Artikel 11.08.2023

Kein Wetter der Welt wird diese Liebe zerstören: Nillson beim Appletree Garden 2023

Normal ist gar nichts an diesem ersten Augustwochenende in Deutschlands Festivallandschaft. Wochenlanges Herbstwetter mit zum Teil heftigem Regen hat die Wiesen, die im Sommer die Welt bedeuten, in Matschwüsten verwandelt. Das ist an sich nicht neu, das haben wir alle schon erlebt. Gummistiefel gehören zur Kernausrüstung für Festivalisten, genau wie das Regencape, oder man verzichtet zumindest auf letzteres, und wer schon mal während der Lieblingsband von deren Show man sich unmöglich trennen und ins schützende Zelt verziehen kann in einen stabilen Guss geraten ist, kennt das unbeschreibliche Gefühl, bis auf die Socken durchnässt, aber unfassbar glücklich zu sein.

Aber Anfang August 2023 gehen die Bilder aus Wacken durch die Medien, von gestrandeten Festivalbesuchern auf Autobahnen und Landstraßen und provisorischen Camps auf dem „Parkplatz Rot“ am Hamburger Fußballstadion, von Anfahrts- und schließlich auch Einlasssperren und von dem ewigen Schlamm, der zwar dazugehört in Wacken, aber nun plötzlich ein Sicherheitsrisiko darstellt. Und das ist neu: Das, was man mit einem (gequälten) Lächeln in jedem Festivalsommer in Kauf nimmt für ein paar schöne Tage, wird plötzlich zu einem ernstzunehmenden Risiko.

Den Bogen von Wacken zum geliebten Glitzerwochenende beim Appletree Garden in Diepholz zu spannen, fällt in diesem Zusammenhang zum ersten Mal in meinem Leben nicht mal schwer. Aber es ist eigentlich auch egal, wo man hin schaut, die Bilder gleichen sich. Rocken am Brocken muss zusätzlich zum Matschboden auch noch eine Sturmwarnung für den Donnerstag herausgeben, und auch das Haldern Pop schwimmt weg. Die Wetterextreme sind real und nun endgültig auch im Festivalsommer angekommen. Die viel zu heißen Mai- und Juni-Wochenenden sind ebenfalls noch gut im Gedächtnis.

Man kann diese Geschichte aber nicht erzählen, ohne den Organisator*innen und Crews an dieser Stelle einmal ein riesengroßes Lob auszusprechen, ja, sich einmal ganz tief zu verneigen. Dass Probleme zum lösen da sind ist eh klar, aber mit wie viel Umsicht, guter Kommunikation und schnellen, validen Ansätzen das passiert ist, verdient riesengroßen Respekt. Was beim Appletree konkret bedeutet: Bei den Parkflächen wird kein Risiko eingegangen, die werden einfach dicht gemacht. Statt dessen steht der Marktplatz in Diepholz zur Verfügung, Shuttles werden eingerichtet. Und wer kann, möchte bitte die (ohnehin umweltfreundlichere) Anreise mit dem Zug auf sich nehmen. Da sich unweit vom (übrigens nicht betroffenen) Campingplatz ein großer Supermarkt befindet, können sämtliche Einkäufe ja auch vor Ort erledigt werden. Und fürs Caravan Camp steht der einzige halbwegs trockene Acker in reduzierter Form nach wie vor zur Verfügung – schon am Donnerstagmorgen steht allerdings auch eine ganze Armada von Traktoren bereit, um die Unverdrossenen direkt aufs Terrain zu ziehen. Das funktioniert alles absolut reibungslos und entspannt, also sind die Menschen es auch. Was so easy klingt erforderte mit Sicherheit schlaflose Nächte und beträchtliches Herzrasen, darum: Chapeau und Konfetti schon vor der Ankunft. Es ist hochverdient.

Und was für eine Belohnung muss es dann sein, wenn am Donnerstag tatsächlich die Sonne am Start ist und sagt: Ihr habt jetzt echt genug gelitten, hier habt ihr etwas Wärme? Da erwachen Lebensgeister nochmal ganz neu und da zeigt sich, dass eine „Jetzt erst recht“-Haltung auch irgendwie einfach dazu gehört und dieses Gefühl, nach überstandenen Strapazen das zerknitterte Gesicht in die streichelnden Sonnenstrahlen zu halten, unübertrefflich schön ist. Eine kleine Zitterpartie bieten nochmal der monsunartige Regen auf der Hinfahrt bis kurz vor Diepholz und die pechschwarzen Wolken am Himmel, vor denen man sich in den Shuttlebus rettet, aber bis auf ein paar Tropfen bleibt es friedlich und die einzige weirde Randnotiz ist der Ballermann-Schlager, den der Busfahrer auflegt – auf ein so rücksichtsvolles, waches, buntes, liebevolles Festival wie dem Appletree Garden mit dummbatzig-sexistischer Mallorca-Mucke anzureisen („Das ist der Klempner Klaus, gibt jeder gern die Faust, kein Geld für Alimente, er zieht ihn vorher raus“) sorgt zurecht für reichlich Augenverdrehen im Doppeldecker.

