Artikel 29.01.2015

Von einem, der auszog, eine Band zu sein: And The Golden Choir im Gespräch.

Tobias Siebert ist And The Golden Choir. Er ist die Stimme, er ist die Gitarre und die Streicher und der Rest der Band, all die Instrumente und Background-Sänger, die der Stimme ein Kissen sind. Er ist der, der auszog, ein Chor zu sein und der jetzt schon eines der wichtigsten Alben des Jahres aufgenommen hat.

Freilich, die Idee hatten vor ihm schon andere. Doch Konstantin Gropper, den man zu Zeiten seines Debüts mit Get Well Soon für seine Herangehensweise und unfassbaren Fähigkeiten als Wunderkind lobpreiste, holte sich fürs Studio und sowieso für die Konzerte dann doch eine Band dazu. Tobias Siebert ging den Weg konsequent vom Anfang bis zum Ende. Von den ersten Ideen noch während der Arbeit am letzten Album von Klez.e bis zum Entwickeln der Texte über das nach und nach wachsende Instrumentarium, das er in bewundernswerter Kleinstarbeit im Studio selbst einspielte, Spur für Spur zusammensetzte und sich als Bandsound für die Live-Auftritte auf Vinyl pressen ließ. Eine Idee, die auch beim hundertsten Erzählen noch so unfassbar brillant ist, dass man sich das unbedingt angeschaut haben muss, um es zu glauben.

Fünf Jahre nach dem Erstkontakt haben wir nun mit "Another Half Life" das großartige Debüt von And The Golden Choir so staunend wie begeistert in Empfang genommen. Zwölf feierlich-traurige Songs lang eröffnet uns Tobias Siebert darauf eine in mattes Sepia getauchte Welt voller Zweifel, Sein und Schwinden, Liebe und der Suche nach Erklärungen, und weil wir dieses live so faszinierende Zusammenspiel von ihm und seinem Grammophon zuhause nicht sehen können, fällt uns nur noch mehr auf, wie unglaublich stark dieses Album auch musikalisch ist. Finden übrigens nicht nur wir: Die gesamte Musikpresse überschlägt sich mit Lobeshymnen und Bewunderungsbekundungen.

Lassen wir Tobias Siebert selbst zu Wort kommen. Im Gespräch erzählt er, wie alles angefangen hat, was Sometree damit zu tun haben, wie man alleine ein Orchester ist und wie tröstlich sich Visionen vom Himmel anfühlen.

Es ist ja immer total schön, nette Sachen über sich zu lesen. Aber hast du damit gerechnet, dass es ein so derartig warmer Regen wird, der da medial auf dich zuströmt?

Nee, gar nicht. Ich erträume mir da eigentlich immer lieber nichts, umso weniger enttäuscht bin ich dann am Ende. Aber es ist natürlich auch irgendwie das, was ich ja suche. Mehr als das, was mir gerade passiert, kann man sich glaube ich als Musiker in Deutschland gar nicht wünschen.

Zumal du ja auch eine ganze Zeit lang eher im Hintergrund gewesen bist...

Na ja, ich hab natürlich zwischendurch schon viel gemacht. Das Projekt hat vor fünf Jahren begonnen, seitdem habe ich viele Supports gespielt, und auch die beiden Touren im letzten Jahr waren bestimmt sehr wichtig. Insgesamt waren das seit 2009 um die 180 Konzerte. Dann gab es ja auch die beiden limitierten EPs, die wir nach den Konzerten verkauft haben, die sind mittlerweile leider vergriffen Die Idee dabei war eine gute und lange Vorarbeit zu schaffen, um mit dem Debut nicht ins kalte Wasser zu fallen.

Hast du manchmal das Gefühl gehabt, dass es dir geholfen hat, dass du schon einen Namen hattest in der Szene?

Nee, den Eindruck hatte ich tatsächlich nie. Die meisten Besucher, die zu den Konzerten kamen, kannten Klez.e gar nicht. Da waren dann höchstens mal ein oder zwei Leute pro Stadt, die am Ende gefragt haben, ob's denn von Klez.e nochmal was neues gibt. Und wenn ich bei Facebook auf der Klez.e-Seite was über And The Golden Choir poste, bekomme ich auch nicht so überwältigend viel Feedback, dass ich glauben müsste, die Fans kämen jetzt alle mit rüber. Aber das ist auch gar nicht wichtig. Ich hatte erst überlegt, mich als Person mit meiner Vergangenheit - ob bei den Bands oder als Produzent - ganz rauszunehmen aus dem Projekt. Einfach die Platte zu machen, die sollte für sich stehen. Doch man hat mir da von Promo- und Labelseite schon sehr früh von abgeraten. Und Schreiber freuen sich doch auch, wenn sie ihren Texten eine kleine Geschichte voranstellen können. Trotzdem hätte ich gerne gesehen, was passiert, wenn ich bei 0 angefangen hätte. Denn für mich fängt hier einfach schon ein neuer Kreis an.

