Wie großartig ein Musikjahr war, zeigt sich oft erst am Ende. Wenn man resümmiert, abgleicht, sich bespricht; wenn einem nochmal auffällt, was einen bewegt hat; wenn man plötzlich noch auf Platten stößt, die einem das Besondere mit auf den Weg geben. 30 solcher Alben haben wir zusammengestellt, für euch, für uns, für jeden, dessen Herz im Takt grandioser Songs schlägt.

Platz 30: Defeater - Letters Home
Beginnen wir unsere Top 30 mit allerlei Geschrei. Und zwar mit Defeater aus Boston, deren drittes Album einen weiteren Meilenstein in der derzeit auf erfreulichste Weise blühenden Wiese des Melodic Hardcore markiert. Durch die Idee von "Letters Home" gehen Defeater den entscheidenden Schritt weiter als ihre Kollegen: Sie haben einen Briefwechsel zwischen Weltkriegssoldaten in den Jahren von 1943 bis 1945 vertont. Wenn man das weiß und das Geschrei entschlüsselt, ist klar, wie tief und intensiv dieses dritte Album von Defeater geht. Nämlich ganz klar dahin, wo es weh tut.

Platz 29: Messer - Die Unsichtbaren
Hendrik Otremba und seine Band Messer gelten ja seit ihrem Debüt "Im Schwindel" als die große deutsche Hoffung des Postpunk, als düstere Poeten, als Sprachrohr einer Jugendbewegung aus ferner Zeit, die dringend mal wieder nötig wäre. Zumindest kann man das daraus lesen. Man kann es auch ganz anders deuten. Fakt ist: Die verschrobenen, hoch anstrengenden Songkonstrukte sind auch auf "Die Unsichtbaren" wieder Offenbarung und Fragezeichen gleichermaßen, darin aber derart faszinierend, dass man es immer und immer wieder hören will. Bis man es richtig verstanden hat.

Platz 28: Daughter - If You Leave
Daughter, das Projekt um die wundervolle Elena Tonra, ist in vieler Hinsicht ein Sinnbild für das, was die Jugend von heute an alternativer Musik so liebt: Eine wunde Frauenstimme, seltsam verhuscht und hallig und artifiziell gebettet auf angedeutete Gitarren und elektronische Flächen, fragil, XX-esk. Wenn ein solches Album aber so klingt wie "If You Leave", sollte es definitiv noch viel mehr davon geben. Denn in all seiner Zurückgezogenheit zieht es einen immer wieder an den Haaren, flüstert: "Hör mir zu!". Dann entdeckt man eine wunderschöne Pop-Platte, die weit mehr ist als bloß der nächste Hype.

Platz 27: The National - Trouble Will Find Me
The National sind spätestens seit "High Violet" so eine Art Vorzeige-Melancholiker, stilsicher, ohne Ausfälle, verantwortlich für den tiefen Blick in unsere Seelen. Dass "Trouble Will Find Me", das ingesamt sechste Album der Band, sich zugänglicher präsentierte als alles vorher dagewesene, ließ erstmals auch Kritiker laut werden - sie konnten die Tatsache aber nicht klein reden, dass auch dieses Album wieder herrlich wund und traurig klingt, groß und majestätisch, heterogen und innig. Aber schon auch entspannt und zurückgelehnt dabei; und das ist das tolle. Beweisen müssen The National uns nichts mehr.

Platz 26: Golden Kanine - You Were Wrong, Right?
Man hatte sich sorgen dürfen um die grandiosen Glitterhouse-Schweden. Tour mit Mando Diao, Slots beim Hurricane-Southside-Doppel, viele neue Bewunderer. Der Grundstein für groß war gelegt, die Angst vor Beliebigkeit (wie bei so vielen) im Hinterkopf. Und "You Were Wrong, Right?" lachte uns Zweifler schon mit dem Albumtitel aus. Golden Kanine steuerten exakt in die Gegenrichtung und brachten uns ein schweres, mächtig-melancholisches Folkpop-Wunderwerk, das einen keinesfalls ansprang, aber umso nachhaltiger beschäftigte. Ihr mit Sicherheit vielschichtigstes Werk. Danke.

