Rezensionen 01.03.2015

The White Birch - The Weight Of Spring [Glitterhouse / Indigo]

Wer hatte damit noch gerechnet? Wer hat sich überhaupt erinnert? Neun Jahre sind eine lange Zeit, lang genug, um vergessen zu werden. Doch die Songs, die Ola Fløttum alias The White Birch uns damals hinterlassen hatte, besaßen (und besitzen noch) Strahlkraft für die Ewigkeit. So dass es sich bei "The Weight Of Spring" so unfassbar vertraut anfühlt, als hätte es diese neun Jahre nie gegeben.

Moment, da war doch was. Genau: Vor vier Jahren hatte Glitterhouse Records schon mal für so ein Gefühl gesorgt. Da präsentierten uns die Beverungener plötzlich ein neues Album von Spain, und auch da war sofort dieses unbeschreibliche Gefühl von Vertrautheit und Intensität, das man gar nicht so recht vermisst hatte, weil es nicht weg war in all der verstrichenen Zeit. Weil die Songs geblieben waren. Man hatte das Verschwinden der Band fast gar nicht bemerkt, und das ist, so seltsam das klingt, in jeder Hinsicht als Kompliment zu verstehen. Sie waren die ganze Zeit bei uns, in uns.

Für Ola Fløttum musste es sich ähnlich angefühlt haben. Denn im Jahr 2006, da gab es The White Birch eigentlich nicht mehr. Als Band, als lebendes Konstrukt jedenfalls nicht. Als Entität schon, mit dem Vermächtnis von Meisterwerken wie "Star Is Just A Sun" oder dem letztlich als Abschiedsgruß wirkenden "Come Up For Air". Und diesem besonderen, tieftraurigen Sound, elegisch, zerbrechlich, persönlich. Wer solche Songs schreibt, der legt sie nicht ab wie eine gebrauchte Jacke, die nach Jahren verschlissen ist. Der legt diese Art zu fühlen nicht ab und auch nicht diesen Wunsch nach Selbstoffenbarung. Ola Fløttum verbrachte die Zeit mit dem Komponieren von Filmmusik, verlor geliebte Menschen und gewann welche dazu. In seinem Kopf und in seinem Herzen trug er die Idee von The White Birch weiter. Neun Jahre. Ein halbes Teenagerleben.

Und dann wurde er ganz und gar alleine zu The White Birch, schrieb neue Songs, machte sich auf die Suche nach Musikern, die seine Begleitband für ein neues Album werden sollten. "The Weight Of Spring" entstand langsam und doch beständig; für uns Außenstehende kaum wahrnehmbar. Ein kurzer Facebook-Kommentar hier, ein Soundschnipsel dort, irgendwann, ich weiß nicht mehr wie lange es her ist, die Gewissheit: Ein neues Album erscheint. "The Weight Of Spring" beschreibt den Zyklus zwischen Licht und Dunkelheit, der unser aller Existenz eigen ist; das Erwachen der Welt im Frühling ist wieder der Anfang vom Sterben der Farben im Winter. Der Sonnenaufgang am Morgen täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass ein paar Stunden später abermals die Dunkelheit folgt. Bis am Ende der Reise, dieser ewigen Wiederholungen von hell und dunkel, Freude und Schmerz, Gewinn und Verlust nur noch Stille ist.

Was pessimistisch und düster klingt, ist doch der Spiegel des Innenlebens eines Erzählers, der viel gesehen und erlebt hat; der Leben und Sterben bewusst wahrnimmt und seiner Ohnmacht Ausdruck verleihen muss. Ola Fløttum kleidet diese Reflektionen in ein wunderschönes Gewand; seine facettenreiche Stimme, die aus sonorer Tiefe immer wieder in zerbrechliche Höhen schwebt, wird zusammen mit klagenden Streichern, sanften Drums und einem samtig gedämpften Klavier selbst zum Instrument. Bei aller Katharsis ist diese Musik eine mit Watte ausgekleidete Höhle, dunkel, aber weich und warm. Everything must die, aber wir fühlen uns seltsam geborgen. Das ist ein Kunststück, das in dieser Intensität nur wenige Musiker und Bands zu kreieren in der Lage sind.

So lässt uns "The Weight Of Spring" in einer seltsamen Gefühlslage zwischen tiefster Ergriffenheit und seltsamer Glückseligkeit zurück. Einzelne Songs hervorzuheben, ist bei diesem Album nicht möglich, es zu versuchen zwecklos. Die Schönheit dieser Musik ist in ihrem Spektrum zwischen Düsternis und warmem Gold allumfassend und unfassbar. Man will es wieder und wieder hören, man will diese Schönheit in sich tragen, denn wenn wir der Dunkelheit schon unweigerlich entgegen treten müssen, dann mit dem Gedanken an Schönheit in uns. Wie wir jeden Frühling wieder die ersten Sonnenstrahlen aufsaugen und sie für die kalte Zeit sammeln wie die Maus Frederick Farben in dem Bilderbuch von Leo Lionni.

Ola Fløttum sagt nicht, dass alles gar nicht so schlimm ist. Aber er trägt diese Last für uns. Einmal mehr. Endlich wieder.


Text: Kristof Beuthner