Das Sommerloch, so scheint es, ist überwunden. Die Zeit, in der die musikaffinen Menschen sich wieder mit Kopfhörern auf ihren Sofas einfinden, wird somit eingeläutet. Grund genug für den Kurzkritiker, sich einen Plattenstapel aus der ungewissen Phase zwischen ein-Bein-auf-den-Balkon-halten und vom-Sofa-aus-den-Tee-nicht-vergessen vorzunehmen.
Burn Pilot - Passionate [Setalight / Rough Trade]

Beginnen wir den Reigen mit Burn Pilot und ihrer Version von Psychedelik, bzw. mit ihrem Update dieser heutzutage nicht mehr allzu umfangreich gepflegten Spielart des Rock. Wenn da Presseinfo und Medien einhellig eine "neue psychedelische Speerspitze" ausrufen, wird man hellhörig. Und findet durchaus gefallen an den acht Konstrukten auf "Passionate", die sich allerdings nicht immer entscheiden können, ob sie versprengt vor sich hin mäandern möchten oder mit leichten Anleihen an den Wüstenrock der damals noch guten Kings Of Leon, flankiert von impulsiven Ausbrüchen und lärmigen Soundfiguren, das Pink in Pink Floyd durch Punk ersetzen wollen. Fakt ist, dass die Platte durchaus zu gefallen weiß, allerdings nicht so umfassend kickt, dass man sich gerne über den ein oder anderen Pausenspaß hinaus damit beschäftigen möchte.
Gasmac Gilmore - Dead Donkey [Monkey. / Rough Trade]

Dann nehmen wir doch lieber die neue Scheibe von Gasmac Gilmore zur Hand. Das ist genremäßig wesentlich uneindeutiger, aber dadurch eben auch wesentlich spannender. Hier treibt uns eine wilde Mixtur aus Punk, Zigeunerfolklore, Balkan Beat und Ska auf die Tanzfläche, ohne allerdings erfolgshungrig auf die Institution Gogol Bordello zu schielen. Durch die Bank feierfähig, zwischendurch aber durch die Melodien und Arrangements kurioserweise auch immer wieder an die verflossenen System Of A Down erinnernd, und da wird's dann endgültig interessant. Denn einen Bastard aus Rock und Gipsyfolk haben in den letzten Jahren wirklich immens viele Kapellen zur Welt gebracht; nie aber hat er so gut auf die großen Bühnen dieser Welt gepasst wie in der Version von Gasmac Gilmore. Kann nicht weiterschreiben, muss shaken jetzt.
Stealing Sheep - Into The Diamond Sun [Cooperative Music / Universal]

Okay, wieder beruhigt. Zeit für einen (seufz) neuen Folk-Release. Aber ("seufz" zurückgenommen) vom Papier her endlich mal wieder einen aus der Psych-Ecke, die zuletzt ja doch eher vernachlässigt wurde, wenn man vielleicht mal vom neuesten Album der Smoke Fairies absieht. Nun also Stealing Sheep, ein rein weibliches Trio aus dem mächtigen Liverpool. Deren nach dem Riesenerfolg der Vorab-EP heiß erwartetes Debüt "Into The Diamond Sun" verwebt auf ohrenschmeichelndste Weise die Quintessenz und die Harmonieseligkeit des Folk wie wir ihn kennen mit psychedelischen Strukturen, halligen Drums und hippie-esker Traumseligkeit und klingt eben wirklich ausnehmend hübsch, obwohl es, wie schon so viele andere Releases zuletzt, das Rad in wirklich keinster Weise neu erfindet. Wenn das Niveau so hoch bleibt, macht das aber auch nichts.
Poor Moon - Poor Moon [Cooperative Music / Universal]

Bleiben wir doch noch ein bißchen im Genre, es ist ja nicht so, dass wir hier an Veröffentlichungsarmut leiden würden. Nein, selbst die Etablierten bleiben sich treu und tanzen auf mehreren Hochzeiten. Im Falle von Poor Moon sind das unter anderem Christian Wargo und Ian Wescott von den Fleet Foxes und Ian und Peter Murray von The Christmas Cards. Klingt das Ergebnis, das Debütalbum "Poor Moon", jetzt überraschend, neu, anders als die beiden Hauptbands? Nein, natürlich nicht. Es verbindet vielmehr die Elemente der beiden, was bedeutet, dass es klingt wie eine verspieltere, experimentierfreudige Version der Fleet Foxes, mit glasklaren Harmonien und aber auch jeder Menge erfreulich niedlichem Beiwerk. Ich wiederhole mich gerne: Auch hier wird das Rad keinesfalls neu erfunden, aber es klingt wirklich wundervoll und macht dem Folkie eine Menge Freude.
iamamiwhoami - kin [Cooperative Music / Universal]