Platz 25: Casper - Hinterland
Über Caspers Rapstil ist man redaktionsintern so gespalten wie bei wenigen Künstlern neben ihm, doch eines ist klar: "Hinterland" katapultierte den Bielefelder einen weiteren Riesenschritt nach vorne. Das pompöse Intro zum Opener "Im Ascheregen" umarmt einen erstmal mit orchestralem Bombast; dass Konstantin Gropper Gefallen fand, ist äußerst glaubhaft. Dieses Album ist kein Neuaufguss seines hocherfolgreichen Durchbruchs "XOXO"; es streckt seine Fühler musikalisch in weit mehr Richtungen aus, und die Fanherzen fliegen ihm nur so zu. Hochrespektabel - ohne wenn und aber.

Platz 24: Mogwai - Les Revenants
Ohne die Schotten von Mogwai geht es einfach nicht. Und selbst, wenn sie sich abseits der regulären Album-Pfade austoben, kann man sich ihrem mächtigen Sound nicht entziehen. Der kommt auf "Les Revenants" weitaus weniger "songorientiert", sondern eher cinematisch herüber, was eine ganz klare Ursache hat: "Les Revenants" ist der Soundtrack zu der gleichnamigen französischen Fernsehserie. Dass es dabei um Zombies geht, ist am traumwandlerisch mäandernden Klang hier nicht unbedingt zu erahnen, macht aber definitiv Appetit auf die Bilder zu dieser herrlichen Musik.

Platz 23: Mazzy Star - Seasons Of Your Day
Die Rückkehr von Hope Sandoval und David Roback nach sage und schreibe siebzehn Jahren war in vielerlei Hinsicht sensationell. Überhaupt die Tatsache, dass es da ein neues Mazzy Star-Album gab, durfte schon beglücken. Dass es aber wirkte, als wäre diese tiefe Traurigkeit, diese zärtliche Melancholie, diese wundervoll tiefgehende Stimme Sandovals gar nicht weg gewesen, als wären die Jahre spurlos an ihnen vorüber gegangen - das war schlichtweg ein kleines Wunder. Ein Geschenk für Erinnerer ebenso wie für Neuentdecker; ein Album für Kerzenlicht und Rotwein. Immens schön.

Platz 22: Mount Kimbie - Cold Spring Fault Less Youth
Wenn man dieser Tage über elektronische Musik spricht, führt bekanntlich kein Weg an Mount Kimbie vorbei. Und das ändert sich auch auf "Cold Spring Fault Less Youth" nicht, einem neuen Monster von Album, tief, dubby, aber auch organischer als der gefeierte Vorgänger. Durch die Hinzunahme von King Krule, der auf zwei Tracks die Raps beisteuert, kommt ein weiteres Element in die Musik von Mount Kimbie, das ihr gut steht. Ein herrlich vertracktes Frickel-Album mit unerhört klug arrangierten Soundstrukturen, ein weiterer Beweis für die Wichtigkeit dieses Duos.

Platz 21: DJ Koze - Amygdala
Ex-Fischmob DJ Koze hat sich mittlerweile eine so große Fanbase aufgebaut, dass man aus dem Staunen nicht heraus kommt. "Amygdala" ist der vorläufige Höhepunkt seines Schaffens, ein Wunderwerk aus deepen elektronischen Cuts, Beats und Breaks, das durch eine Fülle an genialen Gästen angereichert ist, dass man den Hut ziehen muss. Caribou, Dirk von Lowtzow (mit Grabesstimme), Apparat - das liest sich wie ein Who Is Who des guten Geschmacks. Alles flowt und groovt, verleugnet seine Soul- und Hiphop-Wurzeln nie und covert nebenbei sogar noch die Kings Of Convenience. Brillante Platte.

