Nicht häufig erreicht uns Musik aus Grönland. Wenn dem doch so ist, dann klingt sie allerdings meistens so gut, dass man dem ersten Satz ein "leider" anbei stellen muss. Einen äußerst eindrucksvollen Beweis gefällig? Voilà Nive Nielsen, die ihr Debütalbum "Nive Sings!" zusammen mit ihrer Band, The Deer Children, vor zwei Monaten via Glitterhouse Records veröffentlicht hat.
Und seitdem fleißig Lob und Preisungen sammelt. Zurecht. Denn was die Dame auf ihren insgesamt vierzehn Songs der immens breiten Musikrichtung Folk an vielleicht nicht neuen, aber heimeligen, innigen und verspielten Facetten abgewinnt, ist stilsicher und auf eine höchst faszinierende und eigenartige Art und Weise eigenständig.
Ihre auf Grönländisch gesungenen Songs klingen geheimnisvoll, ihre englischsprachigen Stücke niedlich, aber nie verkommt Nives Niedlichkeit zum Selbstzweck - wer hinhört, entdeckt zwischen Rentieren und Kaffeemaschinen auch eine Ernsthaftigkeit, eine Verletzlichkeit, eine Tiefe. "Nive Sings!" ist ein Album, das alles hat, von einer spannenden Künstlerin. Mehr als ein guter Grund, sich mit Nive Nielsen für ein kleines Interview zu treffen. Und das wird dann doch ein größeres. Vor allem deshalb, weil Nive eine unglaublich freundliche, offene Gesprächspartnerin ist, mit der sich zu unterhalten großen Spaß macht. Sie lacht viel wenn sie spricht, und zu erzählen hat sie eine Menge: Über die Bedeutung ihrer grönländischen Stücke, ihrem Konzert vor der dänischen Königin und ihrer Arbeit mit dem Regisseur Terrence Malick.

Du kommst aus Grönland, aber du reist sehr viel; sammelst Eindrücke aus irrsinnig vielen Orten dieser Welt. Inwieweit denkst du, dass dich dein Heimatland in deiner Musik beeinflusst?
Ich bin vor kurzem nach Südspanien gereist, ich war in Cordoba. Dort begann ich, zu realisieren, was die Leute meinen, wenn sie sagen, man hat einen "nordischen Sound". Ich konnte es davor nicht so richtig einordnen und wusste nie, was die Leute meinten. Aber nun, wo ich weit genug von daheim weg bin und viel Musik gehört habe, verstehe ich es besser. Und ich denke, ich erkenne auch in meiner Musik einen "nordischen Sound". Aber ich denke, ich habe meine Musik nie absichtlich "nordisch" klingen lassen, das passiert von selbst - aber das muss an meiner Heimat liegen!
Gibt es andere Orte auf der Welt, von denen du sagen würdest, dass sie dich beeinflussen? Menschlich wie musikalisch?
Ja, sicher - und zwar sind das all die Orte, an denen etwas passiert. An denen man offene, freundliche Menschen trifft, die mit dir sprechen. Orte, an denen Dinge geschehen, an denen das Leben in Bewegung ist. Es spielt eigentlich keine Rolle, wo auf der Welt diese Orte liegen; es gibt sie überall!
Lebst du denn noch in Grönland?
Ich versuche es zumindest! Mein Freund und ich haben ein Haus dort, aber da wir viel reisen, schaffen wir es meist nicht, länger als drei Monate im Jahr dort zu verbringen. Das ist sehr schade!
Wenn du an deine Jugend dort zurückdenkst - kannst du dich da an spezielle Erfahrungen mit Musik erinnern, von denen du sagen würdest, dass sie wichtig für dich waren?
Als ich ein Kind war, gab es so einen Soul-Song, den meine Mama mir vorgespielt hat und den ich wirklich gern hatte... "Hands Up, Baby Hands Up..." (singt) Das war mein Lieblingssong, als ich drei oder vier war (lacht). Ich habe dann viel grönländisches Radio gehört, später aber sehr viel anderes als meine Freundinnen, die die Backstreet Boys und Take That sehr gerne mochten. Im Gegensatz zu mir! Ich habe viel Metal gehört; viel alte Sachen von den Beatles oder den Doors. Heute hören meine Band und ich wirklich irre viel, von Jazz über afrikanische Musik bis hin zu Pop!

Lass uns über deine Songs sprechen! Du hast ja vorhin bei deinem Konzert schon erwähnt, dass dein Song "Mr. Coffee Boy" autobiographisch ist (es geht dabei darum, dass Nive ständig vergisst, ihrem Freund Kaffee zu kochen). Wie kamst du auf die Idee, aus dieser Geschichte einen Song zu machen?