Als ich das erste Mal mit deinem Projekt in Kontakt gekommen bin, hat es für mich aber auf eine Weise tatsächlich so angefangen. Du hast Sometree in Bremen supportet. Das war 2009. Ich stand damals wie blind vor der Bühne. Ich kannte dich ja, aber es war mir irgendwie zu keinem Zeitpunkt bewusst, dass du das tatsächlich warst. Vielmehr war ich von dieser kunstvollen Darbringung so begeistert, dass ich einfach nur heiß darauf war, wie es weitergeht, wann was kommt, wann wo Hörproben auftauchen und so weiter.

Da hast du lange gewartet!

Das stimmt.

Man muss Sometree da auch nochmal groß danken. Ich hatte die Idee für das Projekt eigentlich schon ganz lange, hab es aber nie geschafft, sie zu verwirklichen. Zu viel Arbeit. Als wir dann mit den Aufnahmen zu Sometrees Album "Yonder" fertig waren, meinten die Jungs: Hey, wir fahren in zwei Monaten auf Tour! Komm doch mit! Du hast da doch diese Songs, die könntest du doch mal öffentlich ausprobieren! Und dann musste es schnell gehen. Ich brauchte ein Backing für die Songs, denn alleine mit der Gitarre wollte ich nicht auf die Bühne. So kam mir die Idee mit den Schallplatten.

Wie hast du das so schnell hinbekommen?

Ich wollte wenigstens fünf Lieder dabei haben. Dann ergab sich alles total zufällig: Ich ging ins Studio, setzte mich ans Schlagzeug und spielte los. Und so entstanden Stück für Stück, Spur für Spur die ersten Stücke. Für mich war das so, wie es lief, eine total besondere Sache. Und es ist ausgeartet: Ich hatte eigentlich vor, nur drei oder vier Instrumente einzuspielen, etwas Klavier, einen Chor. Doch auf einmal waren meine Songs wieder total opulente Stücke geworden.

Und wie kam das dann alles auf die Vinyl?

Es gibt Presswerke, bei denen kann man sich sehr kurzfristig Musik auf Vinyl pressen lassen. Das war gar nicht der schwierigste Part. Es gab aber noch ein Problem: Ich wollte unbedingt englische Texte, hatte aber in der Schule nur Russisch. Ich konnte keinen vernünftigen Satz sprechen. Eine sehr gute Freundin hat mir geholfen, meine Geschichten zu übersetzen. Ich war fünf Stunden im Studio um die Songs einzuspielen und bin danach zu ihr gefahren, um an den Texten zu arbeiten. Dann fuhr ich wieder zurück und machte weiter. Eine total intensive Zeit. Es waren knapp zwei Monate, aber es fühlte sich viel, viel länger an.

Wie viele Stücke vom jetzigen Album hast du damals schon fertig gehabt?

Ich weiß es noch! Weißt du es auch?

Tatsächlich nicht!

"My Transformation", das war auch das erste Lied, das ich je für And The Golden Choir geschrieben habe. "Holy Diamond". "My Heaven Is Lost". "Angelina". Es gab damals noch ein fünftes, "Follow Angels", das ist aber dann nicht auf dem Album gelandet.

Rein künstlerisch ist es ja ein großes Wagnis, sich auf die Bühne zu stellen und die Songs im Hintergrund quasi "auf Knopfdruck" abzuspielen. Trotzdem finde ich, hat es durch die Bedienung des Grammophons einen total innigen und organischen Charakter, so dass man nie auf die böse Idee kommt, dir die Benutzung von Konserven vorzuwerfen.

Das war ja auch die Idee dahinter. Ich wollte auf keinen Fall einen Laptop. Und es beschäftigt die Leute. Viele kommen nach den Konzerten und fragen nach, ob ich die Vinyls vom Flohmarkt habe oder welche tolle Band mir denn diese Vinyls zur Verfügung gestellt hat. Die können das dann nicht fassen, dass man sich sowas auch selbst auf eine Schallplatte pressen lassen kann. Ich gebe aber zu, dass ich damals erst noch gar nicht so verstanden habe, wie besonders das eigentlich ist. Auch die Begleiterscheinungen, die das Abspielen einer Vinyl mit dem Grammophon zum Beispiel gegenüber einem Laptop hat. Das Knistern, die Stimmung.

