereitete, zumindest hört man das in jedem Ton. Herrlicht leicht, locker-flockig, verspielt und strahlig-sonnig. Schlechte Laune kann man hier wirklich vergessen.
Text: Kristof Beuthner