Oh, ich glaube, ich wollte vor allem meinen Freund ärgern (lacht). Aber gleichzeitig habe ich viele Kurzgeschichten von Raymond Carver gelesen, einem amerikanischen Autor, den ich sehr bewundere. Er schreibt so großartige Sachen; du liest seine Geschichten und siehst all diese alltäglichen Situationen, von denen er erzählt, direkt vor dir. Aber du musst zwischen den Zeilen lesen, er schreibt so symbolhaft. Das beeindruckt mich so sehr! Ich will mich keinesfalls mit Raymond Carver vergleichen, versteh mich nicht falsch - aber die Art, zu erzählen, habe ich versucht, für mich umzusetzen. Wer den Song hört, kann wählen, welche Zeilen aus dem Text er wörtlich oder metaphorisch nehmen möchte.
Ich hatte das Gefühl, es ist ein Lovesong!
Ja, das ist es auch - auf eine Weise. (lacht)
Auf deiner Platte sind drei Songs, die du auf Grönländisch singst: "Aqqusernit", "Uulia" und "Tuttukasik". Über einen hast du auf der Bühne schon gesprochen; "Uulia" ist ein Protestsong gegen die Ölplattformen vor der grönländischen Küste. Kannst du ein bißchen darüber erzählen, wie es zu den Songs gekommen ist und wovon sie erzählen?
"Aqqusernit" ist ein Appell an die eigene Stärke in jedem Menschen. Es gibt in Grönland leider eine sehr hohe Selbstmordrate. Ich wollte gerne einen Song schreiben, durch den ich sage: Es gibt Momente im Leben, in denen dir schreckliche Dinge passieren. Aber du musst darauf vorbereitet sein, damit du mit ihnen umgehen und dein Leben fortsetzen kannst! Es ist so wichtig, an die eigene Stärke zu glauben und sie nicht zu vergessen. - "Uulia" habe ich geschrieben, weil es in Grönland Wahlen gab, an denen ich wegen meiner Reisen nicht teilnehmen konnte. Also schrieb ich statt dessen diesen Song. Sie bohren nach Öl in der arktischen Tiefsee, und das finde ich einfach so riskant. Es werden da sehr gefährliche Chemikalien verwendet; wenn dort ein Unfall passiert - und das ist bei den schlimmen Stürmen und den Eisbergen dort nicht unwahrscheinlich - dann wird es unfassbar lange dauern, bis die Natur sich von einer solchen Katastrophe erholen könnte. Für die Natur wäre es schrecklich, und auch für die Fischer, die von ihrer Arbeit leben, wäre es katastrophal. Es war mir wichtig, all diese Probleme in einem Song anzusprechen!

Und wovon handelt "Tuttukasik"?
Ah, das ist ein lustiger Song. Er basiert auf einem kleinen Wortspiel, das grönländische Kinder oft machen. Das geht so (sagt den Satz, den ich nicht transkribieren kann, I'm sorry! Er besteht aus vielen, sehr gleich klingenden Silben!). Der Witz ist, dass dieser Satz grammatikalisch völlig korrekt ist, und er bedeutet: "Dreckige Rentiere essen Rentiere, wie dreckige Rentiere es tun". Totaler Nonsens natürlich (lacht). Ich habe den Song geschrieben, weil ich es lustig finde, eben nicht immer Songs über Natur und Liebe und ähnliches zu schreiben. Manchmal kann man auch einfach einen völlig albernen Song schreiben. (lacht)
Wie hast du dich dafür entschieden, ausgerechnet diese drei Songs auf Grönländisch zu singen?
Ich denke, das sind einfach Songs, die ich in Grönland geschrieben habe, weil ich ihre Themen auf Grönländisch gedacht habe. Bin ich nicht zuhause, denke ich häufig auf Englisch, dann sind auch die Songs auf Englisch! "Aqqusernit" ist ein bißchen anders, weil er sich eben an die Menschen in Grönland richtet. Ich spreche da mit den Menschen, und sie sollen mich verstehen!
Es ist ja relativ wenig über die grönländische Musikszene bekannt. Kannst du sagen, was sie besonders macht? Ist sie vergleichbar mit denen anderen skandinavischer Länder, wie beispielsweise Island?
Oh, das ist sehr unterschiedlich. Wir sind ja eine andere Volksgruppe, wir sind Inuit. Ein Teil von uns orientiert sich sehr an der ursprünglichen Inuit-Kultur, ein anderer Teil blickt eher auf Skandinavien. Es vermischen sich da zwei kulturelle Ausrichtungen. Ich bin, denke ich, zu nah dran, um wirklich Besonderheiten finden zu können.
