Rezensionen 29.10.2015

Ólafur Arnalds & Nils Frahm - Collaborative Works [Erased Tapes / Indigo]

Es existiert eine tiefe Freundschaft zwischen den einzigen beiden Menschen, von denen ich ganz sicher glaube, dass ihre Tage tatsächlich 48 Stunden haben und die somit - und übrigens auch und vor allem musikalisch, vielleicht infolgedessen - in der Lage sind, die Zeit anzuhalten.

Die Rede ist vom Isländer Òlafur Arnalds und Nils Frahm, beide Pianisten mit Fühlern in Richtung Ambient, Elektronik (Das erste Album von Ólafur Arnalds' Projekt Kiasmos, zusammen mit dem Färinger Janus Rasmussen, gehört in diesem Jahr zweifelsfrei zu den Genre-Spitzen), Pop und im Fall von Nils Frahm sogar Dub, cinematographisch, episch, intim im Sound. Verantwortlich für Momente auf der Bühne, die wunderschön anzusehen sind: Wenn sie sich gegenseitig bei ihren Konzerten für ein Stück auf der Bühne besuchen und sich anschließend kurz umarmen. Da lässt sich eine Verbindung an den kurzen Fragmenten ablesen, die weit über musikalische Features hinaus geht. Überhaupt: Wer es schafft, sich so in die Musik des anderen hineinzufühlen, dass es ihm gelingt, improvisatorisch das gleiche Level an Intensität zu erreichen, muss - und allemal bei dieser Art von Musik - seelenverwandt sein. Dabei spielt es nie eine Rolle, welche Form der Sound des jeweils anderen gerade angenommen hat: Im Sommer in Haldern gastierte Arnalds auch bei Frahms Dub-Set, Frahm wiederum machte bei Kiasmos aus Versehen einen Synthesizer kaputt. Das gehört eben auch dazu.

Doch das Ganze ist nicht nur ein Live-Ding aus musikalischen Freundschaftsdiensten. Wer so gut harmoniert, landet zwangsläufig irgendwann im Studio. Und wer das Schaffen der beiden ein bißchen verfolgt, weiß natürlich, dass es in diesem Jahr gleich mehrfach zu Releases von Zusammenkünften kreativer Art gekommen ist. Drei EPs, "Stare" (eigentlich schon 2011 erschienen, 2015 aber neu aufgelegt), "Loon" (entstanden Herbst 2014) und "Life Story / Love And Glory" (vom Oktober 2012, dieses Jahr zunächst exklusiv in ausgewählten Plattenläden, dann später auch regulär auf Vinyl veröffentlicht), dazu der Studiofilm "Trance Frendz", bei dem sich die beiden anlässlich ihrer neuen Website arnaldsfrahm.com im Studio einschlossen und eine Nacht lang sieben Improvisationen einspielten. Die vier Werke sind Teil des Doppelalbums - nein, der Schaffenscollage, das passt besser - "Collaborative Works", CD 1 mit dem EP-Trio, CD 2 mit der Audioaufnahme von "Trance Frendz".

Ja, einen besseren Überblick über die Bandbreite der schier unerschöpflichen klanglichen Fähigkeiten der beiden kann man sich dann auch tatsächlich kaum vorstellen. "Stare" und "Loon" bedienen die technoiden, synthetischen Vorlieben; bei ersterer EP gastiert auch die Cellistin Anne Müller, die schon lange auch mit Ólafur Arnalds und Nils Frahm auf der Bühne steht. "Stare" begibt sich dabei eher in Ambient-Strukturen, flächig, schwebend; "Loon" wird getrieben von stoischen Beats, stellt perkussive Elemente in den Fokus, darüber pluckern die Synthies und entwickeln einen hypnotischen Drive. "Life Story" und "Love And Glory" wiederum sind zwei unendlich zärtlich-melancholische, an zwei Klavieren aufgenommene Improvisationen; ersteres gehört für mich zu den schönsten Instrumentalstücken, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden. Alles greift ineinander, umspielt sich, das Main Theme wird immer wieder leicht variiert; ein echter Genuss.

Das eigentliche Highlight ist aber der "Trance Frendz"-Mitschnitt, der das Naturbelassene der "Life Story / Love And Glory"-EP mit breiterem Instrumentarium (Klavier, sehr reduzierte Percussion, Synthesizer) weiterschreibt und bei dem man über die volle Laufzeit das Gefühl hat, im Studio Mäuschen zu spielen, mit schimmernder Kerze und einem Glas Rotwein. Man hört das Knarren der Klavierhocker, die Finger auf den Tasten; es gibt keine Overdubs, keine Nachbesserung. Sanft, nachdenklich, ab und an dezent angejazzt; dann wieder flächig, synthetisch, überwältigend und umarmend: Das ist pure Musik, und für beide stellt es eine Reminiszenz an die Intensität ihrer Freundschaft dar, die mit Live-Impros begann und in "Trance Frendz" ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Die Stücke sind nach den Uhrzeiten ihrer Entstehung benannt, und so kann man verfolgen, wie ein Abend verlaufen ist, an dem zwei großartige Musiker die Nähe zwischen sich mit uns teilten.

"Collaborative Works" ist somit eine Schatzkiste durch und durch - gleichzeitig aber auch eine Demonstration musikalischer Hingabe wie eine Einladung an uns, an ihr teilzuhaben.

 

Text: Kristof Beuthner