Aber dann ist es geschafft, erstes Kaltgetränk, Bändchenschlange, und dann steht man in Gummistiefeln und Regenponcho sprudelnd vor Glück zwischen seinen Freund*innen mitten im Zauberwald und kann sein Glück mal wieder kaum fassen. Überall strahlende Gesichter, schon beim Durchschreiten des neu gestalteten, leuchtenden Tores zum Campingplatz. Das ist dieser besondere Appletree-Spirit. Man wird wieder Kind im besten Sinne, die Augen sind groß und die Herzen weit. Jetzt kann es los gehen.

Und einen besseren Eröffnungs-Act als die Indie-Soul-Durchstarter von Blumengarten kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen (sowieso ist die Kombination Blumengarten-Apfelbaumgarten eigentlich eine Selbstverständlichkeit). Das Duo ist durch wunderbare Songs wie „Paris Syndrom“ und „Wiedersehen“ über die Geheimtipp-Schwelle gegangen und trifft jetzt auf ein euphorisches wie textsicheres Publikum, was die Band ebenfalls sichtlich mit Glückseligkeit erfüllt. Fuffifufzich zählt zu den derzeit spannendsten Künstlerinnen dieses Landes, auch ihr Mix aus Synthiepop und R’n’B trifft hier auf ganz viel Liebe. Die inzwischen zur echten Indie-Pop-Institution angewachsenen Blond bekommen mit einem Warmup der Rave Aerobic-Truppe in der neu geschaffenen Oase, einer kleinen DJ-Stage, die perfekte Steilvorlage für amtlichen Abriss zwischen Feminismus, Dadaismus und messerscharfen Alltagsbeobachtungen im glitzernden Powerpop-Kleid.

Über Bilderbuch und das Appletree kann man auch Geschichten erzählen. Denn diese Band und dieses Festival gehören in ihrer schillernden Farbenpracht einfach zusammen. Dass Bilderbuch zuletzt tatsächlich vor sieben Jahren hier waren, damals sogar als Secret Act, wirkt irgendwie unvorstellbar. Die wirken hier einfach allgegenwärtig. Es wäre eigentlich der perfekte Donnerstags-Headliner, aber auch auf dem Co-Posten performen die Jungs mit unfassbarer Liebe zum Detail, kicken überraschend viele Classic Rock-Elemente und haben natürlich einen ganzen Fächer voll Hits am Start, die hier auch jeder kennt. Es ist die vollendete Symbiose.

Die Entdeckung des Tages kommt aus Brighton und heißt Porridge Radio. Die Band um Sängerin Dana Margolin spielt im rappelvollen Zelt eine in jeder Hinsicht mitreißende, herzbrechende und hochenergetische Indierock-Postpunk-Show; an keinem anderen Ort auf diesem Festival hätte das so gut funktioniert, denn es muss (mehr oder weniger) dunkel sein, um all diese Emotionalität, die sich dazu auch noch in überaus tanzbaren Hymnen wie „7 Seconds“ oder „The Rip“ manifestiert, auf den Punkt zu bekommen. Ganz großes Kino und definitiv nicht nur ein paar neue Einträge in unsere Lieblings-Playlists wert.

Den Abschluss auf der Hauptbühne bestreiten Nu Genea, und das ist eine kleine Überraschung, denn so ein offensichtlicher Headliner wie beispielsweise Bilderbuch ist das Projekt aus Neapel eigentlich nicht. Da fehlen ein bisschen die Hits und der Mitsingfaktor, aber ganz unbestreitbar passt dieser fluoreszierende Mix aus Italo Disco, Funk und Elektropop wie gemalt zwischen die wieder mal in allen Farben leuchtenden Kunstkonstruktionen, die euphorisch in den Himmel gereckt werden, die Lampions und die strahlenden Blüten auf dem Appletree Garden. Das hat einen unwiderstehlichen Groove und zeigt, dass man nicht unbedingt nur exaltiert zu Songs tanzen können muss, die einem schon jahrelang ans Herz gewachsen sind.

