Fundgrube 06.01.2015

In der Küche mit Grünkohl und Clickclickdecker: Hamburger Küchensessions #3

Als wir im vergangenen Jahr über die zweite Ausgabe der Hamburger Küchensessions zum Anfassen für zuhause jubilierten, brummte gerade das Veranstalten von kleinen Konzerten an anderen Orten als auf Bühnen. TV Noir, Balkon, Wald, Keller und eben Küche. Eine gute Zeit.

Ich meine: Musiker ziehen sich an ruhige, intime Orte zurück, reduzieren ihre Kunst auf das Wesentliche, nehmen Pomp und Brimborium raus und lassen lediglich eine Handvoll Menschen zuschauen: Besser konnte und kann man die Symbiose aus Künstler und Kunstliebhaber nicht inszenieren. Reduktion, "unplugged", nur für dich und mich - das schaffte eine neue Identifikation, das war direkt und unmittelbar und eine äußerst willkommene Abwechselung zu den immer größer werdenden Bühnen da draußen auf dem Acker.

Ein bißchen hat man ein Jahr später das Gefühl, dass der Hype sich etwas gelegt hat. Die Zahl an in sozialen Netzwerken geposteten Videos von Auftritten bei Tex in schwarz und weiß oder mit dem herrlichen Badge aus Altonas bester Küche hat für mich persönlich spürbar abgenommen. War auch die Flucht vor Groß nur wieder ein Strohfeuer? War es insgesamt einfach wieder zu viel fremdgesteuerter Eskapismus, so wie das Internet irgendwann alles totreitet, was schön ist?

Ach, das sind blöde Gedanken. Jens Pfeifer und seine Mannschaft machen immer noch ganz herausragende Arbeit und laden immer noch ganz tolle Künstler in ihre Küche nach Altona ein, und der dritte Küchensessions-Sampler ist ein feiner kleiner Beweis dafür. Klein deswegen, weil man sich dieses Mal auf nur eine CD beschränkt hat, und weil die großen Namen noch ein bißchen mehr abgenommen haben. Clickclickdecker, den ich hier gleich mal plakativ in die Tagline eingebaut habe, ist da schon der Bekannteste. Das heißt aber im Umkehrschluss in diesem Fall nur, dass man bei den Küchensessions nun sogar noch mehr entdecken darf als vorher.

Wobei das nicht heißt, dass hier Nobodies vertreten wären. Mit Garish findet sich schließlich einer der beliebtesten Österreich-Importe ein, Jack Beauregard und Desirée Klaeukens kennt man vom gleichen Label, Tapete nämlich. Erstere zeigen mit "Not That Kind", dass sie in diesem rein akustischen Gewand einfach viel schöner aussehen als im elektropoppigen, das wenigstens uns hier nie so richtig entzünden wollte. Frau Klaeukens ist eine der derzeit tollsten deutschen Songwriterinnen, so viel dürfte spätestens nach ihrer Küchenversion von "Verliebt in dich" auch den letzten Zweiflern klar sein. Textlich höchst prägnant, emotional immens intensiv: "Bring mich ins Bett, sei einfach da. Du weißt am besten, wie das geht". Kann ich nur so zurückgeben.

Es geht weiter mit noch mehr Namen, die man auf dem Zettel hat, und jetzt endlich mal die Möglichkeit bekommt, sich ein intimes Bild zu machen. Mit Kolkhorst und The Late Call sind noch zwei Tapete-Spezis dabei, und letzterer sollte endlich Einzug in alle Herzen für gute Musik halten. Wunderbar skandinavisch-melancholischer, unendlich warmer Folkpop. Das können auch We Invented Paris aus der Schweiz. Und The Wood Brothers mit ihrem göttlich swampigen Sound. Die werden dieses Jahr beim Orange Blossom Special vertreten sein. Beverungen-Fahrer können sich vorfreuen.

Wieder ist auch eine ganze Legion von Musikern vertreten, die ich noch nicht so auf dem Schirm hatte. Joco, Niclas DeWinter, Melanie Horsnell, Tim McMillan - wundervoll fragile Töne, stilsicheres Songwriting, bildschöne Stimmen, die natürlich in dieser Art der Darreichung ganz besonders die Chance haben, ohne zuviel Beiwerk für sich zu stehen. Oh, und Benni Benson ist auch dabei, auf dessen Debütalbum ja allerorts schon gespannt gewartet wird. Dass es übrigens dieses Mal nur eine CD gibt, hilft ein bißchen, die Konzentration zu fokussieren, gerade wenn man sich zuvor nicht gekannte Namen auf den inneren Merkzettel schreiben will. Denn 20 Lieder lassen sich schneller lieben als 40. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Reduktion was schönes sein kann.

Insgesamt kippt das Verhältnis leicht zu den englischsprachigen Songs, was ich eigentlich nur der Information halber erwähne, denn für die Qualität des Samplers ist das ganz unmaßgeblich. Wenn dann bei Stück 20 Café 612 die "Korken knallen" lassen, dann tun sie das zurecht, weil sich da nach einem Crowdfunding-Anlauf mit Nummer 1 und einer fulminanten Nummer 2 eine Sampler-Reihe in unser Bewusstsein gespielt hat, die auf einem guten Weg ist, sich zu etablieren.

Die Hamburger Küchensessions sind dann eben doch noch nicht TV Noir, sind dann doch noch so schön bodenständig und klein und Hamburg und laden mit so viel Feingefühl ihre Bands und Künstler zum Grünkohl ein, dass sie diesen charmanten Selfmade-Charakter auch im vierten Jahr nicht einbüßen werden; davon ist auszugehen. Eine Küche ist in ihrer Gemütlichkeit eben auch nicht durch einen Balkon oder einen Steinbruch oder ein verfallenes Lagerhaus oder so zu ersetzen. Und wie gut ist das bitte, wenn man auch als Nicht-Hamburger einmal im Jahr so viele vielversprechende und immer wieder gern gehörte Bands und Künstler so vor fremde Mikrofone gesetzt bekommt bekommt, dass man sie sich beim Augenschließen problemlos in die eigene Küche projizieren kann? Das übersteht durch seine Klasse jeden Hype ohne Mühe.

Das darf gerne noch ganz lange so weitergehen. Und das tut es ja auch. Für die nächsten Sessions sind unter anderem Devilduck-Neuling The Migrant und unsere Lieblinge von Die Sonne (alias die Band, die vorübergehend nicht mehr Wolke heißt) angekündigt. Und mir fallen noch viele Bands ein, die ich gerne mal in der Küche hätte. Mitspracherecht? Brauche ich nicht. Ich bin hier in guten Händen. Ich hab tiefstes Vertrauen. Und freu mich auf Sampler Nummer 4.

 

Text: Kristof Beuthner