Heute ist Juli, der erste Tag darin. Ab jetzt fängt man an, vom Sommerloch zu sprechen. Wenn ich mir so meinen Plattenstapel anschaue, kann es eigentlich nicht daran liegen, dass in den warmen Monaten weniger Musik veröffentlicht wird. Und an der Qualität hapert es in der Regel auch nicht.
Exclusive - Nachtmensch [Flowerstreet / Indigo]

Für neue deutschsprachige Bands ist es ja zugegeben auch nicht gerade leicht, aus dem langen Schatten der Post-Hamburger-Schule-Phalanx hinauszutreten, nicht auf zertrampelten Pfaden zu wandeln und irgendwie etwas neues anzufangen. Doch unumstritten ist, dass musikalische Klasse häufig ohne eine gewisse Reife nicht geht. Jugendlicher Übermut ist eine feine Sache, doch gemünzt in eine Rockplatte kommt nicht immer Handfestes dabei heraus. So wie bei Exclusive, die ein Themenalbum über Nachtmenschen aufgenommen haben und sich dabei im Grunde ständig wiederholen. Irgendwo zwischen Madsen-Poprock und Elektrostomp finden die sehr jungen Jungs eigentlich eine ganz spannende Mitte, wäre nicht der Nachtmensch ein Clubber, der vor allem seine ungestüme Jugend feiern und genießen will, und würde er das nicht ausnahmslos auf jedem Stück kundtun, mit allen Ups und Downs. Das ist in all seiner Leichtsinnsliebe leider auf Albumlänge etwas eindimensional und verlangt alten Hörerhasen nicht über die Maßen viel ab, dürfte aber bei Gleichaltrigen und beim Festivalpublikum durchaus auf offene Ohren stoßen. Mal im Auge behalten!
Mozes & The Firstborn - I Got Skills EP [Siluh / Cargo]

Das macht Spaß: Österreichs Aushänge-Indielabel Siluh schickt mit Mozes & The Firstborn und deren EP "I Got Skills", die ein Vorbote auf das bald erscheinende Album ist, eine Band ins Rennen, die den 60er Jahren neues Leben einhaucht. Und zwar weder dem Flowerpower-Folk noch der Garagen-Psychedelik, sondern dem guten alten Rocksong, den man sofort mitsingen kann und möchte. "I Got Skills" ist eine Nummer im besten Hollies-Stil, "Bloodsucker" nimmt Stones- und Who-Anleihen, "Burn Burn Burn" klingt schön reduziert, und "Waiting For Something" rumpelt und ruckt schön Lo-Fi und lärmig. Dann ist der Spaß leider auch schon vorbei; mehr als vier Songs bekommen wir vorab nicht zu hören. Doch die schüren in ihrer Unbeschwertheit ganz schön Appetit auf den Longplayer, weil sie mit Zitaten nur so um sich werfen und sich auch nicht zu schade dafür sind. Feine Sache!
Mile Me Deaf - Brando EP [Siluh / Cargo]

Und wo wir schon mal bei Siluh sind, bleiben wir gleich da und sprechen über Mile Me Deaf, deren aktuelles Album "Eat Skull" durchaus zu einigen Ehren gekommen ist. Und die Österreicher legen mit "Brando" gleich noch einmal bravourös nach, präsentieren sich mit dem ihnen so eigenen Mix aus Folkpop und Gitarren-Noise schön abwechselungsreich und stilsicher schrammelig. Das ist auch nach wie vor natürlich nicht wie jedermanns Sache, so ist man beim Titeltrack der EP schön eingegroovt und bekommt umgehend ein Lärm-Monster wie "I Thought I Could Remember" um die Ohren, bevor es auf "Sometimes A Man Needs To Be A Human" wieder mit schleppenden Drums in eine ganz andere Richtung geht. Aber sich durch dieses Mini-Album durchzuentdecken macht, das kann man sich vorstellen, auch jede Menge Spaß und ist vor allem eines nicht: Langweilig. Mile Me Deaf gehören sicherlich zu den derzeit spannendsten weil vielseitigsten Österreich-Exporten.
Guaia Guaia - Eine Revolution ist viel zu wenig [Vertigo / Universal]

Wie ist es so bestellt um deutschen Rap? Speziell durch die Chimperator-Menschen wird ja derzeit wieder eine große Menge frischer Wind in das Genre geblasen. Und was frischen Wind angeht, reihen sich Guaia Guaia eigentlich ganz gut ein hinter Muso, SAM und anderen. Die beiden Guaias Luis und Elias kommen auch von der Straße, aber nicht so sehr mit Ghettobackground, sondern eher mit Straßenmusikerfame. "Eine Revolution ist viel zu wenig" heißt das Debüt des Duos, auf dem sie Rap mit Elektronik und Reggae mischen und Gesellschaftsverdrossenheit, German Angst und Lebensphilosophie in dicke Beats und zupackende Loops kleiden. Was eigentlich klingt wie eine sichere Sache, krankt leider an den nicht immer einwandfreien Lyrics, die zwar durchaus Chartsappeal haben (Die Single "Alle Autos fliegen hoch" läuft schon im Musik-TV), für Rapfans aber einen Tick zu wenig Pfiff haben dürften.
The Bronx - IV [PIAS / Rough Trade]

Die sehr umtriebigen The Bronx dürfen nach zuletzt zwei Mariachi-Alben als Mariachi El Bronx wieder das sein, was sie eigentlich sind: Nämlich eine lupenreine Punkband mit ordentlich Krach im Gebälk und Dreck in der Stimme. Nach wie vor ist es faszinierend zu sehen, wie die Band jetzt eben den Sprung zurück zu alter Stärke findet und all den Schmacht und diesen herrlich überzogenen Mexiko-Kitsch ihrer Verkleidungsband wieder einfach so austauschen kann, was definitiv für die Wandlungsfähigkeit der Truppe spricht. "IV" ist ein sehr gutes Punkalbum geworden, geht anständig steil nach vorne und ist schön laut. Und bei all dem Drive vergessen die Herren zum Glück auch die Melodiosität nicht. Also: Viel Brachialität, viel Schlagzeuggitarrebass und viel alkoholhaltige Getränke. Klasse!
Anna von Hausswolff - Ceremony [City Slang / Universal]

Mit der Schwedin Anna von Hausswolff haben die Herrschaften von City Slang wieder einen absolut grandiosen Griff getan. Das solche Musik in Schweden tatsächlich chartet, ist im Grunde kaum zu glauben. Dieser dramatische Dronepop, komponiert vornehmlich an der Orgel, ist schwelgerisch, verworren und auch nicht unanstrengend, vereint - wenn man Vergleiche ziehen möchte - die Quintessenzen aus Sigur Rós, CocoRosie und Get Well Soon auf einer Platte. Die heißt vollkommen zurecht "Ceremony", denn auch einen gewissen feierlichen, zuweilen sogar sakralen Grundton (Orgelklischee, na klar) kann man ihr nicht absprechen. Vor allem ist das ganze aber hochgradig spannend und faszinierend, einen nicht unwesentlichen Anteil hat auch Anna von Hausswolffs sehr einprägsame Stimme, wer Kate Bush mag, wird sich hier schnell zuhause fühlen. Definitiv ein Highlight in Sachen Seltsamkeitsmusik, die aber gerade deshalb ein absolutes Highlight setzt.
Text: Kristof Beuthner