Der Freitag beginnt auf der am Vortag noch nicht bespielten Waldbühne mit einem äußerst spannenden Hybrid aus sphärischem Indie-Ambient, elegischem Pop und überraschend tanzbarem Indierock von Dolphin Love aus Hannover, der unter anderem à la Sigur Ròs die E-Gitarre mit einem Geigenbogen bearbeitet und sich immer weiter steigert bis auch der letzte weiß: Dieses Projekt muss man sich merken. Bei Steintor Herrenchor auf der Hauptbühne handelt es sich nicht um ein semi-ironisches Chorprojekt aus dem namensgebenden Hannoveraner Szeneviertel, sondern um ein Trio, das die nach wie vor hoch wogende Neue Neue Deutsche Welle bis ins letzte Detail aufs stilvollste zelebriert, ein wenig weht hier der umjubelte Auftritt von Edwin Rosen aus dem letzten Jahr nach. Und es ist sehr schön zu sehen, wie beeindruckt die Band von der Hingabe ihres Publikums ist: „Ihr seid das größte Publikum vor dem wir je gespielt haben, das ist alles Wahnsinn hier!“ In jedem Fall gelingt der Band ein wunderbar mitreißender und umarmender Auftritt, von denen wird man noch mehr hören, so viel steht fest.

Für mich gibt es dann nach Jahren als Appletree-Gast tatsächlich eine Premiere: Zum ersten Mal geht es zu einer der alljährlich wiederkehrenden Lesungen vom hochgeschätzten Dirk Gieselmann, Appletree-Gründungsmitglied, Kolumnist und Schriftsteller, der allein in diesem Jahr mit dem Roman „Der Inselmann“ und dem wunderschönen Bilderbuch „Was macht die Nacht“ gleich doppelt lesenswertes veröffentlicht hat, hier aber einen Vorgeschmack auf sein im Herbst erscheinendes Werk „Pearl Jam, oder: Du sollst keine gute Laune haben“ gibt und uns mitnimmt in eine Jugend, in der Musik der Ausweg aus der ländlichen Tristesse und der Kleinbürgerlichkeit war. Da findet man sich wieder. Das möchte man im Regal stehen haben.

Der schwelgerische Synthiepop von Zimmer90 bringt die Quintessenz vieler beim Appletree gebuchter Bands auf einen Nenner: Strahlend, schimmernd, tanzbar, bunt. Macht Spaß. Auf strongboi auf der Waldbühne hatte ich mich eigentlich gefreut, zumal es sich dabei um das neue Bandprojekt der sehr geschätzten Alice Phoebe Lou handelt, aber der Genremix aus Jazz, Funk und Ambient fängt mich irgendwie nicht ein. Also wird sich mit einer amtlichen Portion Fish & Chips für den Abend gestärkt, denn der soll es in sich haben.

Er beginnt mit Manuel Bittorf und seiner Band alias Betterov, der sich in den letzten Jahren zu einer absolut festen Szenegröße gemausert hat. Das Debütalbum „Olympia“ war eigentlich gar kein „richtiges“ Debüt, weil schon die vorhergehende EP „Viertel vor irgendwas“ und Singles wie „Dussmann“ oder „Platz am Fenster“ längst jeder mitsingen konnte als die Platte im letzten Jahr erschien. Die Premiere bei einem von Deutschlands schönsten Festivals: Überfällig. Entsprechend euphorisch wird Betterovs Set gefeiert und wirklich jeder Song (inklusive der ganz frischen Single „Jil Sander Sun“) Wort für Wort mitgesungen, und für mich bleibt es dabei: Dieser düster-melancholische, aber gleichzeitig unglaublich extrovertierte und sehr tanzbare Post-Punk-Indie-Pop gehört zu dem attraktivsten, was man derzeit aus hiesigen Gefilden zu hören kriegt.