Man konnte über dich im Zuge der Veröffentlichung deiner Platte ziemlich viele spannende Geschichten lesen. Über einige würde ich gerne mehr wissen! Du hast zum Beispiel in einem Hollywood-Film mitgespielt, in Terrence Malicks "The New World". Es war scheinbar eine sehr kleine Rolle, in der Internet Movie Database ist dein Rollenname als "Inuit Woman" aufgeführt. Wie hat sich für dich die Gelegenheit ergeben, bei dem Film mitzuwirken?
(lacht) Oh, ich hätte fast die Hauptrolle bekommen! Terrence Malick hat Monate gebraucht, um die richtige Darstellerin für die Pocahontas-Rolle zu finden. Ich habe sie dann nicht gekriegt, weil ich einfach zu alt war. Pocahontas ist in dem Film fünfzehn Jahre alt, ich war zu dem Zeitpunkt schon 24. Q'orianka Kilcher war zu diesem Zeitpunkt vierzehn, das hat besser gepasst. Und sie ist auch wirklich eine tolle Schauspielerin (lacht). Malick hat dann das Drehbuch verändert, damit ich trotzdem dabei sein konnte, aber eben nur in einer sehr kleinen Rolle. Aber am Ende wurde meine Szene dann doch rausgeschnitten, unglücklicherweise. Im Kino war ich nur kurz zu sehen, weil die ursprüngliche Fassung nachträglich gekürzt wurde. Und jetzt sieht man mich nur noch im Director's Cut. (lacht)

Wie bist du Terrence Malick begegnet?
Ich habe vorgesprochen für die Rolle! Aber ich wusste nicht, worum es geht. Mein Freund hat mir eine E-Mail weitergeleitet, wo es um das Vorsprechen ging. Und ich war von meinem Politikwissenschafts-Studium gelangweilt, also dachte ich: Okay, warum nicht? Und das war spannend, ich fuhr nach Los Angeles und sah die Paramount Studios und die Sony Studios, und ich habe in Hotelzimmern gewohnt und dufte den Zimmerservice benutzen (lacht)! Die Szene wurde dann in Wales gedreht; das war eine tolle Erfahrung!
Und wie hast du ihn als Regisseur erlebt?
Ich denke, er ist ein sehr, sehr kluger Mann. Er ist sehr freundlich! Aber er ist auch ein sehr introvertierter Mensch, der nicht viel spricht. Mit seiner Frau habe ich mich viel unterhalten, sie ist so nett, eine wundervolle Lady. Ich habe großen Respekt vor dem, was Terrence Malick tut.
Ich habe gelesen, dass du eine Show für Kinder im grönländischen Fernsehen moderiert hast! Erzähl ein bißchen darüber!
Oh ja, das war toll! Als ich ein Teenager war, habe ich diese Sendung gemacht. Eine großartige Erfahrung, wir hatten viel Spaß. Wir konnten unsere eigenen Stories vorbereiten, Interviews führen, Filmen, Schneiden, Musik unterlegen... Ich habe viel gelernt! Leider kann man es nirgendwo mehr sehen, auch nicht im Internet - da hast du Pech! (lacht)
Und noch eine Story über dich erzählt, dass dein erstes Konzert überhaupt gleich vor dem dänischen Königshaus war...
Genauer gesagt war es mein zweites. Ja, wirklich! Das war merkwürdig. Mein erstes war einen Tag vorher, am Nationalfeiertag von Grönland. Wir hatten gerade mehr Unabhängigkeit von Dänermark erlangt, und ich spielte mein erstes Konzert. Ich war so nervös! Wir haben für die Königin gespielt und ihren Mann und all den Ministern, und es wurde im Fernsehen übertragen. Unglaublich nervenaufreibend war das (lacht)! Ich habe aber mit keinem aus der Königsfamilie gesprochen, ich habe mich nicht einmal getraut irgendjemanden anzusehen!
Was sind denn deine Pläne für die nähere Zukunft? Das Album ist nun seit ein paar Monaten draußen, was passiert bei dir als nächstes?
Wir haben gerade ein bißchen Zeit für Entspannung, bis das Album in Frankreich erscheint. Dann werden wir dort ein paar Konzerte spielen. Anschließend kommen wir für ein paar Shows nach Grönland zurück, darauf freue ich mich natürlich sehr. Und dann, im Herbst, werden wir - wenn alles gut geht! - nach China, Japan und Australien fahren, und das ist unglaublich! Ich war noch nie in Asien! Ich bin unheimlich gespannt!
Interview: Kristof Beuthner
Fotos: Jan Bruns