Platz 20: OK Kid - OK Kid
OK Kid hießen früher mal Jona-S, damit war ihnen allerdings nur wenig Erfolg beschieden. Seltsamerweise ist das unter dem Namen OK Kid anders, obwohl die Elemente, Elektronik, Rock und Rap, gar nicht groß anders ist. Erkläre mir einer die Musikwelt. Fakt ist: Die Texte sind zupackend und bauen die Brücke zwischen Intelligenzlern wie Käptn Peng und Pop-Überfliegern wie Cro. Das ist eine Mischung, die ihnen Fanherzen zufliegen lässt, und das ist auch gut so, denn hier sind Könner am Werk, gut von sich aus, nicht durch den Drang, alle erreichen zu müssen. Sie tun es einfach so.

Platz 19: Ghostpoet - Some Say I So I Say Light
Der zweite Streich von Ghostpoet markierte gleich auch einen deutlichen Schritt nach vorne. "Peanut Butter Blues & Melancholy Jam", das geniale Debüt, war eine Einstimmung; "Some Say I So I Say Light" ging in jeder Hinsicht den konsequenten Schritt weiter in Richtung Vertracktheit, Finesse, Gewandtheit. Da konnte kaum noch jemand weghören. So zwingend wie Ghostpoet verbindet derzeit kaum jemand Elemente aus Rap, Elektronik und ja, tatsächlich auch mal wieder Pop. Es gibt absolut Hoffnung für den Sprechgesang, und Ghostpoet befindet sich auf der letzten Stufe vor groß.

Platz 18: Junip - Junip
Das zweite Junip-Album ließ nach dem prächtigen Debüt "Fields" dann doch wieder drei Jahre auf sich warten. Doch es enttäuschte in keiner Sekunde. José Gonzalez, Elias Araya und Tobias Winterkorn entwickelten zehn neue hypnotisch-treibende, wunderbar melancholisch verspulte, hintergründig hallende und herrlich kantige Folk-Diamanten, deren Spitze des Eisbergs mit "Line Of Fire" einer der tollsten und nachhaltigsten Songs des Musikjahres darstellte. Sich zu entziehen war fast unmöglich; zu zupackend geriet dieser zweite Geniestreich der Schweden.

Platz 17: Volcano Choir - Repave
Justin Vernon, der Alleskönner. Justin Vernon, das Genie. Als Bon Iver schon grandios; mit Volcano Choir schier göttlich. "Repave" war in vielerlei Hinsicht möglicherweise ein poppigeres "Kveikur": Mächtig, sperrig, elegant und edel, markant und gesegnet mit einer hochprägnanten Leadstimme. Und nebenbei wurde sich auch noch eine Hymne wie "Comrade" aus dem Ärmel geschüttelt. Irgendwo zwischen Folk und Postrock entstand ein Kleinod, dessen Wirkung auch über die Jahresgrenzen hinaus noch anhalten wird. Es hallt immer noch durch unsere Ohren.

Platz 16: Bonobo - The North Borders
Simon Green alias Bonobo ist ein Genius, seine Alben sind Geniestreiche. An Einflüssen hat es ihm noch nie gemangelt, und auch auf "The North Borders" zieht er wieder Fäden zwischen Pop, Soul, Funk, Jazz und Elektronik, ergänzt um erlesenste Gäste, allen voran Erykah Badu, die sein Oeuvre um ein Schippchen Pop-Schmiss ergänzen. "The North Borders" ist ein Album voller intensiver Schönheit und Größe; voller musikalischer Rafinesse und faszinierender Bögen, denen man nur zu gerne folgt. Simon Green entfacht einen Groove, der über die Jahresgrenzen hinaus da sein wird.

Platz 15: Arcade Fire - Reflektor
Was hatte das für Aufregung gegeben: Arcade Fire verlassen die Pfade der Melancholie endgültig, tun sich mit James Murphy zusammen, machen jetzt Disco, machen jetzt mehr Pop denn je. Sind die noch zu retten? Doch je mehr man sich auf "Reflektor" einließ, desto stärker zog es einen in seinen Bann. Das leckere Gitarrenlick des Titeltracks schmiegte sich ins Ohr, der Rest der Platte überzeugte in jeder Hinsicht in punkto Vielseitigkeit und Spielfreude. Dass das Album mit dem Über-Debüt "Funeral" so gar nichts mehr gemeinsam hatte, ließ sich nach und nach immer besser verschmerzen.

