Artikel 17.12.2014

Was kommt nach der Heiserkeit? Timm Voelker (206) im Interview

Mit dem Album »Republik der Heiserkeit« setzte das Trio 206 vor knapp vier Jahren ein beachtenswertes Zeichen innerhalb der sich nach wie fortsetzenden Welle neuer, auf deutsch singender Bands. Der ungewohnt kühle, effektarme Sound der Band und die in den Texten dargelegten Gesellschaftsbeobachtungen stehen innerhalb deutschsprachiger Musik in einer gewissen Tradition, wirkten in der Art aber bereits wieder wie aus der Zeit gefallen. Dem Album folgten noch die 7-Inch »Ein freundlicher Geist« sowie diverse Konzerte. Davon ab wurde aber nicht viel preisgegeben über Entwicklungen innerhalb und die Zukunft der Band. So vollzog sich der Ausstieg des Bassisten Leif und des Schlagzeugers Florian und die daraufhin nötige Neustrukturierung von 206 eher im Stillen. Aiva Kalnina traf sich mit Timm Voelker – Songschreiber und Sänger der Band – um über das erste Album, den »zweiten Start« der Band, die Texte Voelkers und den Umgang mit Ironie zu sprechen.

Aiva: Vor wenigen Monaten hast du mit 206 ein paar Konzerte unter dem Titel »33 Jahre Republik der Heiserkeit« gespielt bei denen ihr, nebst neuen Songs, komplett das erste 206-Album gespielt habt. Offenbar hat das Album also seine Relevanz für dich behalten. Das erste Album (»Republik der Heiserkeit«, ZickZack Records) war ja ein Album über Deutschland...

Timm: Album über Deutschland? Nee... Ich weiß, dass das oft so wahrgenommen wurde, das erschrickt mich auch immer total.

 

A: Bei Begriffen wie »Baader« oder »Trauerkarten in Hitlers Originalhandschrift« oder auch schon dem Albumtitel »Republik der Heiserkeit« liegt es doch nahe zu denken, dass es da einen konkreten Deutschlandbezug gibt.

T: Wahrscheinlich hätte ich da ein bisschen länger drüber nachdenken müssen. Aber ich hab's einfach so herausgehauen. Im Nachhinein ist mir auch aufgefallen, dass das ganze auch politisch gelesen werden kann. Meine Vision war eher, das Politische ins persönliche Innere zu überführen. »Baader«, »Republik« usw. habe ich benutzt, weil es Begriffe sind, mit denen du in unserem Staat mindestens medial ständig konfrontiert bist und ich singe ja auch auf deutsch. Also warum soll ich die dann nicht benutzen, wenn sie in der Geschichte der Sprache drin sind. Ich halte mich da klar an Brinkmann, Fauser und Burroughs. Natürlich sollte ich mich dann aber nicht drüber wundern, dass es konkret politisch wahrgenommen wird. Ich rege mich auch nicht darüber auf, wenn das passiert. Außerdem glaube ich, dass ich es als Songschreiber nur zu einem recht kleinen Grad unter Kontrolle habe, was das Publikum mit einem Song macht, wenn der erst mal veröffentlicht ist.

 

A: Daraus, wie jemand anderes einen Song oder einen Songtext versteht, lassen sich auch verschiedene Erkenntnisse gewinnen. Wenn die Texte etwa von manchen Hörerinnen und Hörern möglicherweise nicht ernst genommen werden in dem Sinne, dass die Texte als ironisches Sich-vom-Rest-der-Menschen-Abgrenzen gelesen werden. Ist dir so etwas schon einmal untergekommen und hast du daraus etwas Bestimmtes schließen können?

T: Ironie ist ein Thema über das ich immer gerne rede, weil ich schon länger ein Problem in ihr sehe. Ich will nicht sagen, ein gesellschaftliches Problem, aber dieses Zitieren oder irgendwelche Mittel zu benutzen... Klar, das mache ich ja auch, aber ich kämpfe damit, wegzukommen von so einem ironischen Benutzen von Sachen. Auf der neuen Platte zum Beispiel wird es Keyboard-Sounds geben, die ziemlich nach 80er klingen, was als Zitat wahrgenommen werden kann. Aber ich benutze die nicht als ironische Verzierung und ich hoffe auch nicht, dass das ironisch rüberkommt. Ich nutze sie, weil mir die Sounds gefallen und weil es eine Kindheitsprägung ist. So bescheuert das klingt, aber dieser 80er-Sound gibt mir emotionalen Halt. Immer wenn ich »Tougher Than The Rest« oder »Wild Boys« höre, denke ich daran, wie ich im Wartburg meiner Eltern sitze und diese Musik im Radio läuft während ich aus dem frisch eingebauten Schiebedach in die Sonne blinzele.

 

A: Dieses Sicherheitsstreben und die Auseinandersetzung mit der musikalischen Vergangenheit und dem Vertrauten ist sicherlich auch das, was die ganzen Retrowellen in den letzten Jahren befeuert hat.

T: Vielleicht ist es tatsächlich so, dass wenn die Leute, diese Retrosachen als cheesy und ironisch abfeiern, das auch nur machen, weil sie sich – ich unterstelle jetzt mal unbewusst – daran erinnern, wie sie eine glückliche Kindheit verbrachten. Ich glaube, das sind Kollektiv-In-Utero-Soundgefühle, die da angetriggert werden.