Und auch im Falle von iamamiwhoami (richtig entschlüsselt: I am. Am I? Who am I?) entfernen wir uns nicht ganz völlig weit von klanglicher Herrlichkeit, wir bereisen vielmehr ein Land, in dem Herrlichkeit groß geschrieben wird, nämlich das mächtige Schweden. Dort lebt Joanna Lee, die zu ihrem Debütalbum "Kin" bereits weit im Vorfeld immer wieder Sound- und Videoschnipsel im Internet verstreut und damit mächtig Appetit gemacht hat. Sie möchte das Ganze gerne als eine Art Soundtrack zu surrealen, überweltlichen Bilderkaskaden verstanden wissen, und so klingt die Platte auch. Elektronisch und synthetisch-kühl, aber immer wieder auch folkig-zärtlich; reiht flächige Soundscapes an niedlich-kindliche Einsprengsel und fricklige Beats. Das führt zu einem sehr interessanten und durchaus mitreißenden Hörerlebnis, dessen einziger Wermutstropfen ist, dass wir eine Stimme wie die von Joanna Lee nun wirklich an jeder Ecke finden.
The Fresh & Onlys - Long Slow Dance [Cooperative Music / Universal]

Auch The Fresh & Onlys gelten derzeit als eine durchaus hypeverdächtige Band, weswegen sie kritisch beäugt gehören, denn es gilt seit jeher: Don't follow the hype blindly. Es ist im Falle der Mannen um Tim Cohen auch tatsächlich mal wieder nicht wirklich gerechtfertigt. Nicht, weil "Long Slow Dance" nicht gut wäre; einfach, weil es nicht sensationell ist sondern einfach in seiner Solidität hübsch. Es gibt Harmonien zwischen den Sixties und den Nineties, was in dem Punkt konsequent ist, dass allenthalben die Go-Betweens als Referenzkapelle angegeben werden. Auch die Shins kann man hier und dort heraushören, aber auch die bedienten sich ja in ihrer Frühphase sehr offensiv am blumigen Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts. Es ist ein sehr eingängiges Album, aber es erzählt einem nicht im Geringsten etwas neues; auch wenn Stücke wie "Dream Girls" wirklich schön anzuhören sind und einem dieses Album sehr gut gefallen kann. Es wird eine Randnotiz der Musikgeschichte bleiben.
Alberta Cross - Songs Of Patience [PIAS / Rough Trade]

Da kommen wir ganz zwangsläufig bei Alberta Cross an, die sich ja auch immer wieder in der Liste der hoffnungsvollen Newcomer der letzten Jahre wiederfinden. Auch hier sei die Frage gestellt, warum das eigentlich so ist. Medial und pressetechisch aufbereitet finden sich immer wieder Referenzbands wie die Band Of Horses oder die Kings Of Leon in der Kommode der Musikschubladen, und damit ist auch tatsächlich alles gesagt. Alberta Cross' zweites Album "Songs Of Patience" baut eine Brücke zwischen Wüstenrock und Folk, und das tun sie gut, gar keine Frage. Sie stellen aber weder Fragen, noch sorgen sie für Überraschungen. Was auch kein Ding wäre, wenn wenigstens Hits dabei wären. Da das aber auch nicht so ist, bleiben Alberta Cross eine dieser Bands, über die man immer wieder in verschiedensten Musikmagazinen lesen wird, bei denen man sich aber auch immer aufs neue fragen wird, warum eigentlich.
Boy Omega - Night Vision [Tapete / Indigo]

Mir fällt auf, dass der Tenor dieser Rubrik dieses Mal eher bedächtig euphorisch ist. Also schließe ich mit dem neuen Album von Boy Omega, immerhin auf Tapete, einem Lieferanten in der Regel guter Musik. Und tatsächlich: Hendrik Hasselgren (ein Name wie gemalt!), der hinter dieser Band steckt, kann lediglich vorgeworfen werden, dass er sich einen etwas ungriffigen Bandnamen ausgesucht hat. Seine Musik ist über jeden Zweifel erhaben: Melancholisch und schwebend, dem Pop näher als dem Folk, aber sich aus beiden Genres nährend. File under Bright Eyes- und Arcade-Fire-Nähe. Elektrischer als das, was man von Boy Omega vorher kannte, aber zeitgleich näher am Hörer, naturbelassener, handgemachter. Die Loops werden von Hand gespielt, meine ich damit. "Night Vision" ist ein schönes Album geworden, und hey - auch nicht mehr und nicht weniger, aber eines, in das man sich verkucken kann, das einen mitreißt und durchaus auch mitnimmt. Eines, zu dem Rotwein passt.
Text: Kristof Beuthner