Rezensionen 03.12.2013

Wind und Farben - Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals [Lala Schallplatten]

Das müssen wir schnell noch korrigieren. Denn fast wäre uns eines der tollsten deutschsprachigen Alben dieses Jahres tatsächlich durchgerutscht: Das Debüt der Schleswig-Holsteiner Wind und Farben.

Und da verdient ja eigentlich schon der Albumtitel einen Award: "Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals", aber holla die Waldfee, was immer das nun so ganz genau bedeuten mag. Musikalisch geht es nicht ganz so kryptisch zu bei der Band aus Neumünster. Da wird eine Menge von dem vereint, was sich gerade in Deutschlands junger, aufstrebender und relevanter Indierock-Szene tummelt und allenthalben Lobeshymnen einheimst: Die Härte und die Vertracktheit von Bands wie Captain Planet oder Adolar, aber auch den Pop-Appeal von den aufstrebenden Mikrokosmos23 oder Herrenmagazin. Doch selbst die beiden letzteren Referenzen machen klar, dass trotz mitreißender Harmonien und prägnanten Riffs keinesfalls das angesagt ist, was zuletzt so häufig als "Befindlichkeitspop" abgekanzelt wurde. Nein, das Album geht mit Stücken wie dem Opener "Frag jeden meiner Freunde", "Gib ihm tausend, Boby" oder "Kollege Kosmos" gut nach vorne, changiert äußerst gekonnt zwischen eher zurückgezogenen, bedächtigen Passagen und impulsiven Soundwandeinstürzen. Die zehn Stücke mäandern, lärmen, stampfen auf, reißen mit, schlagen Haken. Es ist auch angenehm, dass eigentlich nur auf einem Stück so richtig geschrien wird, obwohl die hier geäußerten Gedanken über Zukunftsangst, Heimatstadtverdrossenheit und die allzu menschlichen Schwächen sich anhören, als müssten sie dringend raus aus Mats Groth, Joe Reinke und Niclas Bockelmann. Doch so, wie sie es tun, machen sie sich verständlich und hörbar, sind nicht aggressiv, sondern eher verzweifelt, und da möchte man noch reden, noch nicht jedes Mal schreien. Und ja, thematisch fährt das Ganze auf eingefahrenen Wegen, doch Wind und Farben gewinnen ihren Themen eine neue, ihnen eigene Seite ab und machen sie damit auf ihre Weise spannend. Damit stehen sie in einer Reihe mit vielen anderen neuen norddeutschen Bands, die mit der Hamburger Schule nichts mehr zu tun haben und tragen einen guten Teil dazu bei, dass da eine Generation an Bands heranwächst, die ihr musikalisches Erbe neu definiert und ein Gefühl transportiert, das eher bei in denen wohnt, die raus wollen aus der Kleinstadt und ihren Zwängen, aber auch nicht so genau wissen, wo eigentlich das Ziel ist. Eine seltsame Unentschlossenheit ist das, die keine intellektuellen Floskeln braucht um ihre große Intensität und Schmerz zu entfalten. "Das Entzünden einer Kerze..." tut sich dabei als ein außerordentlich gut gelungenes Debüt hervor und darf auch gegen Ende des Jahres gerne noch entdeckt werden. Gute Musik kennt ja sowieso kein Alter.


Text: Kristof Beuthner