Artikel 20.02.2012

Vogelkunde im Zeichen des Punk

Die Gäste im Salon Des Amateurs erscheinen an diesem Mittwochbend recht zahlreich, vergleichbar mit den übrigen Veranstaltungen der Reihe ‚Resonanzräume‘, die bereits seit Ende Oktober letzten Jahres als Kooperationsprojekt des Instituts für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich Heine Universität und der Deutschen Oper am Rhein, dem Schumannfest und eben dem Salon des Amateurs ins Leben gerufen wurde.

Wolfgang Müller, seines Zeichens Mastermind der 80er Jahre Punk-Kapelle ‚Tödliche Doris‘, hat geladen und es scheint, als wären einige alte Bekannte aus den Sturm und Drang-Zeiten seiner Aufforderung gefolgt. Ob er auch durchaus ein Publikum anspricht, dass die wilden Punkzeiten in Berlin nur aus der Lektüre kennt, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht raus. Allerdings steht neben der Lesung auch eine Performance auf dem Plan. Der Abend verspricht daher auf alle Fälle bunt zu werden. Müller wird eingangs mit dem ‚abgenagten Begriff des Multitalents‘ (O-Ton Prof. Dr. Dirk Matejovski) in einer kurzen Eingangsrede bezeichnet. Und das berechtigt, denn neben Musik und Literatur werkelt Wolfgang Müller auch an seiner Schauspielkarriere und ist als bildender Künstler aktiv. Heute Abend liest Müller u.a. Anekdoten aus seinem 2007 im Suhrkamp-Verlag veröffentlichten Buch ‚Neues von der Elfenfront: Die Wahrheit über Island‘. Direkt nach den ersten Sätze ist eines Gewiss: Wolfgang Müller besitzt eine sehr angenehme, kauzig-sympathische Art. Das kommt zum einen durch die etwas unbeholfene und gleichzeitig lakonische Begrüßung zum Ausdruck. Zum anderen streut er während des Lesens gerne Bemerkungen ein, die Selbstreflektion und einen Hang zur Selbstironie erkennen lassen. “… habe ich das wirklich geschrieben?“, fragt er sich selbst nach einigen Sätzen laut. Und bringt sich und den Rest des Salons zum Schmunzeln. 

Wolfgang Müller berichtet von skurrilen Begebenheiten, die ihm auf dem Weg durch die letzten Jahre scheinbar so mir nichts dir nichts in die Parade gefahren sind. So wurde ihm unterstellt er züchte Blaumeisen auf dem Balkon seiner Kreuzberger Wohnung und verkaufe diese (nach Grammpreis) an italienische Edel-Restaurants. Selbst die taz hat in der Gerüchteküche mitgemischt. Blaumeisen spielten auch bei einer Installation in einer Berliner Galerie im Bezirk 36 eine Rolle, als Müller einen FDP-Wahlstand nachempfunden hat, und auf die blau-gelben Utensilien Aufkleber mit Blaumeisen klebte. Die kleine Design-Überarbeitung interessierte die bekennend linke Bevölkerung des Bezirks jedoch herzhaft wenig, woraufhin massive Proteste gegen die Eröffnung eines FDP-Parteibüros losbrachen. Immer wieder schweift er ab und spricht über einstige Szenepersönlichkeiten, wie bspw. ‚Ratten Jenny‘, die bei homophoben oder chauvinistischen Bemerkungen umgehend handgreiflich wurde, und heute mit Mitte 50 mit einem pinken Irokesenschnitt zeitweise in Kreuzberg gesichtet wird. Trotz vieler Einschübe und Randanekdoten, zieht sich ein Motiv kontinuierlich durch die Geschichten: die Vogelkunde. Im Finale: das nach Singen, Gurren und Grunzen der Laute von ausgestorbenen Vogelarten durch illustre Persönlichkeiten wie Annette Humpe, Francoise Cactus und Bretzel Göring oder seinem Bruder Max Müller, dem Sänger der Band ‚Mutter‘ (2008 bereits veröffentlicht unter dem Namen ‚ Séance Vocibus Avium‘). Vielleicht der offensichtlichste Moment an diesem Abend, der verdeutlicht: Bei Wolfgang Müller darf auch gelacht werden. Und als er karaoke-haft zu schrägen Tönen mit ausladenden Gesten von Elfen singt, steht für die meisten fest: was für ein herrlich ungewöhnlicher Abend im Zeichen des Punk.