Nachdem der Hamburger Kneipenchor am Glitzerstand schon mal einen unverstärkten Vorgeschmack auf das am nächsten Tag folgende Konzert gibt, steht Mine mitsamt zwanzigköpfigem (!) Orchester auf der Bühne – auch ihre Shows sind immer absolute Highlights, eine „Pop-Rap-Revue“ nennt es das Appletree in den Liner Notes und das trifft es auf den Punkt, denn Mine hat inzwischen wirklich ein großes Repertoire an unvergesslichen Hits am Start – und bekommt nochmal extra Ovationen als sie plötzlich auch noch ihren Duettpartner auf Albumlänge, Fatoni, aus dem Hut zaubert. Biig Piig setzt auf der Waldbühne ihrem strangen Projektnamen einen sich stetig steigernden Mix aus Lo-Fi-Pop und Hip Hop entgegen, der zum Schluss restlos begeistert, während Frida Darko im Tiefen Holz mit einem wirklich wunderbaren DJ Set zeigt, warum diese ja auch erst ein Jahr alte Location so ein immenser Gewinn fürs Appletree Garden ist – alles tanzt, alles liebt, alles ist verschmolzen zu einer begeisternden, flowenden Masse und alles ist einfach Gefühl.

Dann wird es emotional, denn Bombay Bicycle Club, die bereits 2011 beim Appletree gespielt haben – es ist einfach über eine Dekade her! - sind nach Ewigkeiten wieder in Deutschland zurück, und dann auch noch hier, wo man sie so liebt wie vielleicht an wenigen Orten sonst. Das sind die Indie-Helden des Tages, im Herbst kommt endlich ein neues Album samt Tour, man wird sich wiedersehen und wieder gemeinsam schwelgen, es ist ein wunderbares Konzert, und als die Band „Always Like This“ anstimmt, singt das ganze Festival. Ein wirklich mehr als würdiger Abschluss des Tages.

Am Samstag hängt dann doch wieder ein großes Unwetter wie ein Damokles-Schwert über dem Gelände. Irgendwann wird es den Einbruch geben, das ist unbestreitbar. Aber bis dahin verbringt man ja die Zeit am allerbesten mit tanzen. Der Körper ist noch nicht müde, die Euphorie noch zu groß. Wer den gemütlichen Start will, begibt sich zum Gaga-Comedy-Pop-Programm von Luksan Wunder ins Zelt, die man unter anderem von ihren göttlichen „Korrekte Aussprache“-Videos und – ich für meinen Teil – von ihren noch göttlicheren Bad Lip Reading-Videos kennt, in denen Songs von AnnenMayKantereit, Juse Ju oder Bilderbuch plötzlich einen ganz neuen Anstrich bekommen. Und sofort wird auch der Geist wieder aufgeweckt. Genial.

Mit einem wunderbar lässigen Auftritt spielen sich am Nachmittag Donkey Kid (Alter, sind die jung!) in den Fokus. Das ist schon wirklich enorm versiert, Lo-Fi-Indiepop mit Slacker-Attitüde und einer Miniprise Wave für die genau richtige Portion 80s-Referenz – fertig ist eine der spannendsten Newcomer-Bands des Jahres. Der Hamburger Kneipenchor erlebt im Tiefen Holz, dass das Appletree Garden Chöre einfach liebt: Es ist kein Rasen mehr zu sehen, die Leute gehen unfassbar mit und plötzlich gibt es sogar einen Circle Pit, aber bei Hits wie „Livin‘ On A Prayer“ oder „As It Was“ kann halt auch jeder mitgehen, das ist ein Stück Ewigkeit, und kaum jemand hat sich als Interpret dieser Hymnen im Chorgewand so verdient gemacht wie diese großartigen Hamburger Jungs und Deerns, die ihr Glück sichtlich kaum fassen können.

Große Liebe und Sympathie dann für den wundervollen Lie Ning im Zelt mit einer queeren Soulpop-Revue von berückender Intensität. 2022 hatte der Berliner leider absagen müssen, dass es in diesem Jahr doch geklappt hat, dürfte jedem die Herzen geweitet haben, der dabei war. Zum Glück ist es vom Zelt nicht weit bis zur Hauptbühne, denn dort warten Warhaus, deren Sänger Marten Devoldere durch seine Band Balthazar ja ein gern gesehener Gast im Apfelbaumgarten ist. Seine wunderbar kunstvoll leichten, melancholiegetränkten Indiepop-Songs sind wie immer wundervoll anzuhören. Wiedersehensfreude par excellence.

Es folgt das große Donnerwetter und mittendrin das famose Abschiedsdoppel aus der immer wieder sehenswerten Crucchi Gang um Alleskönner Francesco Wilking (Tele, Die höchste Eisenbahn, etliche Beiträge zu den Unter meinem Bett-Kinderlieder-Samplern und ganz frisch mit dem Projekt Artur & Vanessa am Start), die mit einer ganzen Schar illustrer Gäste allseits ans Herz gewachsene Indiepop-Hymnen so hochsympathisch in den Italopop überführt, das man wirklich nicht anders kann als übers ganze Gesicht zu strahlen und sich trotz Regen wie auf einer Sommerwolke zu fühlen, den Aperol Spritz in der Hand, selbstverständlich.

