Rezensionen 15.10.2012

Kurzkritiken #22. Mit DLDGG, Pollens, Tamaryn, Animal Kingdom u.v.a.

Es hat sich wieder ein beträchtlicher Schwung musikalischer Leckereien angesammelt auf dem Tisch des Kurzkritikers, der gerne von sich in der dritten Person schreibt. Der geneigte Gourmand goutiert heute afrikanisches Allerlei, Westerntopf aus dem UK, irgendein Trendfood und alten Wein in neuen Schläuchen. Wohl bekomm's!

Norman - Hay, Hay, Make A Wish And Turn Away [Songs & Whispers / Cargo]

Das Bremer Kollektiv Songs & Whispers verhilft seit einigen Jahren schon tollen Künstlern aus aller Welt zu Auftritten im ganzen Land, meist unterwegs in den Stilrichtungen Folk, Country und Singer/Songwriter. Und nebenbei funktionieren sie auch als Label und veröffentlichen auch noch die Alben ihrer entdeckten Schätze. Wie beispielsweise von Eric Nordby alias Norman aus Oregon, der mit seiner Band einen herrlich durch und durch amerikanischen Traum aus reduzierten Folkperlen, ambitioniertem Americana und trockenem Grunge-Country aufgenommen hat. "Hay, Hay, Make A Wish And Turn Away" macht nicht das Geringste falsch, what you see is what you get. Nordby hat unüberhörbare Vorbilder, aber das macht nichts, solange das Resultat stimmt. Die Platte klingt nach verstaubten Bars und weiter Landschaft, nach einem Musiker, der nicht in it for the money ist, sondern in it for the music, und reisend diese Botschaft durch die Gegend trägt. Wenn wir das in Verbindung zum Projekt Songs & Whispers sehen, ist das also über die Maßen authentisch und echt. Ein tolles Album.

Pollens - Brighten & Break [Tapete / Indigo]

Hanna Benn und Jeff Bryant aus Seattle sind Pollens, ihr Debüt "Brighten & Break" ein neuer Output des Geburtstag feiernden Tapete-Labels. Da darf man Qualität erwarten, und da Tapete ja ständig darum bemüht sind, ihre musikalische Bandbreite zu erweitern, ist die Band erstmal mit nichts aus dem Label-Oeuvre vergleichbar. Hier wird auf höchst ambitionierte Weise versucht, Weltmusik - kongolesischen und marokkanischen wie amerikanischen und javanesischen Folk - mit repetitiven Strukturen des Prog und harmonischer Herrlichkeit des Pop in Einklang zu bringen. Es ist ein seltsames Stück Musik, dieses Album, aber es fasziniert von Anfang an und funktioniert somit ganz prächtig. Es schlägt ob seiner Vielschichtigkeit ständig Haken und ist permanent in Bewegung, aber es wirkt niemals überladen, kein Ton, keine Facette ist überflüssiger Ballast. Vielmehr ist "Brighten & Break" ein aufs angenehmste komplexes Album geworden, das den Hörer mal wieder auf Entdeckungsreise schickt und voller neuer Eindrücke wiederkehren lässt. Ein Highlight, das definitiv Beachtung verdient!

Black As Chalk - Modern Void [Timezone]

Black As Chalk aus Göttingen erreichen uns mit ihrem dritten Album "Modern Void" und machen damit einmal mehr alles richtig. Es ist schön, zu spüren, dass der ehrliche alternative und attitüdenfreie melodieselige Indierock nicht ausstirbt, sondern nach wie vor von einer wahren Phalanx an mittlerweile reichlich routinierten Kappellen am Leben gehalten wird: Black As Chalk machen mit ihren herrlich präzisen Riffs und dem exaltierten, nicht selten an Bono (of all people) erinnernden Gesang von Julian Schima zwar nicht das Wohnzimmer zum Jugendzentrum aus vergangenen Zeiten, aber ihr Sound ist harmonisch, vielseitig und wunderbar unprätentiös. Ja, es ist ein emotionales Album, und ja, die Band scheut auch die große Geste und melancholische Moll-Akkorde am Klavier nicht, aber sie spielt mit so viel Herz und Charme den Kumpel, der auch keinen Rat für dich hat, aber mit dem das Zweifeln einfach angenehmer auszuhalten ist, dass man nur so seine Freude hat. Der Kopf ist gesenkt, aber eine Faust ist gereckt - das ist genau das, wovon wir wieder mehr brauchen. Danke!