Platz 14: Babyshambles - Sequel To The Prequel
Dass Pete Doherty ausgezogen war, die Musikwelt zu retten, hatten schon zu Libertines-Zeiten alle gewusst, anschließend aufgrund all der Eskapaden aber angezweifelt und dann irgendwie auch aus den Augen verloren. Wie wichtig er als Figur, vor allem aber als Songwriter tatsächlich ist, bewies das neue Babyshambles-Album, das aus dem Nichts auftauchte und all die wachrüttelte, die schon darüber nachgedacht hatten, vielleicht doch mit Undercut, V-Neck-Shirt, übergroßer Brille, Schnurrbart und Röhrenjeans herumzulaufen. Eine in den Himmel gereckte Faust für den Rock.

Platz 13: Bergen - Bärenmann
Die Geschichte vom Bärenmann war mit Sicherheit eines der anrührendsten Erlebnisse im Bereich Musik, die wir 2013 genießen durften. Verantwortlich dafür waren die Dresdner bergen, die schon für ihr Debüt "Gegenteil von Stadt" sehr geliebt wurden, mit ihrem feinstgliedrigen Folk-Pop auf "Bärenmann" aber noch einen Schritt nach vorne machten. Wunderschöne Klänge, innigste Texte, die Verschmelzung von Element Of Crime und Belle & Sebastian vielleicht. Definitv aber eines der entdeckenswertesten deutschsprachigen Alben seit langem. Und somit mehr als wundervoll.

Platz 12: Dangers Of The Sea - Dangers Of The Sea
Die am höchsten platzierte Sixties-Reminder-Platte unserer Jahrescharts stammt von Dangers Of The Sea aus Dänemark, bei denen Andreas Bay Estrup so gekonnt die stimmliche Brücke zwischen Midlake und Dylan schlägt, dass einem nur warm ums Herz werden kann. Ein Album voller gnadenlos zugreifender Folkpopsongs, harmonieseligste Melancholie, auf innigste Weise organisch. Und dank der hörbaren Jazz-Vergangenheit der Band mit Ecken, Kanten und allerlei Zierrat gesegnet, so dass sich auch dank Dangers Of The Sea der Indiefolk nicht Beliebigkeitsschemata verläuft. Schön.

Platz 11: James Blake - Overgrown
James Blake, Hype-Übergott. Und immer die zweifelnd nagende Stimme: Das kann doch nicht gemacht sein, um zu halten. Platte Nummero zwei, "Overgrown", zeigte, dass das sehr wohl möglich ist. Und dass der junge Mann keinesfalls ein im Hipster-Wunderland installiertes Kunstprojekt mit der Halbwertszeit eines Eis am Stiel ist, sondern vor allem ein äußerst filigran und stilsicher arbeitender Musiker. "Don't believe the hype", es sei denn, er ist es wert - und James Blakes sanft-ziehende Version von Dubstep oder Elektropop oder wie man's nennen mag ist traumwandlerisch grandios.
Kurztexte: Kristof Beuthner
Platz 10: Moderat - II

