Am Mittwoch beginnt in Hamburg wieder die schönste Extra-Jahreszeit für Musikliebhabende. Eine neue Ausgabe Reeperbahn Festival steht in den Startlöchern! Zwischen Knust und Großer Freiheit gibt es wieder jede Menge Potenzial für durchgelaufene Füße und spannende Entdeckungen, aufregende Newcomer und etablierte Namen, leckeres Street Food und den ein oder anderen Award. Grund genug, spätestens heute ein Vorfreudepaket zu schnüren!
Fast 400 Konzerte könnte man sich von Mittwoch bis in die Nacht von Samstag und Sonntag anschauen, könnte man sich durch ein Vielfaches teilen. Die Kunst des cleveren Zeitmanagements ist selten so ein wertvoller Skill wie im September rund um die Reeperbahn. Denn neben eng getakteten Konzertzeiten und penibel berechneten Laufzeiten von A nach B muss man ja immer auch noch einkalkulieren, dass man an Ort C zufällig gute Menschen zum Schnack trifft oder irgendwo keinen Einlass bekommt und plötzlich auf die gute Idee an Ort D angewiesen ist um nicht eine Stunde lang zappelnd und unbeschäftigt in der Luft zu hängen.
Dabei sind die Geschmäcker natürlich höchst heterogen. Gott sei Dank ist es das Angebot auch. Von Neoklassik, Jazz und Contemporary kannst du dir nämlich über Indie und Rap bis hin zu Folk und Metal so ziemlich in jedem Genre der alternativen Musik die Synapsen füllen bis zur ultimativen klanglichen Glückseligkeit.
Darum haben wir mal versucht, es simple zu keepen und empfehlen euch pro Tag drei Konzerte, die ihr zeitlich auf jeden Fall einrichten können müsstet. Natürlich halten diese Tipps vor allem unserem eigenen Geschmackstest Stand. Allen, die sich hier nicht wiederfinden und trotzdem ein Ticket besitzen, empfehlen wir wärmstens, sich mit einem schönen Glas Rotwein noch schnell ans abendliche Querhören und Favourites markieren zu machen – ein liebgewonnenes Ritual, auf das ich mich persönlich Jahr für Jahr fast genauso freue wie auf das Festival selbst. Here we go!
Mittwoch, 17.09.2025
Wären wir ihr, würden wir im neuen Molotow in die Experience starten. Nicht nur, weil wir diesen Sehnsuchtsort der alternativen Musik bisher noch nicht an seinem neuen Ort erlebt haben, sondern auch, weil dort um 19:00 The Pill auftreten, eine äußerst schweißtreibende Riot Grlll-Punk-Band, die euch einfach schon zum Festivalbeginn komplett auf Links dreht. Hörbeispiel gefällig? Testet mal „Woman Driver“!
Von der Reeperbahn aus fährt man (wenn man nicht laufen will) eine U-Bahn-Station weiter, steigt an der Feldstraße aus und läuft ein paar Schritte zum inzwischen mit mächtiger Dachbegrünung verzierten Musikbunker. Die Konzerte im Resonanzraum waren jahrelang für uns mit der „Neue Meister Labelnight“ ein schöner entspannter Festivalausklang mit Klaviermusik und/oder Contemporary Sounds. Mit Omar Dahl könnt ihr hier ab 21:20 einer Band zuhören, die arabische Folklore mit Jazz und Art Pop vermengt und sich somit in der Schnittstelle zwischen Altin Gün und Khruangbin wiederfindet.
Am besten lässt man den Mittwoch im Angie’s ausklingen, aber leise wird es da keineswegs. Dort kombinieren nämlich die Szene-Darlings von Bikini Beach ab 23:45 das beste aus Stoner Rock, Surf Rock und Indie Rock zu einem wirklich überaus zwingenden Soundclash. Muss man sich unbedingt anhören!
Donnerstag, 18.09.2025
Den Donnerstagabend beginnen wir wieder im Molotow und zwar mit einer Band, die man allein schon wegen des exquisit gewählten Namens auf dem Zettel haben sollte: Man/Woman/Chainsaw. Wer im August in Haldern war, hat sich von diesem grandiosen Quintett schon eine wunderbar wilde Mixtur aus Lärm und Schönheit um die Ohren hauen lassen und sich möglicherweise darin verliebt. Hier ist nichts vorhersehbar, was M/W/C in die Nähe von ähnlich gearteten Bands wie Black Midi oder Black Country, New Road rückt, aber Man/Woman/Chainsaw machen ihr ganz eigenes Ding. Hochspannend – Kickoff 19:00!