Und dann sind da natürlich noch die famosen Von Wegen Lisbeth, genau wie Bilderbuch eine dieser Bands die einfach an diesen Ort passen wie Eis am Stiel zum Hochsommer. Da steht exakt überhaupt gar keiner mehr still, das bedeutet einfach Hits, Hits und nochmal Hits, und live ist diese Band sowieso eine Wucht und eine Wonne. So viel Spielfreude, so viel Energie, es ist ein perfektes Abschlusskonzert (für die, die nicht noch im Tiefen Holz oder an der Oase die Nacht zum Tag machen), das beseelt und glücklich macht. Noch ein, zwei, drei letzte Kaltgetränke zwischen geliebten Menschen, noch ein bisschen treiben lassen durch die kunterbunte Dunkelheit im Apfelbaumgarten, und dann, ja dann ist es wieder vorbei. Unglaublich, wie schnell das immer geht.

Nachdem die Trecker der umliegenden Landwirte am Sonntag ihr möglichstes getan haben um die Heimreise nicht zu einer zentnerschweren Hängepartie zu machen (DANKE dass es euch gibt, Leute!!!), man die Gummistiefel gespült hat und die erste Waschmaschine voller Matschklamotten rotiert, ist das Gefühl aber immer noch da. Leuchtet es in allen Farben, sobald man die Augen schließt. Rauscht es noch immer in den Ohren von so viel wunderbarer Musik. Spürt man die Wärme der Umarmungen noch an seinem ganzen Körper.

An das Appletree Garden 2023 wird man sich aus mehreren Gründen erinnern. Zum einen, weil man wieder mal gemerkt hat, dass es einer der schönsten Plätze des Sommers ist. Die Lampenschirme, die Lichterketten, die Lampions, die Blumen: Über all das spricht man Jahr für Jahr wieder und jedes Jahr wieder überwältigt es einen. Man wird sich erinnern, wie hingebungsvoll einfach jedes Mitglied dieser Crew alles dafür getan hat, dass dieses Wochenende so reibungslos und unanstrengend wie möglich für jeden einzelnen besuchenden Menschen geschehen kann. Und ich habe niemanden gesehen, wirklich niemanden, den das nicht berührt und beeindruckt hat. Ich habe es eingangs schon erwähnt, aber ich sage es noch hunderte Male: Unsere Dankbarkeit für euren Einsatz ist unermesslich.

Ich werde mich auch im nächsten Jahr, wenn mir wieder so vieles aus dem Lineup auf den ersten Blick fremd und unbekannt erscheint, daran erinnern, mit wie viel Liebe zum Detail hier die Künstler*innen und Bands gebucht werden, um ein wunderschönes großes Ganzes zu kreieren und Situationen geschaffen werden, die vielleicht an anderen Plätzen so nicht funktionieren würden. Und ich werde auch im nächsten Jahr wieder früh aufstehen, um zu erleben, welche musikalischen Geschenke mir hier wieder gemacht werden, an die ich noch lange denken werde.

Ich werde mich daran erinnern, wie gerade in diesen Festival-Extremsituationen eine Gemeinschaft und ein Zusammenhalt auf diesem Festival entstehen, die ihresgleichen suchen. Und ich habe zum ersten Mal an diesem Ort so richtig wahrgenommen, wie überwältigt auch die Bands und Künstler*innen davon waren. Wenn nichts selbstverständlich ist, hat die Liebe ein umso größeres Gewicht. Und dieses Gefühl hat jeden übermannt, der an diesem ersten Augustwochenende in Diepholz dabei war, als wirklich gar nichts mehr normal war im Festivalsommer.

Und es hinterlässt bei mir die tiefste Gewissheit: Wenn Festivals dieser bessere Ort sind, an dem die Schlechtigkeit der wütenden Welt keinen Zutritt hat, an denen die Utopie von Märchenhaftigkeit, Staunen, Feiern und Freiheit Bestand hat, dann bleibt dieses Festival eines, an dem man sich immer und immer wieder, Jahr für Jahr, der Tatsache vergewissern sollte, dass das Leben doch schön ist.

 

Text: Kristof Beuthner