Vor kurzem wurde ja an dieser Stelle schon über den derzeitigen Siegeszug der Neoklassik berichtet. Einer der spannendsten Vertreter dieses wieder erstarkten Genres ist der britische Komponist Max Richter, den wir nicht zuletzt durch den ein oder anderen Filmsoundtrack in jüngster Vergangenheit sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen haben.
Da wäre beispielsweise sein unfassbar intensives "On The Nature Of Daylight", das in Martin Scorseses "Shutter Island" zu hören war und durch die Vocals von Dinah Washingtons "This Bitter Earth" nicht nur kongenial ergänzt, sondern zu einem irrsinnig aufreibenden Klagelied umfunktioniert wurde, oder der mehrfach ausgezeichnete Score zu "Waltz With Bashir". Doch darum soll es jetzt gar nicht gehen; hier geht es vielmehr um die "Recomposed"-Reihe des Deutsche Grammophon-Labels, die Musiker aus dem Techno- und Clubkontext auf Werke großer Komponisten loslässt um diese neu zu interpretieren. Nun ist Max Richter im Grunde weder ein Techno-DJ noch ein Clubrocker, wenngleich er mit elektronischer Musik aufwuchs; nichtsdestotrotz darf er sich einem der berühmtesten Werke des Hochbarock annehmen, Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten"; einem dieser Epen, die sogar dem klassikfernen Hörer ein Begriff sind. Dazu holte er sich in André de Ridder einen der wichtigsten Dirigenten der heutigen Zeit ins Boot und ließ seine Umarrangements vom Kammerorchester des Berliner Konzerthauses einspielen. Richters Ziel war es, auf der einen Seite dem Werk eine neue Richtung zu verleihen und es umzuinterpretieren, auf der anderen Seite sich aber auch vor Vivaldi zu verbeugen und zudem Liebhaber seiner Kunst nicht zu verprellen. Was nach Nummer sicher klingt, ist letzten Endes eine Angleichung von Vivaldis Werk an das Schaffen Richters, an die Art zu komponieren, die seine Musik eben auch immer wieder für die Verwendung in Filmen so interessant macht - die Dramatik, die epische Breite, die erzählerische Dichte der Arrangements. Das Original mit seiner musikalischen Darstellung von Natur, Licht und Farben der Vier Jahreszeiten als Vorlage für Max Richter wie geschaffen. Seine Neuinterpretationen klingen weitestgehend naturbelassen, sie werden seltenst mit synthetisch anmutenden Effekten angereichert und vielmehr auf einen breiten, pompösen Streicherteppich gebettet; aus der Elektronik bekannte Elemente wie Sampling und Looping werden nicht mit Maschinen, sondern orchestral eingesetzt. Dazu ist es diese permanente, selbst in exaltierteren Momenten spürbare Melancholie, die man aus den zeitgenössischen Kompositionen Max Richters kennt, mit der er das Früher mit dem Heute verbindet. Kenner des Werkes werden sich nicht verloren fühlen, immer wieder finden sich bekannte Phrasen, die aber die geläufigen Wege verlassen, sich neu sortieren, die Richtung ändern, wie etwa auf "Summer 3" oder "Winter 1". Herausgekommen ist ein absoluter Hochgenuss, der auf beeindruckende Weise Vivaldis Erbe jetzttauglich macht und sich gleichzeitig vor seiner großen Kunst verbeugt. Von Richters Seite aus ist es zugleich Hommage wie Statusbehauptung eines Komponisten und Künstlers, dem man dringend viel Beachtung schenken sollte.
Text: Kristof Beuthner