Weniger Lärm, dafür umso mehr Schönheit finden wir ab 21:30 in der Batcave der Reeperbahn, also im imposanten Mojo Club, und zwar bei Soft Loft. Die Schweizer spielen sehr innigen, sonnentrunkenen und zeitgleich mit kleinen feinen Kanten versehenen Indie Pop, der das Herz wärmt. Einerseits wohnt diesem Sound eine herrliche Leichtigkeit inne, andererseits aber auch eine tiefe Melancholie. Das wird wunderschön!
Und dann wieder: Abteilung Attacke. Wer Dry Cleaning schon mal live erlebt hat, weiß wovon ich spreche. Fast schon bedrohlich zelebriert diese Band den musikalischen Stoizismus: dringlich, drängelnd, dabei nur vordergründig monoton, entfaltet sie einen faszinierenden Sog, auf den man sich einlassen muss um davon eingenommen zu werden. So geht Post Punk halt auch. Um 23:40 im Uebel & Gefährlich – be there or be square.
Freitag, 19.09.2025
Im Clubhaus St. Pauli (u.a. mit dem UWE, dem Sommersalon und dem Häkken) mitten auf der Reeperbahn kann man sich an diesem Wochenende eh auch ruhig die ganze Zeit aufhalten, es passiert ständig was neues und meist sind die Konzerte auch nur kurz. Wir empfehlen da eine höchst charmante Zeitreise zurück in die 80er, denn Twin Tribes sind die Band, die du brauchst, wenn dir an diesem Wochenende Postpunk und New Wave bisher zu kurz gekommen sind. Düster-verhallte Vocals über wabernden Synth-Flächen: Twin Tribes, you got us. Ab 18:00 im Bahnhof Pauli!
Wer Bock auf Rap hat und noch mehr Bock auf Rap mit (Anti-)Haltung kommt eigentlich an den Audiolith-Helden von Waving The Guns aus Rostock schon lange nicht mehr vorbei. Schon lange eine echte Institution im Kampf gegen die braune Masse und andere Idioten nimmt dich der Typ mit der Maske mit seiner Crew stabil an die Hand. Und weil man ja schon seit geraumer Zeit wieder ins Docks gehen kann, ist 21:10 am Freitagabend ein guter Zeitpunkt dafür.
Zum Abschluss geht’s in die Kirche für ein echtes Wochenendhighlight. Rob Goodwin kennt man seit über zehn Jahren als Bariton der famosen The Slow Show, nun hat er sich mit dem Berliner Pianisten Lambert zusammengetan um unter dem Projektnamen GOODWIN eine Soloplatte zu veröffentlichen. Und ja, natürlich ist das ein bisschen The Slow Show halt in sehr reduziert (nämlich nur auf Klavier und Stimme), aber das heißt doch gerade, dass das ganz wundervoll wird und nicht verpasst werden darf. St. Pauli-Kirche, 23:50. Und danach ab in die Nacht.
Samstag, 20.09.2025
Kein Australian BBQ, kein Reeperbahn Festival. Und am Samstag kommt im Molotow auch noch zusammen was zusammengehört: Weil nämlich St. Paulis australischer Fußball-Darling Jackson Irvine höchstpersönlich den musikalischen Nachmittag in seinem Lieblings(musik)club kuratieren darf. Dass da nur Gutes bei herauskommen wird: Eh klar. Eigentlich kann man also getrost seinen halben Tag dorthin verplanen, aber wenn es nur eine Band sein soll, empfehlen wir ganz stark den lässig angesurften Indie-Folk-Pop von The Hubbards, ab 17:10.
Gehören für uns eigentlich viel dringender zum Reeperbahn Festival als die Elphi-Konzerte: Die wunderbaren Abende, an denen die Hauptkirche St. Michaelis ihre Pforten öffnet. Das sind immer wirklich magische Momente in edelstmöglicher Atmosphäre, und in diesem Jahr spielt dort mit der eh immer wundervollen Alice Phoebe Lou eine Künstlerin, die als erste alle beiden hochimposanten Spielorte des RBF gefüllt haben wird; immerhin war sie 2021 schon im Rahmen des Festivals in der Elbphilharmonie zu Gast. Start ist um 20:00, und mit einer Stunde ist die Show für Michel-Verhältnisse sogar recht kurz.
Kickoff in die Samstagnacht am besten mit was tanzbarem oder? We got you covered. Im Mojo Club steht nämlich ab 23:45 Killowen auf der Bühne, und wer was für britischen Rap übrighat und schon mal was von Mike Skinner gehört hat, sollte hier unbedingt vorbeischauen. Nicht dass Killowens Style ein The Streets 2.0 hat, aber solche 2step-Garage-Rap-Hybriden kommen halt nur von der Insel und sind alle irgendwie Erben des frühen Mike. Extrem tanzbar, extrem mitreißend – so kann man ein Festival nach Hause bringen.
Wir sehen uns da – auf ein Getränk oder zwei – und freuen uns auf vier Tage intensiven Musikwahnsinn!
Text: Kristof Beuthner
Foto: Robin Schmiedebach