„Allet wird verkabelt, und dann wird ne Session jemacht, einstündig wird aufjenommen und am Ende hat man denn den Magic-Loop jefunden in Form einer Baseline,“ so beschreibt Sebastian Szary im breiten Berlinerisch eine der Produktionsvarianten von Moderat, des gemeinsamen Projekts mit Sascha Ring von Apparat. Mit „II“ erschien in diesem Jahr deren zweites Album. Gleich die erste Singleauskopplung ‚Bad Kingdom‘ knarzt mit deepen Modeselektor-Loops direkt in die Bresche zwischen ‚A New Error‘ und ‚Les Grand Marches‘ vom 2009er Debut. Die Tunes haben sich in den letzten Jahren nicht nur in die Gehörgänge einer wachsenden Hörerschaft gefräst, sondern auch in die von u.a. Thom York, Björk und Miss Kittin. Auch Moderat lassen die Bässe durchaus hart rollen, jedoch in einer doch tief-sphärischen Spielart, die nicht primär auf das reine Durchdreh-Vergnügen aus ist. Dieser Grundtenor hat sich nicht zuletzt durch den beseelten Gesang von Herrn Ring manifestiert. Kompakter und deeper morphen Moderat hin zu einem eher cineastischen Sound, der seine Verankerung in der Tanzfläche jedoch nicht verliert. Tunes wie ‚Therapy‘ oder ‚Milk‘ wummerten 2013 kraftvoll und dabei smart und gänzlich unprollig durch die Clubs. Das schießt ‚II‘ verdientermaßen in die Top 10 für 2013. (Thomas Markus)
Platz 9: Joasihno - A Lie

Was für ein tolles Album, was für eine spannende Musik die bayerischen Joasihno da tatsächlich aufgenommen hatten, erschloss sich mir persönlich eigentlich erst beim Live-Erlebnis so richtig, obwohl ich "A Lie" schon vorher ins Herz geschlossen hatte. Christoph Beck und Nico Sierig stehen an einem schier waghalsigen Repertoire an Schaltern, Reglern und Instrumenten, klingen erst wie eine abgespeckte, dann wie eine voll besetzte Version von Efterklang. Dann schleicht sich ein Beat in den Hintergrund, dann setzt der Gesang ein, irgendwie geht das alles zu schnell, um all die Feinheiten zu erfassen, könnt ihr nicht zurückspulen? Ich will das nochmal hören! Elegische Soundtürme, feingliedrige Frickelei, hallo, The Notwist, hallo, Christoph Becks Nachnamensvetter aus den Staaten? Im ersten Moment ist es so, im nächsten ganz anders, man will schwelgen, tanzen, sich wundern, alles zugleich. Und plötzlich schnippt irgendwer mit dem Finger und es ist ein Popsong draus geworden. Wenn man sich das jetzt auf Albumlänge vorstellt, diese Undefinierbarkeit der Genres, diesen Ideenreichtum, dieses Wechselbad der Gefühle und dann dazu auch noch diesen zwingenden Pop-Appeal, dann kann man nicht umhin, zu finden, dass "A Lie" seinen Platz in unseren Top 10 mehr als verdient hat. Und wenn man bedenkt, dass Cico Beck mit Aloa Input noch so ein irres Projekt am Start hat, darf man ihn definitiv als einen der derzeit spannendsten Künstler dieses Landes bezeichnen. (Kristof Beuthner)
Platz 8: Scott Matthew - Unlearned

To unlearn: Eine Gewohnheit ablegen; verlernen, vergessen. Wo manche mit Cover-Alben nur alten Wein in neuen Schläuchen präsentieren, erfindet Scott Matthew auch den Wein neu. In "Unlearned" kürzt er seine Lieblingssongs auf ihre Grundgerüste und schreibt ihnen neue leidenschaftliche Arrangements zu. Gemeinsam mit seinem Vater Ian singt er Kris Kristoffersens Klassiker "Help Me Make It Through The Night" in großer Tragik und Zerbrechlichkeit. Neil Hannon von The Divine Comedy unterstützt ihn beim traurig-fröhlichen "Smile" aus der Feder von Charlie Chaplin. Ansatz des Albums ist es nicht, Songs wie "Harvest Moon" von Neil Young und Joy Divisions "Love Will Tear Us Apart" besser machen zu wollen, sondern sie auf ein Podest zu heben und den Zuhörern aus einem anderen Winkel zu präsentieren – alte Songstrukturen auszublenden, den Songs neue Tiefe und Emotionalität zu geben. Whitney Houstons 80er-Jahre-Discohit "I Wanna Dance With Somebody" erstrahlt so als dramatische Ode an die Einsamkeit. "Unlearned" ist ein wertvolles Album, das herrlich unprätentios klingt. Es ist ein gemütliches und familiäres Album, das zeitgleich für die große Oper gemacht ist. Es ist ein ergreifendes Stück Musik einer faszinierenden Persönlichkeit. (Daniel Deppe)
Platz 7: Apologies, I Have None - London