Cowbell - Beat Stampede [Damaged Goods / Cargo]

Und wenn wir schon bei Authentizität und Charme sind, schauen wir doch mal bei ein paar Briten vorbei, die so tun als wären sie Amerikaner. Ausgewanderte Cowboys mit britischem Akzent. Ist das herrlich daneben. Die Stiefe auf dem Cover, der Bandname Cowbell, der Albumtitel "Beat Stampede" - nein, das können die unmöglich ernst meinen. Aber was solls, das Ergebnis kann sich doch sehen lassen! Es ist erdiger, dreckiger Rock, der amerikanisch klingt und Blues- und Wüstenrock zurück in die Garage holt. Lärmige Riffs, energetische Drums und Gesang aus den Zwischenwelten des Rock'n'Roll, gepaart mit Melodien, die wir aus einer Zeit kennen, in der auch die Brücke zwischen R'n'R und Country kurz war - wer möchte da nach Originalität fragen und am Ende wegen ein, zwei Schippen zu viel Pathos den Spielverderber mimen? "Beat Stampede" hält was es verspricht; es hat zehn herrlich aus der Zeit gefallene Rocknummern zu bieten, die straight und schnörkellos nach vorne gehen und dich mitnehmen, zurück in eine Ära, in der man keinen irrwitzigen Facettenreichtum brauchte, um ganz vorne mitzuspielen.

Animal Kingdom - The Looking Away [Vertigo / Universal]

Der Musiksender Viva hat es sich seit einiger Zeit zum Ziel gemacht, der mainstreamverdorbenen Jugend ein paar alternative Töne ins Hirn zu pflanzen und untermalt seine Zwischensequenzen und Selbstbewerbespots mit Songs von Bands, die aber in echt gar nicht so alternativ sind, sondern mit einem Debüt mit Majorvertrag von vornherein organisiertes Hipstertum praktizieren. Viva labelt sich als indietauglich, und die alternative Speerspitze mogelt sich in die Charts. Aber ist ja okay so, natürlich sollen die Kids auch auf Foster The People und The Naked & Famous fliegen und nicht nur auf Usher und FloRida. Derzeit ist "Strange Attractor" vom Animal Kingdom der Song zum Viva-Gesicht, und deren Debüt "The Looking Away" schielt auf großes Airplay. Das darf es durchaus, und auch wenn der Hit der Platte ähnliche Qualitäten hat wie z.B. "Pumped Up Kicks" von den Fosters und "Young Hearts" von TN&F, bietet das Album weitgehend langweiligen Bombastpop mit dem unter Hipstern derzeit so beliebten Falsettgesang, viel Synthetik und auch sonst einigen 80er-Referenzen. Die Kids werden damit d'accord gehen; um mehr als eine Eintagsfliege zu sein fehlt aber ganz klar die Qualität und die Anknüpfungspunkte zur Nachhaltigkeit.

Satellite Stories - Phrases To Break The Ice [XYZ Music Berlin]