Popkulturell ist das auch vielleicht gar nicht so uninteressant, wenn man sich vergegenwärtigt, wie sehr ja in den letzten Jahren die Liebe zum Vinyl und dem besagten Hörgenuss zugenommen hat.

Stimmt, vor fünf Jahren war das noch gar nicht so! Ich find das eine tolle Entwicklung.

Wie viele Vinyls stellst du dir selber so her, als Backup sozusagen?

Von jeder nur eine tatsächlich. Also auf jede Vinyl passen zwei Stücke, für zwölf Lieder brauche ich demnach sechs Platten. Insgesamt sind es dann zwölf. Der Haken ist eben auch, dass diese Individualpressungen sehr teuer sind. Bisher ist aber zum Glück immer alles heile geblieben. Einmal habe ich draußen einen Videodreh gemacht, da schien die Sonne so hart auf die Platte, dass die sich verbog. Da bekam ich Panik. Wir haben die aber direkt ins Kühle gebracht, und sie formte sich ganz schnell wieder zurück.

Es lesen ja jetzt immer alle: Er hat fünf Jahre damit zugebracht, all diese Instrumente alleine einzuspielen. Aber ich glaube, was das für einen Aufwand bedeutet, kann sich kein Mensch vorstellen. Kannst du ein bißchen erzählen?

Die fünf Jahre - das muss ich natürlich gestehen - habe ich nicht am Stück mit der Platte zugebracht. Ich hab ja auch viele Platten für andere Bands produziert und gemischt, dadurch gab es immer wieder Pausen. Das brauchte meine ganze Konzentration. Und And The Golden Choir sollte einfach kein Feierabendprojekt werden. Ich musste mir immer wieder die Freiräume selbst schaffen. Nach der Tour mit Sometree war ich zum Beispiel erstmal sehr viel im Studio und habe die Klez.e-Variationen vorbereitet. Da hatte ich mein eigenes Projekt sogar eine ganze Zeit lang zu den Akten gelegt. Erst, als ich dann mit Me & My Drummer im Studio war, kam ich wieder drauf. Vieles aus der Musik von den beiden erinnerte mich an meine eigenen Ideen. Und dann konnte ich nicht mehr aufhören, schuf mir immer mehr Freiräume. Wenn ich die reinen Tage zusammenzählen würde, die ich an "Another Half Life" gearbeitet habe, kommt etwa ein Jahr zusammen. Das ist aber, denke ich, immer noch viel. Trotzdem würde ich sagen, passen diese fünf Jahre. Denn sie beschreiben einen Zyklus, und alles, was mir in der Zeit mit oder ohne And The Golden Choir passiert ist, gehört dazu und ist wichtig. Ich habe an meinem eigenen Album eine Entwicklung durchgemacht.

Das ist spürbar! Wie war es rein instrumental?

Rein instrumental war es so: Ich ging morgens ins Studio, da war niemand außer mir, also fing ich an zu werkeln. Es entstand immer mehr, und das dauerte natürlich wirklich lange. Herauszufinden, wie die Melodie des Gesangs passt... Du musst wissen, ich bin jemand, der immer versucht, sehr tief in das Lied zu hören. Ab irgendeinem Punkt erzählt einem das Lied selbst, was es gerne will; das ist zumindest meine Philosophie. Ich höre es wieder und wieder und entdecke neue Freiräume und höre Instrumente, die noch nicht da sind, und dann nehme ich sie auf, und irgendwann höre ich nichts mehr, und dann ist es fertig.

Ist das nur ein gewinnender Prozess oder auch ein sehr nervenaufreibender?

Also zu 80% rinnt das gut vor sich hin. Nur mit zwei Songs hatte ich Probleme, da wusste ich zeitweise nicht, wie es weiter gehen sollte. Klar ist man dann auch mal am Boden zerstört, so zwischendurch. Aber es ist dann wie so häufig, man legt es beiseite und lässt es kurz ruhen, und irgendwann geht es weiter.

Wie ist es eigentlich passiert, dass du gesagt hast: Ich mache das, und es ist mein eigenes Ding; mehr noch: Ich mache das alleine?