Apologies, I Have None bedeutet übersetzt "Ich habe keine Entschuldigungen". Treffender kann ein Bandname in diesem Fall kaum sein, denn vorwerfen kann man dem Quartett aus der Themsestadt im Jahr 2013 wirklich nicht viel. Das nach ihrer Heimatstadt London benannte Album, das uns die 2004 von Frontmann Dan Bond und Gitarrist Josh McKenzie gegründete Folkpunkband mit einem Jahr Verspätung in die hiesigen Plattenläden gestellt hat, glänzt mit vielen Punkten auf der Habenseite. Dabei ist es auf dem ersten Blick ein stilistisch recht traditionelles Werk, das von der Herangehensweise an viele derjenigen Bands erinnert, die sich alljährlich auf der amerikanischen Bier- und Arbeiterpathos- geschwängerten Punkrockfestival-Institution "The Fest" in Gainesville / Florida die Klinke in die Hand geben. Ähnlich wie bei ihren ehemaligen Tourpartnern The Gaslight Anthem und Make Do And Mend treffen auch in den Songs von Apologies I Have None melodische Gitarrenriffs und eingestreute Tempowechsel auf wunderbare Momente zum gemeinschaftlichen Fäuste-in-den-Himmel-recken und Mitsingen, die jedem Pub- und Lagerfeuerabend zur Ehre gereichen würden. Nun stammt die Band nicht aus den kalifornischen Redwoods, sondern aus der englischen Millionenmetropole und so gänzlich lassen sich die Einflüsse aus heimatlichen Musikgefilden nebst Cockney-Akzent nun doch nicht ablegen. „Zum Glück!“ möchte man sagen. Denn gerade dieser „Alte Welt“- trifft-„Neue Welt“-Effekt, gepaart mit erfrischender Klarheit und Einfachheit bei qualitativer Konstanz machen "London" zu einem persönlichen Highlight des Musikjahres 2013. (Jan Bruns)
Platz 6: Okkervil River - The Silver Gymnasium

Nach einem etwas ruhigem Jahr 2012 sind Okkervil River mit einem neuen Langspieler bewaffnet zurück. Anders, aber dennoch nicht fremd klingt The Silver Gymnasium. Es thematisiert die Kindheit von Frontmann Will Sheff in New Hampshire und beschreibt viele Facetten davon in Wort und Ton. Der Opener ist clever gewählt. Das rhytmische Piano-Intro bei It Was My Season bekommt sofort volle Aufmerksamkeit und mach das Drücken auf den Skip-Button quasi unmöglich. Das ganze mündet dann in einem folkigem Rückblick auf die gute alte Zeit, wobei die Instrumente nicht selten von der Grundstimmung der Texte abweichen. Die oft melancholischen Themen werden immer wieder von der Musik aufgefangen und so gut entschärft, dass es auch in den traurigsten Momenten einen optimistische Seite behält. Bei “Stay Young” wird der Charme der achtziger Synthies mit Blasinstrumenten gepaart und so komisch diese Mischung ist, so gut klingt sie. Ein mehr als verdienter Einzug auf den einstelligen Plätzen unserer Jahrescharts. Um es in den reduzierten Worten einer eBay Bewertung zusammenzufassen: „Alles Top. Gerne Wieder!“ (Stefan Kracht)
Platz 5: Woodkid - The Golden Age