Ach ja, die Nachhaltigkeit. Da könnten wir nochmal zurück blicken auf das Jahr 2005 als der Postpunk und der New Wave wieder ganz groß waren. Und dann suchen wir mal nach Bands, die von damals noch übrig sind. Richtig, nicht viele. Und dann schauen wir mal, wer so nachgezogen ist in dem Genre. Ah, The Wombats. Haben wir nicht mehr so auf dem Schirm? Dann ist ja Raum da für neues, ähnlich geartetes. Voilà die Finnen von Satellite Stories und ihr Debütalbum "Phrases To Melt The Ice". Zehn Mal krachiger, nach vorne treibender Postpunk mit ein bißchen Wave und einer guten, angenehm hörbaren Portion Pop drin. Reißt in punkto Innovativität weder Bäume aus, noch dass es so vorsehbar ist, dass es langweilt. Aber es ist eben auch nicht so zupackend, dass man Offenbarung dazu sagen könnte. Vielmehr verstehen hier ein paar Jungs deutlich hörbar ihr Handwerk, und ja, es wird ein neuer Beitrag zu einem Genre geliefert, dem eine Frischzellenkur mal ganz gut stünde, aber vielleicht ist es dafür auch einfach noch zu früh. Für den Rockschuppen und den Alternative Radio-Airplay haben die Satellite Stories sicherlich den ein oder anderen Kracher im Gepäck; "Kids Aren't Safe In The Metro" dürfte auch dem ein oder anderen schon im Ohr sein. Leider erreichen die anderen neun Stücke nicht die Klasse dieses Hits. Der landet dafür aber auch mit Bravour auf meinem Jahres-Mixtape.

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen - Jeder auf Erden ist wunderschön, sogar du [Tapete / Indigo]

Superpunk gibt es nicht mehr. Die Band ist Geschichte, wurde unter Tränen beim BootBooHook mit einem mitreißenden Abschiedskonzert zu Grabe getragen. Wissende Zuhörer konnten da schon einen Blick auf das werfen, was Sänger Carsten Friedrichs und Bassist Tim Jürgens neues auf der Pfanne hatten. Zusammen mit drei neuen Mitmusikern gründeten sie nämlich die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, und das ist natürlich ein Name, der genau wie Superpunk wie die Faust aufs Auge passt, auch wenn er ungleich umständlicher ist, weil es länger dauert ihn auszusprechen, als sich von Superpunk auf (ich benutze hier eine trendy Abkürzung) DLDGG umzugewöhnen. Die Zutaten sind im Grunde die gleichen, böse Zungen mögen vom berühmten alten Wein in neuen Schläuchen sprechen. Die Texte strotzen vor dem typischen trocken-augenzwinkernd-melancholischen Hamburger Humor, den man angeblich in Hannover schon nicht mehr versteht; der Sound ist funky und soulig, beschwingt und catchy; die Themen über die gesungen wird, sind die Tücken des Alltags und gerne auch mal der Fußball. Es gibt keinen Punkt, an dem man nicht anknüpfen kann bei "Jeder auf Erden ist wunderschön, sogar du", und es gibt niemanden, der diese Platte ernsthaft nicht mögen kann. Superpunk ist tot, und jetzt tut es deutlich weniger weh.

Tamaryn - Tender New Signs [Cooperative Music / Universal]

Haben wir uns in dieser Ausgabe unserer Kurzenrubrik eigentlich schon über Hipstermusik ausgelassen? Nein? Na gut, einer geht ja noch. Und da passen Tamaryn ganz gut rein in diese Schublade. Das war schon zu Zeiten des Debüts so, und auch der neueste Streich der Neuseeländer schlägt wieder in diese Kerbe. "Tender New Signs" ist trendy und am Zahn der Zeit, dass es schmerzt; es ist seltsam 80er-esk surreal verträumt, benutzt äußerst viel Synthetik und noch mehr Hall, weltferne Vocals hinterm silbernen Milchstraßenvocoderteppich und einfach viel zu viel Style, um auf irgendeine Art und Weise nahbar zu sein. Jetzt darf man fragen: Na und? Was soll daran schlecht sein? Die Antwort lautet: Gar nichts. Weil es schick ist, über Hipstermusik zu meckern, und weil darüber viel zu oft außer Acht gelassen wird, dass so ein Konzept, auch wenn es beim ersten Hören eher Belustigung als Verehrung hervorruft, ja auch funktionieren kann. Das tut es bei Tamaryn dann, wenn man Lust hat auf einen watteweichen Wohnzimmertrip und sich gerne mal arty fühlt dabei. Für alle anderen ist auch "Tender New Signs" einfach nur over the top und findet schlicht den Punkt nicht.


Text: Kristof Beuthner