Rezensionen 03.02.2012

Lana Del Rey - Born To Die [Vertigo Berlin (Universal)]

Stellen wir uns vor, wie ein junges Mädchen namens Lizzy Grant in ihrem Zimmer auf dem Bett liegt, Kaugummi kaut und eine amerikanische Boulevardzeitschrift liest. Während sie sich Fotos von gut gekleideten Frauen anschaut, die über rote Teppiche auf irgendeiner Eröffnung in New York City schreiten, scheint draußen die Sonne auf die Straßen von Lake Placid- einer Stadt, die auf einen Tourismus aufbaut, den es kaum noch gibt. In diesem Moment beschließt Lizzy Grant: sie wird hier irgendwann verschwinden. Sie wird nach New York City gehen und berühmt werden! Aber wie stellt man das an?

"Find someone who has a live like you want and figure out how they got it. Pick your role models wisely - find out what they did and do it!"

Lizzy Grant zieht nach New York City und fängt an in kleinen Bars aufzutreten. Und sie sucht sich ihre role models, berühmte Vorbilder, denen sie nacheifern kann. Eines dieser Vorbilder ist Lana Turner, eine US-amerikanische Schauspielerin der 1940er und 1950er Jahre. Sowieso ist Lizzy Grant von den glamourösen 40er, 50er und 60er Jahren fasziniert. Die größte Zeit ihres Vaterlandes: Hollywood wurde täglich größer und einflussreicher, das Versprechen nach Ruhm und Erfolg, der American Dream war präsent wie nie und eine gewisse Norma Jean Baker gab sich den Namen Marilyn Monroe und wurde zum Sex- und Kultsymbole weit über die Grenzen des Landes hinaus. Und somit ist auch der Titel des kürzlich erschienen Debütalbum sehr bewusst gewählt: Born To Die. Geboren um zu sterben und dadurch zu ewigen Ruhm zu gelangen. Wie Monroe, die mit 36 Jahren an einer Überdosis starb und um deren Tod sich seitdem zahlreiche Verschwörungstheorien gebildet haben, die ihren Ruhm postmortem nur verstärkt haben.

Lizzy Grant verbringt auch eine Zeit in Miami und gibt sich dort einen Künstlernamen. Der Name soll ihre Musik beschreiben und ihr zu Ruhm verhelfen: "Lana Del Rey reminded us of the glamour of the seaside. It sounded gorgeous coming off the tip of the tongue.”
Zurück in New York nimmt Lizzy, die nun Lana heißt einen ihrer Songs auf. Für den Videoclip verwendet sie mehrere Super-8-Filme, die sie zusammenschneidet. Sie montiert auch Aufnahmen von sich selbst zwischen die Videoausschnitte. Lasziv und lolitahaft posiert sie vor ihrer Webcam, orientiert sich an den Bewegungen und dem Kleidungsstil ihrer Lieblingszeit. Kühl und abgebrüht möchte sie rüberkommen. Lacht nicht und guckt mit einer Mischung aus Langeweile und Begierde in die Kamera. Lana Del Rey wirkt beinahe alterslos. Die raue tiefe Stimme lässt sie reif wirken. Ebenso die aufgepumpt aussehenden Lippen, die zentimeterlangen Fingernägel, die auftoupierten Haare. Aber ihre Bewegungen wirken teilweise unsicher und gestellt. Zwischendurch sieht man auch das junge Mädchen Lizzy Grant aus Lake Placid, was sich hinter der Fassade Lana Del Rey zu verstecken versucht. Noch deutlicher wird dies in Interviews. Hier ist die Sängerin oft unsicher, erzählt manchmal zu viel von sich und guckt dann peinlich berührt auf den Boden. Man merkt, dass sie sich selber permament beobachtet, überlegt wie sie sich bewegen soll, wie sie aussieht. Ihr scheint auch die Meinung anderer Leute über sich selbst enorm wichtig zu sein. So geht es in den meisten ihrer Lieder darum, was Männer über sie denken und wie Männer ihre Frauen haben wollen:

i heard that you like the bad girls honey, is that true? 
VIDEOGAMES

he doesn't mind I have a flat broke down life in fact he says he thinks it's what he might like about me 
OFF THE RACES

you like your girls insane 
BORN TO DIE

he says to "be cool"
NATIONAL ANTHEM

Lizzy Grant scheint krampfhaft zu versuchen die von ihr erschaffene Lana Del Rey zu sein. Dieser abgeklärte weibliche Star, den nichts mehr beeindrucken kann. Aber vielleicht macht sie genau dieser Versuch so interessant. Alles an ihr ist gecovert und drückt eine Sehnsucht nach vergangenen Zeiten aus. Am Anfang des Videos zu der zweiten Singleauskopplung BORN TO DIE steht Lana Del Rey mit ihrem Videopartner eng aneinandergeschmiegt vor einer Amerika Flagge, während Interviews trinkt sie demonstrativ CocaCola, sie trägt protzige Chanelohringe und betont ihre Lippen oft durch Lipgloss. Lizzy Grant versucht durch Lana Del Rey die großen Zeiten Amerikas wieder aufleben zu lassen. Sie möchte sich wieder Männern unterwerfen dürfen, möchte dazu stehen können, dass sie reich und berühmt sein will, möchte den Konsum loben und stolz auf Amerika sein. Und genauso möchte sie aufrichtige und weitestgehend anspruchslose Popmusik machen. Ihre Musik baut auf Ohrwürmern und leichten Beats auf. Sampelt unterschiedliche Musikstile und passt sie dem Popgenre an. Jeder einzelne Text handelt von der Liebe und vom Verlassen werden. Ihr scheint auch bewusst zu sein, dass sie sich mit ihrer außergewöhnlichen Stimme viel erlauben kann. Was bei anderen zu schnell wie jeder beliebige Poptrack klinge würde, wertet Del Rey mit ihrem Gesang auf und gibt somit dem Pop etwas verruchtes lolitahaftes. Allerdings ist und bleibt das Album ein leichtes Popalbum, was man schnell überhört. Zwar überzeugen einige der Songs sehr und haben auch- wie VIDEO GAME- ein absolutes Hitpotenzial (z.B. SUMMERTIME SADNESS, dessen Refrain man einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt, oder BORN TO DIE, ein elegisch heranrollender Song), ansonsten kann man dem Album nicht viel abgewinnen. Aber vielleicht geht es auch genau darum: Musik zu machen, die den Leuten kurz im Kopf bleibt, die sie unter der Dusche mitsingen können und dann auch wieder vergessen, um etwas neues zu konsumieren. Auch dies sind die großen amerikanischen Werte von verwerten und neukaufen. Nichts soll ewig bleiben, da das kein Gewinn einbringt. 

money is the reason we exist. everybody knows it. it's a fact. kiss, kiss.
NATIONAL ANTHEM

Text: Lasse Scheiba

moremoremore about:
Offizielle Homepage