Rezensionen 23.06.2012

Messer - Im Schwindel [This Charming / Cargo]

Ist ja prinzipiell ein sehr gutes Jahr für deutschsprachige Bands härterer Gangart. Findus, Hoch/Tief, Frau Potz, Manual Kant - und nun Messer (scharfer Name, ha ha!) aus Münster mit ihrem Debütalbum "Im Schwindel". Im Einhalten von Genrekonventionen üben sich diese Herren zu keinem Zeitpunkt.

Die Zeit ist ohnehin vorbei, dass deutschsprachige Indiebands in den erweiterten Kreis der Hamburger Schule geschubst wurden. Damalige Referenzkapellen sind mittlerweile etabliert und schöngeistige Elder Statesmen geworden (Tocotronic, Kettcar, Tomte) oder haben sich ganz aufgelöst. Vielleicht wird es Zeit für eine neue Generation spannender Bands, die wieder mal etwas eigenes versuchen. Im Falle von Messer bedeutet das: hektischen, treibenden, krachnahen Rock mit harschen Vocals, mehr gesprochen, fast schon geschrien als gesungen, aber eben fernab von unverständlichem Gebrüll, und das macht das Ganze sehr intensiv. Es ist alles nicht neu, aber was ist schon noch wirklich neu heutzutage? Viel wichtiger ist, dass die Band um Sänger Hendrik Otremba einen höchst eindringlichen Musikbeitrag liefert, der nicht schönspielen will, sondern spröde lärmt und rüttelt, schnarrt und drängt. Otrembas Stimme mit seiner Art, die Texte über Depression, Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit herauszuschreien, geht äußerst tief; das hat man auf diese Weise lange nicht mehr gehört in der vielkritisierten Betulichkeit der Szene. "Im Schwindel" wird nicht wenigen bei den ersten beiden Hördurchläufen auch unangenehm aufstoßen. Und das ist gut so; es gibt viel zu viele Feelgood-Platten; das hier ist keine; man soll sich nicht besser fühlen nach ihrem Genuss, sondern man soll sich mit Otremba an den von ihm besungenen Zuständen weiden, sich fordern lassen. Und das kommt auf Stücken wie "Augen in der Dunkelheit", "Sulai" oder dem krautigen "Lügen" wirklich einer Tour de Force gleich. Einer heilsamen? Das darf jeder für sich entscheiden; faktisch aber sind Messer eine von zuletzt wieder erfreulich vielen Bands, die sich gekonnt jeglicher Konvention entziehen und dabei ein höchst dringliches Statement abgeben.

 

Text: Kristof Beuthner