Ich glaube, es war einfach für mich persönlich wichtig. Die Idee, eine eigene Platte aufzunehmen, hatte ich ja schon länger. Dabei wollte ich gerne auch gezwungen sein, alles selbst zu machen. Ich wollte sehen, was passiert, wenn ich mich plötzlich selbst ans Schlagzeug setze. Es ging da noch gar nicht so um mich als Person, also darum, mich selbst irgendwie zu verwirklichen. Es sollte einfach nur mal ohne eine Band sein. Seit 1990 war ich immer in verschiedenen Bandkonstellationen und habe dadurch wahnsinnig viel gelernt. Irgendwann habe ich angefangen, Lieder zu schreiben, aber an irgendeinem Punkt kam halt immer die Band dazu und hat den Song um ihre Einflüsse erweitert. Versteh mich nicht falsch: Das war mir immer auch super wichtig. Einfach auch, weil die Band mir teilweise neue Sichtweisen auf meine eigenen Lieder eröffnet hat. Trotzdem wollte ich diese Ebene für mich einfach mal ausblenden.

Wie vorteilhaft ist es dabei, über ein eigenes Studio zu verfügen?

Sehr. Der Druck ist viel höher, wenn man sich auch noch Gedanken macht, nur wenige Tage Zeit zu haben, in denen es aber für einen selbst gut werden muss.

Lass uns über deine Texte sprechen. Man liest ja sehr viel von Gospel-Verweisen und christlich-religiösen Metaphern. Wie viel Religion steckt in deinen Texten, wie wichtig ist dir Religion?

Ich glaube, das hat tatsächlich mehr mit der Musik zu tun. Zum Beispiel durch die Chöre, die sich aufschichten... Den Projektnamen habe ich zum Beispiel auch erst gewählt, als die Songs schon fertig waren. Eine wirkliche Religiosität sehe ich da gar nicht, auch wenn es natürlich häufig ums Suchen und Finden geht. Ums nicht miteinander sprechen können.

Für mich war es beim reinen Lesen der Texte auch schnell klar, dass es sich hier nicht um Darlegungen religiöser Manifestationen handelt, sondern dass es ganz viel mit dem menschlichen Empfindungen von Angst, Verlust und Liebe zu tun hat. Würdest du sagen, dass du eine gewisse spirituelle Metaphorik für dich bzw. das Empfinden deines Sprechers in den Texten umcodierst?

Vielleicht haben sich die Metaphern, die du ansprichst, ein bißchen von selbst ergeben. Es stimmt schon, ich bin ein sehr spiritueller Mensch und habe so meine Ideen vom Leben, gehöre aber keiner festen Religion an. Und ich glaube, das nicht alles so einfach und oberflächlich ist, was man sieht. Am Anfang war ich mir relativ sicher, dass meine Texte alle ganz profan ausgedachte Geschichten sind und war überglücklich, dass ich endlich Songs auf Englisch hatte. Erst viel später ist mir bewusst geworden, wie viele Sachen aus mir und meinem Unterbewusstsein in die Texte und Geschichten geflossen ist. Manchmal war es fast, als würden mir die Songs ein Spiegelbild vorhalten. Es sind immer noch alles fiktive Geschichten, kein Song handelt 1:1 von mir. Aber es gibt viele kleine Verweise, die mich selbst sehr bewegt haben. Sie haben mich zum Nachdenken über mich selbst angeregt. Immer wieder. Mir ist natürlich auch klar, dass man durch das ständige Alleinsein ein bißchen wunderlich wird (lacht).

Also hatte das Schreiben für dich definitiv etwas kathartisches.

Auf jeden Fall, ja.

Die letzten Zeilen auf Klez.es "Vom Feuer der Gaben" lauten: "Je mehr ich begreife, zerstört sich mein Ort". Auch auf "Another Half Life" spürt man immer wieder, dass du auf der Suche nach Orten bist, bzw. wie schwer der Verlust eines Ortes wiegt, wie wenn auf "My Heaven Is Lost" wegen einer verlorenen Liebe der Himmel als Sehnsuchtsort verloren ist. Und ich bilde mir ein, Parallelen zu Klez.e auch bei "In Heaven" ziehen zu können: "I beg for more", heißt es da; bei besagtem Abschlussstück "Ich bete für mehr". Worauf ich hinaus will: Wie viele Themen, die du bei Klez.e zuletzt angeschnitten hast, bewegen dich doch noch so sehr, dass du sie auch mit And The Golden Choir nicht ablegen konntest, so dass es irgendwo doch eine Fortsetzung ist?

