Gute alte Bekannte aus dem Glitterhouse kommen zurück. Unter neuem, fast neuem Namen. Erweitert um ein "Mount" legen die Norweger von Washington ein Album vor, das fast keine Wünsche offen lässt, ihr bisheriges Schaffen präzise auf den Punkt bringt und es um eine kleine, feine Facette erweitert: die dezente Elektronik.
Und das steht ihnen nicht schlecht. Es wäre schließlich auch ein Stück weit verwunderlich gewesen, wenn es nicht eine neue Richtung, ein neu zu entdeckendes Feld gegeben hätte für Rune Simonsen, Esko Pedersen und Andreas Høyer aus Tromsø. Jedes der bisherigen drei Alben klang eigenständig und anders, wandelte von weiten Soundscapes über schwelgerische Americana und Folk bis hin zu proggigen Elementen und dem, was wir im besten Sinne als Britpop verstehen. Der rote Faden: die prägnante Stimme von Rune Simonsen, nah am Falsett, zerbrechlich und dennoch kraftvoll, schwebend über den Instrumenten. Und die Melancholie, diese - Verzeihung, ich weiß, es ist platt - typisch nordische Melancholie. Doch, hoppla: auch die scheint gewichen auf "Mount Washington". Speziell der Einstieg in die Platte gerät mit dem noch etwas zurückhaltenden, elektrisch pluckernden "How Does It Feel", spätestens aber mit dem umarmenden "Silver Screen" und der starken Single "Lisboa", die auch den bisher eingängigsten Song im Washington-Universums darstellt, deutlich offener als alles, was man von der Band vorher kannte. Da ist Kraft spürbar, eine Energie, eine Aufbruchsstimmung. Das tut gut; es ist neu, es ist anders, und doch ist da dieses ganz spezielle, edle Flair, das die Norweger immer schon ein kleines Stück über ihre musikalisch ähnlich auftretenden Kollegen stellte.
Doch sie ruhen sich nicht aus auf der Eingängigkeit der ersten Songs; schon "A Good Run" klingt wieder seltsam distanziert; Synthieflächen bewegen sich beinahe konträr zur Melodie, die Gitarren werden nur angedeutet, der Song wirkt spukig. Ähnlich "Toscana", das sogar fast ausschließlich vom Synth getragen wird. Dann "Next Year", das sich plötzlich wieder aufschwingt zu ungeahnten Höhen, jubilierend, hymnisch, als hätten Travis sich mit den Editors zum Tee trinken getroffen. Es folgt mit "Concord" ein fast schon störrisches Stück Elektronik, Haken schlagend, Melodiebögen folgend und wieder verlassend. "If Ever", auf dem ebenfalls die Eingängigkeit der Spannung Platz macht, auf dem Rune Simonsens Stimme in den Hintergrund rückt und die Instrumente ein Bild malen dürfen, auf dem alles drauf ist: Weite, Leere, hell, dunkel. Glockenspiele und sonderbar unstete Gitarren. "Broken Home", das wieder erstaunlich nach den Editors auf Höhe der letzten Platte klingt, wäre da nicht die wesentlich hellere Klangfarbe in der Stimme. Und schließlich "Radio Silence", das noch einmal den großen Bogen spannt, mit gut sechs Minuten Spielzeit das längste Stück der Platte ist. Das ist mächtig, psychedelisch, wieder nähert sich Rune Simonsens Stimme, um sich im nächsten Moment gespenstisch zu entfernen. Es pocht das Schlagzeug, das Becken klirrt, die Sythieflächen wissen nicht recht, wohin. Die Sonne, die auf den ersten Songs noch schien, ist gewichen, und jetzt ist es neblig. Und das bleibt es. Bis zum letzten Ton.
"Mount Washington" ist ein Album geworden, das uns die Band in ihrer immensen Vielseitigkeit präsentiert; in ihrer Gewandtheit und Filigranesse eine Geschichte erzählen lässt, aus der man vielleicht erst nach drei, vier Durchläufen schlau wird. Der Spannungsbogen bleibt eben auch deshalb permanent erhalten, weil sämtliche Gefühle zwischen Euphorie und Lethargie bedient werden, ohne dass Mount Washington sich in einer Ecke verlieren. Wie ich schon sagte: das bisherige Schaffen kommt auf den Punkt. Folk, Americana, Bombast, Pop, Psychedelia. Und das ist nicht mehr und nicht weniger als ganz große Klasse.
Text: Kristof Beuthner