Der Autor dieser Zeilen wünscht sich beizeiten zurück zur alten Schule. Nur so ist es zu erklären, dass er sich gerne einmal gegen Hipness sträubt, und statt dessen in der neuen Ausgabe der Kurzkritiken gleich zwei Mal sein Gehör der guten alten Do-It-Yourself-Musik schenkt. Doch liebe Röhrenjeansträger, seid entwarnt: Am Ende wird der Autor einsehen, dass auch veritable Hipsterbands durchaus ihr Faszinierendes haben. Viel Spaß mit den folgenden acht Kurzkritiken wünscht: Der Kurzkritiker.
Deserteur - Deserteur EP [Eigenvertrieb]

DIY, die Erste. Und da werfen wir einen kleinen Blick auf das Duo Deserteur aus Braunschweig, bestehend aus Lennart Sörnsen und Onke Wagner. Eine Konzertgitarre, ein Bass und ein Schlagzeug, eine Stimme - mehr braucht die drei Songs starke "Deserteur EP" nicht, um zu überzeugen. Die Drums treiben die Stücke nach vorne, die akustisch gehaltene Gitarre lässt das ganze pop-charmant und weich klingen, und Lennarts Stimme klingt unpoliert, authentisch (auch, wenn ich das Wort ja im musikalischen Kontext so gar nicht mag) und ehrlich (dito). Ja, was ich hier als eigentlich ungeliebtes Vokabular verwende, ist aber eben das große Plus von Deserteur. "Was du verschweigst zu sein", "Sanduhr" und "Figuren und Gesichter" sind der Typ Song, der aus den Gedanken zur Musik wird, und das braucht keine Schnörkel. Die Lyrics sind durchweg unpeinlich, die Arrangements schön oldskool. Und ein guter Song ist eben ein guter Song. Das schwimmt auf keiner Welle, das ist einfach nur da um da zu sein, weil diese Lieder raus mussten. Da darf man gerne mal ein Ohr leihen.
John Vida - Samstag der Vierzehnte EP [Eigenvertrieb]

Und wenn ich schon mal dabei bin: DIY, die Zweite. Von Deserteur zu John Vida muss man ideell und besetzungstechnisch gar nicht weit schauen, immerhin spielt Deserteurs Lennart auch hier die Gitarre. Aber John Vida, ebenfalls zu 50% in Braunschweig beheimatet (die anderen 50% in Stuttgart), spielen keinen Indiepop oder ähnliches, sondern eine Art Acoustic Rap; oder Singer/Songwriter-Rap, oder... you-name-it. Und das soll vor allem eins: Spaß machen. Auch hier ist der Minimalismus King; zur Gitarre gesellt sich lediglich eine Cajon. Ja, und darüber wird dann eben gerappt, von Moritz Marder. Aber Gott sei Dank nicht auf Krampf cool, sondern endlich mal wieder clever und klug. Cool dadurch, dass es nicht Gangsta ist, dass es nicht hip sein will und vor allem: dass es nicht prätentiös ist. Gefällt, ohne zwingend gefallen zu wollen. Statt dessen bestechen die fünf Stücke auf "Samstag der Vierzehnte" durch feinen Wortwitz und höchst angenehmen Selfmade-Drive. Es geht um den Abend in der Disco (Ha! Nicht im Club!), um die alltägliche Lethargie als Reaktion auf Hektik und Pflicht, um feine Beobachtungen der Welt um dich herum. Und das ohne jegliche Phrasendrescherei. Auch hier: Ohr leihen, bitte!
Orph - Poems For Kui [Devilduck / Indigo]

