Die Tage werden länger. Und wärmer. Die Herzen werden weiter. Und ebenfalls wärmer. Es wird Zeit, sich selbige endlich wieder mit dem Schönsten der Welt zu vertreiben: Musik. Vor der Bühne, auf der Bühne. Mittendrin im wundervollen Trubel eines neuen Festivalsommers. Welche Herzensangelegenheit könnte zu Beginn schöner sein als das Orange Blossom Special, das nun endlich auch seine bestmögliche Beschreibung im Jahresmotto trägt?
Egal wen rund um die Glitterhouse-Crew ich dieser Tage spreche, egal welche langjährigen Weggefährten ich nach ihrer Gefühlslage frage, die Antwort ist die gleiche: Das Pfingstwochenende in Beverungen erleuchtet das Mindset wie eine aufgehende Sonne, die den noch schwach nachtgrauen Himmel langsam aber stetig glutrot färbt. Das Einbiegen in den Grünen Weg, die in weiser Voraussicht einer abermals seelenstreichelnden Zeit bereits früh gen Glitterhouse-Villa pilgernden Menschen, das satte Grün des Weserberglands als Kulisse für den sich rasch füllenden Zeltplatz am Fluss: Das sind Bilder, die für manche seit langer, für andere seit weniger langer Zeit Zuhause und Familie bedeuten. Ein zweites Zuhause, eine zweite Familie. Vielleicht sogar Ersatz für beides, so pathetisch das immer wieder klingen mag. Und auch ohne Pathos: Wer schon mal beim Orange Blossom Special Festival zu Gast war, wird sich mindestens auf den Begriff einigen können, der in diesem Jahr (endlich!?) Motto des 2024er Pfingstwochenendes ist: Herzensangelegenheit.
Nicht mehr und nicht weniger ist es. Das Wiedersehen mit Freunden, die man zum Teil nur einmal im Jahr (und zwar hier!) trifft; der Spirit von Freundschaft und Liebe für die liebgewonnene Sache, die sich von Crew und Staff lückenlos auf die Menschen vor der Bühne überträgt, das wieder einmal liebevoll kuratierte Lineup: All das verspricht drei Tage Auftanken für die Bereiche des Herzens, die seit Pfingsten 2023 durch die Widrigkeiten der Welt ausgezehrt wurden. Aufladen an dem Zusammensein, das so ausnahmslos ohne „doofe Menschen, die irgendjemandem den Tag kaputt machen“ auskommt, wie es aus den Reihen der Tiny Wolves kürzlich so treffend zusammengefasst wurde. Für manche das Gefühl, wenigstens hier, an diesem Ort, akzeptiert und genau richtig zu sein. Ach, das Pathos, da ist es wieder, aber was stimmt, stimmt nun mal.
Voller Highlights und Preziosen steckt das Lineup in diesem Jahr, vielleicht ist es das beste seit immer. Besonders sehnlich erwartet wird etwa die Rückkehr von The Slow Show am Sonntagabend, die 2015 zu gleicher Zeit an selber Stelle mit ihrem hochemotionalen Sakral-Slow-Indiepop für einen der größten OBS-Momente der Geschichte sorgten. Aber auch die Shows von den Indie-Helden Muff Potter, dem wundervollen Americana-Trio William The Conqueror oder die schmerzerfüllte Intensität der dänisch-färöischen Sängerin Brimheim haben vollstes Potenzial, sich nachhaltig als leuchtende Kerzenflamme im inneren Wohnzimmer der Konzert-Hall of Fame zu manifestieren.
Wie stark das 2023er-OBS noch nachstrahlt sieht man daran, dass Ivan Carvalho aka Afrodiziac, der mit seinem unbeschreiblich spektakulären Rocksound im vergangenen Jahr der große Gewinner der Minibühne war, 2024 sein schnelles Comeback auf der „großen Bühne“ feiert. Oder dass Loki, dieses wunderbare, an kleinen Hymnen so reiche Folk-Indiepop-Oktett, das 2023 spontan für Malva einsprang und die Herzen im Sturm nahm, die Chance bekommt, dass die Menschen sich nun auch wirklich so richtig auf sie freuen dürfen. Und Malva selbst bekommt sozusagen ihre zweite Chance, herrlicherweise am gleichen Tag wie Loki, was in der Social Media von beiden bereits herzenswarm angemerkt wurde. Aus den vergangenen OBS-Jahren gibt es ein Wiedersehen mit dem Power-Grunge von Iedereen, die inzwischen zur labeleigenen Bandflotte gehören, oder den finnischen The Holy mit ihrem unwiderstehlich bombastischen Postpunk. Sönke Torpus alias Low Key Orchestra war bereits mit Torpus & The Art Director und als Teil der OVE-Band in Beverungen zu Gast, Tom Allan von False Lefty kennt man als eine Hälfte von Tom Allan & The Strangest. Und die allerechten Schreng Schreng & La La sind in Person von Jörkk Mechenbier (Trixsi, Love A) und Lasse Paulus sowieso Dauergast im Glitterhouse-Garten.