Yoann Lemoine könnte ein Nachkomme Wagners sein. Auf jeden Fall präsentiert er sich und seine Musik so. Pathos und Pop, das hat lange niemand mehr so gekonnt verbunden, wie der aus Lyon stammende Videokünstler. In seinen Konzerten steht er unter riesigen Videoprojektionen (ein Kameraflug durch surreale architektonische Königreiche) und im Dunkel dahinter seine Musiker - mit Blasinstrumenten und Pauken. Der kleine Mann, der wohl auch Napoleons Nachkomme sein könnte, zieht alle Register einer großen Show: Lichteffekte, einstudierte Bewegungen, die an große politische Führer denken lassen und Klangarrangements, die, genauso wie sein ständiges Ab- und Zuwenden vom Publikum, eine Gratwanderung zwischen Verzicht und Verschwendung sind. Und auch seine Karriere ist eine Gratwanderung. Angefangen mit Videoclips für Popgrößen wie Moby, Rihanna und Lana Del Rey, war es nicht weit her mit einer eigenen Musikkarriere, vor allem mit so einer prägnanten Stimme. Trotzdem nutze er seine Kontakte zu den großen Plattenfirmen nicht und veröffentlichte seine erste EP „Iron“ bei dem Independent Label „Green United Music“. Plattencover und Videoclip entwarf er natürlich selbst und verkaufte den Song dann direkt an den meistbietenden Werbepartner: Der Song wurde die Trailermusik für Ubisofts neustes Konsolenhighlight. Marketing ist alles, das wusste schon Napoleon. (Lasse Scheiba)
Platz 4: The Boxer Rebellion - Promises

Die Schritte, mit denen The Boxer Rebellion in die Bekanntheit vorstoßen, sind klein. Und doch sind sie da. Stetig den Stein höhlend wie der vielzitierte Tropfen, markierte das vierte Album der Engländer einen weiteren Schritt hin zur Liebe und Hingabe der geneigten Hörerschaft, wie diese Band sie eigentlich schon seit dem grandiosen Debüt "Exits", spätestens aber seit dem Über-Album "Union" verdient hatte. "Promises" verband auf die eindringlichste Weise Elemente aus der vertrackt-lärmigen Frühphase der Band mit dem intensiven, mitreißenden Pop-Appeal des dritten Longplayers "The Cold Still". Aber um melancholischen Britpop-Epigonen wie den in ihrem Anfangsstadium gar nicht so weit entfernten Coldplay in die Beliebigkeit zu folgen, fehlt The Boxer Rebellion nach wie vor die Einfachheit. Nathan Nicholsons klare und einprägsame Stimme darf mit einem machen, was sie will, aber die Ecken und Kanten in dieser Musik stellen dir immer wieder ein Bein und lassen dich irritiert aufhorchen und genauer hinhören, statt dich dazu in die Kissen zu kuscheln. Und an Stücken wie dem verhuschten "Diamonds" und dem eingängigen "Always" konnte man einfach nicht vorbei gehen. Die hohe Platzierung in den Nillson-Jahrescharts beweist, dass The Boxer Rebellion angekommen sind, den Geheitipp-Status abgelegt haben und inzwischen ohne sich zu verbiegen oder anzubiedern die Gourmets und die Herzenshörer an einen Tisch bringen. Man darf sehr gespannt sein, was als nächstes kommt. (Kristof Beuthner)
Platz 3: Die Höchste Eisenbahn - Schau in den Lauf Hase

Es wirkt zugegebenermaßen fast schon wie ein Automatismus, dass eine Platte auf der Moritz Krämer vertreten ist bei uns in den Jahrescharts landet. Aber Die Höchste Eisenbahn sind nicht (nur) Moritz Krämer und Schau in den Lauf Hase ist folglich auch keine Moritz Krämer Platte. Zumindest keine typische. Und genau das, was dieser Band die nötige Daseinsberechtigung gibt, verursachte bei mir persönlich leichte Startschwierigkeiten. Diese waren aber schnell überwunden und nach dem sprichwörtlichen warm werden wurde es auch nie wieder richtig kalt. Aber es kommt ja nicht selten vor, dass Musik erst beim zweiten oder dritten Anlauf zündet und dafür um so nachhaltiger im Musikgedächtnis verweilt. Die Konstellation der Bandmitglieder (Moritz Krämer, Tele Frontman Francesco Wilking, Tomte Drummer Max Schröder aka. Der Hund Marie und Felix Weigt dessen Bandprojekte diesen Rahmen hier sprengen würden) sorgt für eine unglaubliche Vielfalt, was diese Platte dann so angenehm kurzweilig macht. Die Texte reichen von ernst bis witzig über traurig und philosophisch, der Sound dazu meist poppig und immer eingängig. Ein wirklich gelungener Tonträger aus dem hoch geschätztem Hause Tapete Records. So schaffte es der späte Release in diesem Jahr noch alles zu überholen, was eigentlich schon längst gesetzt war. Links vorbei und direkt auf meinem persönlichen Platz 1. (Stefan Kracht)
Platz 2: Sigur Rós - Kveikur