Reisen wir vom Selfmade- ins Märchenland und besuchen Orph aus Weimar. Deren Debüt "Poems For Kui" ist zwar schon vor einiger Zeit auf Devilduck erschienen, muss aber doch noch das ein oder andere Wort wert sein. Denn was die Herrschaften hier abliefern, ist nicht mehr und nicht weniger als höchst faszinierend und nur sehr schwer kategorisierbar. Irgendwo zwischen Folk, Brass, Indie- und Seltsampop: Schon der Opener "Song For Kui" bietet einen ganzen Strauß an Genres und Einflüssen. Dabei haben die insgesamt 15 Stücke, teilweise mit epischen Titeln wie "Morgue, die Unbekannte aus der Seine" oder "Von Sonnentau und Morgenröte" versehen, eines gemeinsam: Sie stellen eine Reise da, einen musikalischen Zyklus aus Ziehen und Zerren, Schimmern und Strahlen, Geheimnis und Geschichte. Es ist auch musikalisch alles äußerst heterogen, wo auf einem Song Americana-Herrlichkeit leuchtet, klingt der nächste schon wieder mit wabernden Synthies und einer Samba-Rassel nach Jean-Michel Jarre auf Caipirinha. Hochinteressant ist das alles; "Poems For Kui" ist eins dieser Alben, aus dem man noch beim zwanzigsten Hören neue Nuancen heraushört. Top!
Man Without Country - Foe [Cooperative Music / Universal]

Ein kleines Spiel mit den Erwartungen treiben Man Without Country aus Wales mit ihrem Bandnamen. Was darf man dahinter vermuten? Songwriter-Folk eines Rastlosen? Mit Sicherheit keine breit ausgelegten Synthie-Eskapaden, tief verwurzelt in der Düsternis und Kühle der 1980er Jahre. Aber genau das ist es, was uns auf "Foe" um die Ohren wabert. Das macht es allerdings keinesfalls schlechter, denn die zehn Stücke sind allesamt höchst stimmungsvoll inszeniert und kommen ohne die häufig mächtig übertriebene Retro-Hipness aus. Hocherfreulich! Statt dessen wird der gesamte Chic von vor dreißig Jahren clever imitiert, vielleicht ein bißchen glatter präsentiert, sicherlich weit mehr verwoben, mit allem, was zwischen 1980 und heute liegt, und natürlich brummen auch die Bässe ordentlich. Das große Plus an Man Without Country ist tatsächlich die Unterkühltheit ihrer Songs, die auf volle Distanz fasziniert und einen seltsamen Schwermut verbreitet, auch wenn gelegentliche Anleihen an Dance Music nicht zu leugnen sind. Dieser Platte sollte man vorzugsweise nachts lauschen, am besten bei blauem Licht.
The Enemy - Streets In The Sky [Cooking Vinyl / Indigo]

The Enemy aus Coventry waren für mich früher als Nachzügler der Class Of 2005 immer eher uninteressant. Zu uninspiriert klang für mich ihr New New Wave-Entwurf; auch wenn die Band immer schon deutlich rauer zu Werke ging als ihre Artgenossen. Ein zufällig aufgeschnappter Gig revidierte mein harsches Urteil etwas, das neue Album "Streets In The Sky" geht noch einen Schritt weiter nach vorne. Hier werden sämtliche Hipness-Faktoren mit den Füßen getreten, die Ärmel hochgekrempelt, nochmal kräftig ausgespuckt und dann die Instrumente herausgeholt. Die zwölf Songs, die Titel tragen wie "Get Up And Dance" und "Make A Man", klingen beinahe schon nach den Hives, als die Hives noch nach den Hives klangen. Will sagen: Das ganze ist herrlich aus der Zeit gefallen, höchst treibend und straight, erinnernd an eine Zeit, in der man mit Rockmusik noch Blumentöpfe gewinnen konnte. Da man das jetzt leider nicht mehr so gut kann, dürfte die Band es mit dem Positionieren auf dem Markt nicht leichter haben. Aber wenn hier noch jemand ist, der manchmal wehmütig an eine in die Luft gereckte Faust zum kühlen Bier zurück denkt, dann sollte der sich genau diese Scheibe anhören.
Zulu Winter - Language [PIAS / Rough Trade]