Dringend auf der Rechnung haben sollte man auch die Holländer von YIN YIN, die aus südostasiatischen Sounds und treibendem Psychedelic-Disco-Sound einen unheimlichen Sog kreieren (selbst getestet, hohe Dringlichkeit!) und Gorilla Club, die zwar vor allem als Band für „die Kleinen“ gebucht sind, aber dass man sich da ja nicht täuscht: Immerhin steckt die Kölner Indie-Institution Locas in Love hinter dem Projekt, und diese „Kinderlieder“ sind so unverkennbar Locas-Songs mit kindgerechten Texten, dass man sich ihrem Charme nicht entziehen kann. Da wünscht man sich sehr, dass Stefanie Schrank, Björn Sonnenberg und Co mit ihrer „Hauptband“ am Sonntag den obligatorischen Surprise Act stellen, denn diese Wundertüte, die die OBS-Crowd am letzten Festivaltag den Holy Ground bereits um 11:30 füllen lässt wie zum abendlichen Headliner, ist natürlich auch wieder mit von der Partie. Und wer das gelesene Wort goutiert, dem sei wärmstens die Lesung des großartigen Dirk Gieselmann ans Herz gelegt, der sein aktuelles Werk „Pearl Jam, oder: Du sollst keine gute Laune haben“ vorstellt. Das ist höchst unterhaltsam, schaut euch das an!
Auch wenn ich nicht auf jeden einzelnen der weiteren Namen eingehe um diese Vorschau nicht auf Review-Niveau aufzublasen: Sie alle sind sehenswert. Ob Lucy Kruger & The Lost Boys, Gurriers, Hotwax, Marlo Grosshardt oder Stina Holmquist: All killer, no filler. Wann ich an diesem Wochenende mal was essen soll, ist mir Stand jetzt noch ein Rätsel.
Überraschenderweise gibt es sogar noch Tickets fürs Orange Blossom Special 2024, ihr könnt sie über das Höme-Magazin bestellen und euch ausdrucken, und wie im letzten Jahr stehen auch wieder die sogenannten „Sozial-Tickets“, finanziert durch einen Soli-Topf generöser Besteller*innen, zu ordentlich vergünstigten Preisen zur Verfügung, was eine tolle Geschichte ist. Am Wochenende selbst wird es dann aller Voraussicht nach auch für jeden der drei Festivaltage Tagestickets an der Kasse geben.
Es bleibt nichts mehr zu sagen, es bleibt sich nur zu freuen. Auf eines der besten Wochenenden im ganzen Jahr und all die Dinge, die das mit sich bringt.
Ich habe Lust auf Mini-Calzone.
Timetable:
Freitag, 17. Mai:
16:30 – 17:20 Mina Richman
17:45 – 18:40 Hotwax
18:40 – 19:05 Stina Holmquist (Minibühne)
19:15 – 20:15 YIN YIN
20:15 – 20:40 Stina Holmquist (Minibühne)
20:45 – 22:05 Muff Potter
22:40 – 23:50 Lucy Kruger & The Lost Boys
Walking Act: Low Key Orchestra
Samstag, 18. Mai:
11:30 – 12:20 Malva
12:45 – 13:45 ZAHN
13:30 – 14:15 Dirk Gieselmann (Lesung, Lesebühne)
13:45 – 14:10 Gorilla Club (Minibühne)
14:15 – 15:15 Annie Taylor
15:15 – 15:45 Gorilla Club (Minibühne)
15:50 – 16:55 Brimheim
17:25 – 18:35 William The Conqueror
18:35 – 19:00 False Lefty (Minibühne)
19:05 – 20:05 Gurriers
20:05 – 20:35 False Lefty (Minibühne)
20:45 – 21:55 Catt
22:35 – 23:50 The Holy
Walking Act: Schreng Schreng & La La
Sonntag, 19. Mai:
11:30 – 12:45 Surprise Act
13:15 – 14:05 Marlo Grosshardt
14:00 – 15:00 Schreng Schreng & La La (Lesung, Lesebühne)
14:30 – 15:30 Afrodiziac
15:30 – 15:55 Sylvan Weekends (Minibühne)
16:00 – 17:00 Brockhoff
17:00 – 17:25 Sylvan Weekends (Minibühne)
17:25 – 18:25 Iedereen
19:10 – 20:20 Loki
20:50 – 21:50 Coach Party
22:35 – 23:50 The Slow Show
Walking Act: Florry
Text: Kristof Beuthner
Foto: Dennis Schinner