 

A: Und um ihre eigenen Emotionen und ihre Persönlichkeit nicht selber total blankzulegen.

T: Genau das ist der Moment, wo ich anfange zu zweifeln. Warum muss etwas Echtes über Ironie abgeschwächt werden? Weil das heutzutage überall so ist? Das zeigt sich auch in Liebes-Beziehungen, in denen aus Unsicherheit und Angst vor Verletzungen Tiefgründigkeit und Emotionen negiert werden. Ich denke dieses komische Störung der emotionalen Kommunikation ist das Problem unserer Generation und zieht noch mehr Probleme nach sich. Auch vor dem Hintergrund der Extremisierung des Kapitalismus etwa. Ich stehe noch mehr unter Stress, weil ich noch mehr Leistung bringen muss, habe also krassere Emotionen und darf die aber nicht zeigen. Ich klinge wie ein alter siebenundzwanzigjähriger Sack aber, das ist das was ich um mich herum erlebe und das zeigt sich in meiner Musik.

 

A: Als Musiker kann man zu einem gewissen Grad aber noch steuern, wie die Ironie von den Zuhörerinnen und Zuhörern gelesen wird. Bestimmte ernsthafte Anliegen kann man zum Beispiel auch ironisch verpackt noch vermitteln und nach außen tragen.

T: Mir kommt es langsam aber so vor, als ob das alles nur noch über Ironie funktioniert. Dass ich also fast gezwungen bin, wenn ich über etwas Ernstes reden will, das ironisch verpacken muss. Vielleicht weil es zu sehr wehtun würde, wenn ich es direkt sage. Deswegen scheint es immer nur über Umwege zu gehen, etwa über einen Witz oder totale Düsternis. Was ich auch okay finde, da ich kein unwitziger Mensch bin. Nur stelle ich mir da die Frage, wo hört das auf? Zum Beispiel habe ich die persönliche Erfahrung gemacht, als Mann unter Männern, so latent sexistische Witze zu machen, aus dem Glauben heraus, dass wäre okay, weil Frauen mittlerweile ja gleichberechtigt sind. Was aber gar nicht so ist.

 

A: Wenn etwa der gendermäßig und feministisch aufgeklärte Mensch sich dann offenbar das Recht nehmen darf, mit ironischer Geste doch wieder sexistische Witze machen.

T: Ja, genau. Etwa: »Das ist überwunden. Jetzt dürfen wir da wieder ran.« Das finde ich, aus eigener Erfahrung, unheimlich. Mir ging das schon ab und zu so, dass eine gespielte Haltung, dann tatsächlich zu einer echten wurde. Bei den sexistischen Sachen, habe ich das zum Glück ziemlich schnell gecheckt, aber zum Beispiel bei der vermeintlich ironischen Anwendung des proletenhaften halleschen/mansfelderischen Dialekts à la Elsterglanz geht das ruckizucki, dass du auf einmal nur noch so redest und dich schlussendlich so verhälst. Das ist es eigentlich, was mir bei dieser Sache mit der Ironie Angst bereitet. Ich bin da aber immer vorsichtig, das allen zu unterstellen und body-checke mich da erstmal selbst. Das führt wieder zu der Sache mit der Individualität und Politik mit sich selbst. Die Idee ist: »Ich beobachte und verhandle Probleme, die andere Menschen auch haben, über mich als Individuum.«

 

A: Was war ausschlaggebend für deine Entscheidung, mit der Neustrukturierung von 206 trotzdem als 206 weiterzumachen und nicht wieder solo weiterzumachen? Du hattest schließlich bereits vor »Republik der Heiserkeit« eine Solo-EP veröffentlicht und hast vor kurzem auch einige Konzerte alleine gegeben bei denen du 206-Songs gespielt hast.

T: Anfangs, das heißt vor ca. 70 Jahren, habe ich das immer ein bisschen getrennt: Hier sind Songs, die ich solo mache, die sind poppiger. Da sind 206-Songs, die sind aggressiver. In den letzten vier Jahren habe ich aber angefangen zu merken, dass das völlig bescheuert ist, weil das sowieso alles von mir kommt. 2014 war dann das Jahr der endgültigen Erkenntnis und Kernschmelze. Ich glaube, dass es zwei unterschiedliche Typen von Bands und Musikern gibt. Der eine Typ sind die Kollektiven, die alles gemeinsam entwickeln. Der andere die Individuen. Die Individualen, zu denen ich mich zähle, haben ihre Ideen und können sich glücklich schätzen, wenn es Menschen gibt, die Lust und Energie haben, ihnen bei der Realisierung ihrer Visionen Unterstützung zu geben. Ich hatte dieses Glück bisher immer und bin dafür sehr dankbar.

 

 

Mitte Dezember gehen 206 in neuer Besetzung auf Wochenendtour, wobei auch die ersten neuen Songs zu hören sein werden:

18.12.2014, 20 Uhr: Berlin, Studio 63 (Leipziger Strasse 63)

19.12.2014, 21 Uhr: Hamburg, Molotow Karatekeller

20.12.2014: geheime Show an einem geheimen Ort

 

 

 

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