Rezensionen 04.10.2018

Doe - Grow Into It [Big Scary Monsters / Topshelf / Al!ve]

Nicola Leel und ihre Band Doe veröffentlichen ein Album, das eine Antithese zur männerdominierten Coming-of-Age-Emo-Haltung darstellen soll und stellt klar, dass Männer an den falschen Sachen kranken - Frauen leiden auch, aber einfach mit mehr Auge fürs Wesentliche.

Denn, so Leel, der Schmerz über das Älterwerden äußere sich bei den Jungs vor allem darin, dass jegliche Form von Erwachsensein strikt abgelehnt wird. Man(n) will lieber forever young bleiben, rumhängen und sich mit seinen Kumpels gepflegt aus der Atmosphäre schädeln, anstatt Verantwortung zu übernehmen und jeder Lebensphase das Positive zu entnehmen. Erleuchtung und Freiheit im Alter und Selbstständigkeit im Tod mit Bewusstsein für die allzumenschliche Weiterentwicklung, die in punkto Körperlichkeit natürlich auch Verschlechterungen beinhaltet - darum soll es gehen! Wer sich nur ständig selbst leid tut und sich in Nischen flüchtet, verpasst die neuen Herausforderungen - die dann auch wieder Nährboden für künstlerisches Schaffen darstellen, na klar.

Dass „Grow Into It“, das zweite Album von Doe, dann trotzdem wie ein retrospektiver 90s-Traum in bester Tradition der Breeders, von Pavement oder Weezer klingt, ist eine ironische Randnotiz, denn dieser Zutaten bedienen sich die weinerlichen Männer schließlich auch, um dem Unvermeidlichen den Mittelfinger entgegen zu recken, bevor sie trotzig die Konsole anschmeißen und sich ein Dosenbier aufmachen. Das macht aber insgesamt nichts, weil der Feind die Haltung, nicht der Sound ist, und ein so lässig dahingeschludertes Lo-Fi-Prachtstück wie „Grow Into It“ - die Drums scheppern, die Gitarren auch, aber immer wieder gniedelt sich auf höchst erfreuliche Weise einprägsames kleines Riff in unser Ohr und bringt uns zum Lächeln, und die Gesangsharmonien steigern sich innerhalb von Sekunden von lakonischen Statements zu hymnischen Refrains - ist einfach gemacht für die Unzufriedenheit und das vom Wohnzimmer aus gelenkte Aufrührertum im wachen Geist. Denn dass in der Welt von Nicola Leel alles gut ist, hat ja keiner behauptet: Es ist nur eine andere Form der Wahrnehmung, denn wenn man schon krankt, dann eben wenigstens an den richtigen Dingen. Weil Doe sich bei allem Lo-Fi und der vertrackten Rhythmik von Stücken wie „But It All Looks The Same“ aber immer wieder auch himmlischen Pop-Harmonien öffnen, ist „Grow Into It“ eine formidable Erwachsenwerde-Platte, die die Verspieltheit des inneren Kindes klanglich keinesfalls negiert, aber den Blick insgesamt nach vorne richtet und dich dabei an die Hand nimmt. Das ist klasse und wird nicht nur Frauen gefallen.


Text: Kristof Beuthner