Es ist mir ein dringendes Bedürfnis, ein paar Worte über einen der magischsten Abende der letzten Monate zu verlieren (von denen es viel zu wenige gab in diesem stressigen 2013, wodurch diese aber umso intensiver wurden). Beteiligt: Kyle Woodworth, ein Paar Kopfhörer und ein Glas Rotwein.
Kyle Woodworth arrangiert unter dem Namen Woodworkings schon seit geraumer Zeit sphärische Soundscapes im Sinne neoklassischer Ambient-Musiker wie Olafur Arnalds oder Nils Frahm, und damit passt er wie angegossen in die derzeitige Richtung der Lieblings- und mittlerweile ja ausschließlich Vinyl-Luxemburger von Own Records, dank denen "Day Breaks The Morning Shapes We Speak" als einer der letzten Releases des vergangenen Jahres das Licht der Welt erblickte. Und ich hatte es mir schön gemacht für dieses Album, hatte das Tagwerk verrichtet, mich im Sessel ausgestreckt, mir ein Glas Rotwein eingegossen. Legte diese Platte auf und verlor mich. In unendlich tiefen, cineastischen Landschaften aus Klavier und Cello, synthetischen Klangkaskaden und Gitarren, die diese Stücke voller Innigkeit und Ruhe fast schon zu Songs machen (wie auf "A Candy Coated October"), wie man es lange nicht gehört hat im Oeuvre der Luxemburger. Aufgeteilt in acht - nennen wir es Phasen, führt Kyle Woodworth durch einen nachdenklichen Zyklus, der nicht nur von den Titeln der Stücke, sondern auch klanglich im Herbst beginnt und im Winter endet und voller stiller Betrachtungen von Verlorenem, Existentem und - mit ein wenig Hoffnungsfreude - einem Neubeginn steckt. Melancholie sitzt neben Glücklichsein und sagt: Es ist alles okay. Die Stücke tragen Namen wie "Friends, Forgetting", "Rust Flakes Thinks Snow" und schließlich "Slept The Whole Way Home" und geben dadurch dem Hörer eine vage Richtung, auf welche Reise er sich begeben könnte, doch letztlich macht jeder sein eigenes aus dieser Musik.
Spätestens in der zweiten Hälfte klingt "Day Breaks The Morning Shapes We Speak" so, als hätte Rauelsson den Soundtrack zu Darren Aronofskys "The Fountain" geschrieben. Etwas altes stirbt, etwas neues wird geboren, oder, wie es Herrmann Hesse sagt: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne; das Vergehende präsentiert sich in der puren Schönheit eines sterbenden Sterns, der wie Xibalbá im Film ein Ort der Wiedergeburt ist, wie auch ein Jahreswechsel sich immer ein bißchen anfühlt wie ein neuer Anfang. Die heimeligen Klangtupfer auf "When West Coast Winter Arrives" machen den Abschied leicht, lassen den Hörer sich verstanden fühlen, was auch immer sein eigener Teil dieses Albums ist und in welchen Strukturen er seine Anknüpfungspunkte für sein eigenes Leben, Sterben und Reinkarnieren findet, vielleicht auch nur für ein Verändern zum Ungewissen aber möglicherweise Guten, oder für was er das sinnbildlich einsetzt. Vor allem aber darf dieses Album ein Weg zu einem inneren Frieden damit sein, der so vielen Menschen in dieser Zeit fehlt. Alles ist gut, solange diese Musik spielt. Und am Ende steht mit dem von Streichern getragenen "Slept The Whole Way Home" ein beruhigter Schlaf in Sicherheit, Geborgenheit und Freiheit von allen Sorgen.
Als die Platte zu Ende war, fühlte ich mich, als wäre ich aufgewacht. Draußen müsste es jetzt schneien, dachte ich, auch wenn ich mich nicht traute, die Rollos zu öffnen, um nicht enttäuscht zu werden. Ich goss mir ein zweites Glas Rotwein ein und begann wieder bei Track 1.
Text: Kristof Beuthner