Der zweite Platz geht völlig zu Recht an die isländische Post-Rock Band Sigur Rós, die in diesem Jahr ihr mittlerweile 7. Studioalbum, namens „Kveikur“ veröffentlicht hat. Egal ob live oder auf Platte, diese Band weiß einfach zu verzaubern. Mit ihren atmosphärischen, teils melancholischen Tönen, bauen sich gewaltige Klanglandschaften auf, die den Zuhörer in ihren Bann ziehen und mit auf eine musikalische Reise nehmen. Anders als man es von den Vorgängern gewohnt ist, kommt „Kveikur“ aggressiver und düsterer daher. Gleich beim ersten Titel, der zugleich ersten Singleauskopplung „Brennistein“, ist die musikalische Veränderung hörbar. Im Übrigen ist es das erste Album ohne Keyboarder Kjartan „Kjarri“ Sveinsson seit ihrem Debütalbum „Von“. Nach seinem Ausstieg war die Band rund um Sänger Jón Þór „Jónsi“ Birgisson, quasi gezwungen diese Platte als Trio einzuspielen, was meines Erachtens mehr als bestens funktioniert hat. Ich hatte das Glück, mir diese Band 2013 gleich 2x anzuschauen und mich von ihren neuen Songs live zu überzeugen und ich möchte keine Minute dieser Shows missen. Für mich ist dieses Werk definitiv ein Highlight des bald endenden Jahres, an das ich mich sehr gerne zurückerinnere. Wer bisher mit dieser Band nichts anfangen konnte, sollte das spätestens nach dem diesem Release überdenken. (Tilo Kracht)
Platz 1: Tocotronic - Wie wir leben wollen

Ende letzten Jahres: Die Schinken Omi besucht Tocotronic im Studio und kündigt Ausschnitte aus dem neuen Album „Wir wir leben wollen“ an. Es klang nach Spass und Schunkeln. Ja ne, is' klar! Dann der erste Satz vom 'echten' Album: „Hey, ich bin jetzt alt.“ Das klingt ganz anders als Schinken Omis Ankündigung. Aber nach einer 20jährigen Bandgeschichte dürfen Tocotronic mit diesem Satz auch ein Album eröffnen. Und der Titel des Albums: „Wie wir leben wollen“. Dieser konnte implizit schon eine ganze Weile das Schaffen der Band beschreiben. Nun ist es explizit. Und stimmig ist es, das Werk der Bande um Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick McPhail. Musikalisch wie textlich klingt es wie aus einem Guss, dabei doch sehr abwechslungsreich, ohne dass jemals Langeweile aufkommt. Rick McPhails Gitarrenspiel ist nicht mehr ganz so präsent, sondern etwas in den Hintergrund gerückt und perfekt integriert. Das steht der Musik sehr gut. Die tiefe Stimme Dirk von Lowtzows dazu erzeugt eine überaus warme und tragende Stimmung. Und überhaupt, diese Mischung aus Musik und Text: Die passt! Textliche Gegensätze werden durch musikalische Gegensätze vertont. Die manchmal scheinbar sinnlosen Texte gehen zum Ende eines Songs perfekt auf, entschlüsseln ihr Rätsel. Auf diese Weise haben Tocotronic sich mit ihrem zehnten Album den Top-Platz in unserer Jahresliste wahrlich verdient! (Richard Redweik)