Rezensionen 28.02.2018

Hior Chronik - Out Of The Dust [7k! / Indigo]

Einen Soundtrack zu einem Film schreiben, der nie gedreht worden ist: Ich möchte gar nicht wissen, wie vielen Musikern, die der Sparte Ambient bzw. Neoklassik zugeordnet werden können, dieser Plan im Kopf herumgeht. Viel faszinierender ist jedoch, wie oft dieser Plan funktioniert.

Im Fall des Atheners George Papadopoulos beispielsweise ein weiteres Mal. Unter dem Alias Hior Chronik verleugnet er seine Einflüsse auch gar nicht, spricht offen über die Nähe zu Musikern wie Max Richter oder, noch klassischer, Arvo Pärt und seiner auch gewollten klanglichen Nähe zu den Epigonen - und das ganz klare Vorhaben, einen Filmsoundtrack zu einem nie gedrehten Motion Picture aufnehmen zu wollen, der schließlich „Out Of The Dust“ heißt. „Entstanden aus dem Staub“ also - dieser Titel wirft die Gedankenmaschine an und ist ein Leitfaden, mit dem sich zur Platte das Kopfkino quasi von selbst entwickelt. Das in sanfte Piano-Passagen und düster wabernde Drones gekleidete, von elegischen, aber niemals aufdringlichen Streichern untermalte Prachtwerk, das sich hier kontemplativ unter die Bilder vorm inneren Auge schmiegt, ist wundervoll intim und reduziert geraten. Ein lauter Film kann es nicht sein, den Papadopoulos da im Kopf hatte; vielmehr ein ruhiges, besinnliches, nachdenkliches und suggestives Stück Arthouse-Kino mit langen Standbildern, auf denen sich scheinbar wenig tut:  Ein kaum wahrnehmbarer Wind weht, schemenhaft tauchen Figuren am Horizont auf, die Sekunden später nicht mehr zu sehen sind. Ein zweifelnder Protagonist richtet den müden Blick in die weite Landschaft, die gleichzeitig kahl und leer wirkt und doch dadurch dem Neuanfang eine unberührte Fläche bietet. Ein lethargisches, doch gleichzeitig auch ein sehnsuchtsvolles Szenario, das Wünsche und Träume von einer Zeit und einer Gegend, in der die Dinge anders sind als im Jetzt und im Hier, offenkundig macht, aber auch die lähmende Handlungsunfähigkeit offen legt - es ist noch nicht an der Zeit für einen Aufbruch, und „Out Of The Dust“ spielt genau in dieser surrealen Zwischenwelt. Das wird im schwelgerisch-melancholischen Grundton der Platte durch immer wieder hoffnungsvoll und beeindruckend erhebende Klänge illustriert. Und klar, auch mir fallen da Verweise zuhauf ein. Man könnte sich das Album formidabel unter den neueren Werken Terrence Malicks vorstellen. Und auch wahrhaftig als Soundtrack geschriebene Klang-Epen kommen mir in den Sinn: Der „The Fountain“-Soundtrack von Clint Mansell, Adam Brayanbaum Wiltzies wunderbare Untermalung des viel zu wenig bekannten Films „Salero“ oder der seines Hauptprojekts A Winged Victory For The Sullen zu „Iris“. Überhaupt müssen AWVFTS für „Out Of The Dust“ in großem Stil Pate gestanden haben - denn es sind genau diese zwischen Apathie und immenser Spannung mäandernden Gefühlswelten, die auch ihnen so eigen ist, und George Papadopoulos hat seinen Vorbildern wahrhaftig gut zugehört. „Out Of The Dust“ ist ein brillantes Album für die, denen die Schnittstelle zwischen Ambient und Neoklassik das Herz und die Gedanken öffnet, auch ohne Filmbezug - ein kleiner Geheimtipp und dringend hörenswert.


Text: Kristof Beuthner