Ja, das empfinde ich streckenweise wirklich so. "Vom Feuer der Gaben" war für mich und uns ein ungeheuer intensives Werk. Dass es mich auch nach Jahren noch nicht losgelassen hat, ist vielleicht konsequent. Auch da haben wir übrigens schon viel mit Chören gearbeitet. Ich finde aber, der Schritt ist immer noch groß genug vom alten Material weg, so dass es wirklich etwas "neues" ist. Das Beispiel "In Heaven", das du anführst, finde ich spannend. Ich kann das in dem Moment, in dem du das so sagst, total nachvollziehen, wie da Parallelen erkennbar werden, doch es geht in Wirklichkeit um etwas ganz anderes, und ich habe beim Schreiben dieses Songs auch keine Sekunde an das "Gebet für mehr" gedacht.

Kannst du uns erzählen, worum es geht?

Eigentlich mache ich das ungern. Das, was bei dir passiert ist, finde ich nämlich eigentlich total stark. Da entstehen ganz eigene Bedeutungen und Vorstellungen. Ich finde das enorm spannend, wie jeder so seine eigene Geschichte da mit einfließen lässt und sein Eigenes draus macht. So höre ich intensive Texte auch am liebsten und tausche mich gerne aus. Es eröffnet immer neue Perspektiven, und wie ich schon sagte - oft fällt mir ja auch erst viel später auf, wovon meine Texte in Wirklichkeit handeln. Ich möchte trotzdem gerne über "In Heaven" sprechen, weil mir das Stück sehr am Herzen liegt. In dem Jahr, als ich das geschrieben habe, sind ein sehr guter Freund und mein Opa gestorben, der Freund ganz unvermittelt. Dabei hätte es noch so viele Dinge gegeben, die ich gerne aufgearbeitet und besprochen hätte. Und ich spürte, wie einfach es gewesen wäre, einfach mehr über Dinge zu reden, die mir am Herzen gelegen haben, und auf einmal ist es zu spät. Das ist eine sehr schmerzhafte Erkenntnis. Ich habe dieses romantische Bild vom Himmel bemüht, weil es eine tröstliche Vorstellung war, hinauf zu schauen wo er sitzt, und jetzt noch zu sagen, dass mir vieles leid tut, und dass es dann doch noch okay ist.

Wovon handelte "Gebet für mehr"?

Das ganze Album handelte ja im Grunde von der Ambivalenz der Weltreligionen, durch die Menschen legitimieren, sich gegenseitig bekriegen zu dürfen. Das war für mich zu der Zeit ein großes übergeordnetes Thema. Dabei hat Religion so viele gute Seiten; dass man in der Kirche Ruhe und Zuflucht findet und einen Ort zum Kraft schöpfen, aber in vielen Punkten wird sie fehlgeleitet benutzt und sorgt für Schrecken und Leid. Diesen inneren Kampf habe ich aber mit And The Golden Choir nicht weiter geführt; diese Themen spielen für mich dabei keine Rolle mehr.

Doch auch hier bleibt der Himmel ein romantisch gezeichneter Ort, an dem sich die Fronten enthärten, die Menschen sich die Hände reichen, an dem sich verziehen wird und an dem man sich endlich wieder geborgen fühlt? Diese Idee von dem einen Ort zum Schließen eines inneren und äußeren Friedens hat doch, egal welche Zerrüttungen dem zugrunde liegen, etwas ungemein tröstliches.

Richtig. Das hast du schön gesagt. Insofern ist dann doch vielleicht eine Parallele da, oder eine Assoziation zwischen den beiden Stücken.

Es ist jetzt viel darüber zu lesen, du hättest dich von deinen beiden alten Bands losgesagt. Ist es wirklich so endgültig?

Ich weiß gar nicht, woher das kommt, ehrlich gesagt. Delbo gibt es nicht mehr, weil unser Schlagzeuger leider nicht mehr am Leben ist, und es diese Band nur in unserer alten Konstellation geben kann. Mit Klez.e haben wir uns immer wieder getroffen und neue Stücke angefangen, wir haben eine Menge Ideen, doch es gab auf privater Ebene einfach immer wieder Gründe für wenig Zeit. Doch es macht Spaß mit den anderen, und wir wollen das immer noch und wir sind nicht vom Tisch.

Ist And The Golden Choir eigentlich für dich ein Projekt zum Weitermachen?

Das kann ich ganz klar mit "ja" beantworten. Es ist mir so ans Herz gewachsen und hat so gut getan, mich darüber in so vieler Hinsicht neu zu entdecken. Das hat so viel Kraft erzeugt, dass ich mir einfach nicht vorstellen kann, es aufzugeben. Ein weiteres halbes Leben mit And The Golden Choir! (lacht)



Text: Kristof Beuthner