Aber komm, so ganz ohne Hipness geht es eben auch nicht. Und Zulu Winter hatten ja mit "We Should Be Swimming" in diesem Jahr schon einen veritablen Clubhit, der sich durchaus hören lassen konnte und Appetit aufs Debütalbum namens "Language" machte. Das Ding ist: Wenn ich diese kleine Kritik schon mit dem Begriff "Hipness" anfange, hat mittlerweile jeder Töne im Ohr und kann sich gut vorstellen, wie "Language" klingt. Und genau so ist es auch. Es klingt synthetisch, es hat smoothe Bassläufe, es hat eine sehr (!) an Metronomy erinnernde Leadstimme. Es ist ein bißchen frickelig, wie das, was die Foals so machen. Es ist schön clubtauglich tanzbar aufbereitet und natürlich glitzerig produziert. Es ist Dance und es ist Elektronik und es ist Pop, alles gleichzeitig. Und damit ist es ein Kind dieser Dekade, dessen Halbwertszeit sich erst noch zeigen muss. Nein, ich will nicht sagen, dass diese Platte keinen Spaß macht. Das hat schon alles Hand und Fuß, aber es ist eben auch ein bißchen das, womit der geneigte Hörer auch gerade so ein bißchen überschwemmt wird. Was es der Band nicht unbedingt schwer machen muss; es haben noch mehr Songs Hitpotezial, aber vermutlich dürfte es das dann auch gewesen sein.
alt_J - An Awesome Wave [PIAS / Rough Trade]

Und wenn wir schon gerade dabei sind, Hipstermusik zu kritisieren, ist der Weg zu alt_J nicht weit. Der Bandname ist die Tastenkombination für den griechischen Buchstaben Delta. Auf Macs aus dem Vereinigten Königreich. Warum auch nicht? Der Sound auf "An Awesome Wave" ist synthetisch. Aber beim näheren Hinsehen gar nicht so stereotyp, wie ich es jetzt mit dem Begriff "Hipstermusik" suggeriert habe. Die Band fährt hier schon einige äußerst strange Arrangements zwischen Synthie-Pop, Folk und Lo-Fi-Freak-Elektronik auf. Der zweite Song der Platte ist ein vollständig acapella vorgetragener Singsang, heißt aber nerdig "❦:". Mit "Breezeblocks" ist auch ein kleiner Hit dabei, aber alles in allem wirft die Platte in ihrer Konzeption mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. Aber das ist nicht von Nachteil. Gewöhnungsbedürftig ist die Froschstimme, uneingängig sind die Stücke. Es ist Musik für Popbescheidwisser, nein: für Popbesserwisser. Das gefällt sicherlich nicht uneingeschränkt jedem; "An Awesome Wave" ist trotzdem oder gerade deshalb ein zumindest interessantes Album.
Moonbootica - Our Disco Is Louder Than Yours [Four Music / Rough Trade]

Beschließen wir unsere Runde mit Moonbootica, seit Jahren geliebter Floorfiller aus Hamburg, der Stadt auf der guten Seite der Musik. Mit Tobi Tobsen und Kowe Six sind hier ja zwei alte Bekannte aus der Szene an den Reglern, und die sind natürlich lange im Game, die wissen wie's geht. Und das Projekt Moonbootica steht ohnehin für gepflegte Elektrobeats mit Biss und ordentlich Bumms. Da ist auch auf "Our Disco Is Louder Than Yours" nichts neues dran, der Titel sagt ohnehin schon alles aus, was man über die Platte im Vorfeld wissen muss. Das Album geht weit nach vorne, stampft und schleudert, ist derbe four to the floor und in höchstem Maße gemacht für die guten Clubs dieser Welt. Und somit mal wieder nicht unbedingt für den Heimgebrauch zu empfehlen, denn zu Tanzmusik soll man tanzen und nicht sofasitzen. Wenn man letzteres tut, kann man über Songtitel wie "Hamburg, Not Cheeseburg" schmunzeln, aber dann geht's ja schon mit weiter mit Bass und Claps und einer zündenden Hook. "Our Disco..." ist ein absolutes Monster von Elektrohitplatte, und sollte von Liebhabern dieser Musik dringend rezipiert werden.
Texte: Kristof Beuthner