Neuigkeiten 15.09.2016

Overkill und Entdeckungsreise: Mit Nillson zum Reeperbahn Festival 2016

Der Kopf rotiert schon mächtig, die Finger qualmen vom App-Programmieren, und selbst die analoge Liste bringt nur zermarterte Gehirne, verfluchte Uhren und wenig Licht ins Dunkel: Jawohl, liebe Freunde, es ist wieder Reeperbahn Festival.

Und das ist natürlich gar nicht so schlimm, wie das jetzt klingt, im Gegenteil. Das Reeperbahn Festival in Hamburg, das dieses Jahr vom 21. bis zum 24. September stattfindet, ist immerhin der offizielle Übergang von der Festival- in die neue Indoor-Saison, und nirgendwo kann man diesen besser begehen als in der schönsten Stadt Deutschlands. Aber das heißt selbstverständlich auch: Vier Tage lang die Qual der Wahl haben, sich nicht entscheiden können, mit dem Wissen leben, dass man gerade wahrscheinlich den nächsten heißen Scheiss verpasst während man den nächsten heißen Scheiss anschaut - oder einfach nur mit alten Bekannten auf ein Bier am Spielbudenplatz verweilt, lange liebgehabte Bands zum xten Mal sieht oder sich einfach über den weltberühmten Kiez treiben lässt, an dem ja bekanntlich das Wochenendleben auch nicht still steht, bloß weil zufällig Festival ist.

Das Reeperbahn Festival ist Stadtpanorama, Entdeckerbörse, Familientreffen, Networkingparadies und so viel mehr. Eine ganze Meile voller Clubs, mehrere hundert Bands und Musiker, von kukuun über Mojo und Docks bis hin zur St. Michaelis-Kirche (kurz: Michel) das volle Programm an angenehmstem Overkill. Wir freuen uns riesig.

Nicht, ohne auch ein Tränchen zu vergießen für die dahingeschiedene Hasenschaukel, die auf so traditionell herrliche Weise in der Silbersackstraße das Festival am Mittwoch Jahr für Jahr auf einen vielversprechenden Weg brachte. Ich glaube, nur über wenige Konzerte habe ich auf Nillson.de so viel gesprochen wie über das von Heimatt im letzten Jahr. Da müssen wir nun also einfallsreich werden.

Das Aufgebot ist qualitativ wieder über jeden Zweifel erhaben und bietet so ziemlich alle vorstellbaren Genres, dringend ans Herz gelegt sei zum Beispiel die Neue Meister Labelnight, die im Resonanzraum mit Tamar Halperin & Guy Sternbergs Satie-Interpretationen, Arash Safaian in Zusammenarbeit mit der Jungen Norddeutschen Philharmonie die Werke von Johann Sebastian Bach ins Jetzt hebt, Sven Helbigs mit Sicherheit atemberaubender Live-Vorführung seines Experimental-Chor-Projekts „I Eat The Sun And Drink The Rain“ und Johannes Motschmanns dunkeldüsterer Berlin-Symphonie einen tollen Überblick über die aktuelle Neoklassik-Szene bietet. Hinzu kommen werden an dem Wochenende noch ein Auftritt des geliebten Denovali-Pianisten Carlos Cipa und als absolute Krönung die Weltpremiere von „Ballet Jeunesse“ im Imperial Theater, wo der Hamburger Musikproduzent Matthias Arfmann (u.a. Beginner) traditionelle Ballettstücke auf faszinierende Weise neu interpretiert.

Aber ich sagte ja nicht umsonst „Qual der Wahl“: Mit The Paper Kites, The Boxer Rebellion, den famosen schwedischen Postrockern von Ef und dem hochspannenden Emporkömmling Leoniden gibt es zeitgleich ein so bestechend starkes Alternativprogramm, dass einem schwindelig wird. Ach, Reeperbahn Festival. Wieso tust du uns das an?

Es gibt dann auch noch jede Menge internationaler Newcomer zu entdecken: Beim Urban Swiss Showcase im Sommersalon auf dem Spielbudenplatz gibt es mit Fai Baba, Laskaar und Me & Marie feinste Kost aus dem Nachbarland. Traditionell vertreten und ebenfalls ein Nachbar ist Holland; das Dutch Impact Showcase ist fast schon legendär. Unter anderem werden dort die Neo-Grunger von Bombay dabei sein, genau wie das gemeinsame Projekt der Sänger von Black Atlantic und I Am Oak, kurz Black Oak genannt. Überhaupt die Showcases: Danach sollte man sich an den Nachmittagen dringend umschauen. Nirgendwo bekommt man besser einen Überblick über das, was so auf unsere Ohren wartet, wie in den halbstündigen Stelldicheins der Bands aus Kanada, Dänemark oder Österreich.

Ja und dann gibt es da natürlich noch die ganz persönlichen Highlights: Das Glitterhouse-Aushängeschild Blaudzun, die wunderbaren Indie-Folker The Head & The Heart, die Berliner Supergroup Oum Shatt, bei denen Franz Ferdinand-Britpop auf orientalische Elemente trifft und die uns vor zwei Jahren im Vereinsheim St. Pauli schon sprachlos zurückließen und an diesem Wochenende gleich zweimal, in der Prinzenbar und dem Grünen Jäger, auftreten dürfen.

Tolle und vielversprechende Newcomer haben wir natürlich auch schon gecastet und platzen vor Spannung auf die Auftritte der großartigen Brit-Indie-Punks von Dead!, dem dancy Schmiss von Venom Is Bliss, dem lärmigen, aber tatsächlich gitarrenlosen Bubblegum-Punk der Finnen mit dem grandiosen Namen Have You Ever Seen The Jane Fonda Aerobic VHS?, den Kanadiern von Shred Kelly, die mit „Mumford & Sons in richtig gut“ äußerst treffend beschrieben sind, und, und, und. Einen tollen Abschluss am Samstagabend dürften die Briten von Moose Blood mit ihrem herrlich poppigen Indie-Emo-Punk liefern; das sollte in einer Liga mit Heyrocco spielen, die uns letztes Jahr das Festival nach Hause brachten und an die wir heute noch gern denken.

Abschluss am Samstag? Na ja - dann sind da ja noch die alten Helden. Denn plötzlich, als wir gerade mit Zeitplanzusammenstellen fertig waren, tauchten auf einmal noch die geliebten The Slow Show im Lineup auf, die als absolutes Midnight Special um 1.00 morgens im Imperial Theater in Trio-Besetzung einen exklusiven Einblick in das eine Woche später erscheinende und heiß erwartete zweite Album „Dream Darling“ geben werden. Noch mehr alte Helden? Klar, am laufenden Band! Get Well Soon sind eh über jeden Zweifel erhaben, Sophia und die Villagers dürften mit ihren Konzerten für magische Momente in der St. Michaelis-Kirche sorgen, und Friska Viljor haben in der Großen Freiheit 36 quasi Heimspiel.

Ja, Leute, ihr seht das schon - leicht wird es nicht. Aber das macht natürlich auch den Spaß aus beim Reeperbahn Festival. Das Planen, das eh nie aufgeht; die Entdeckungen, mit denen niemand gerechnet hat, weil man eher zufällig irgendwo reingestolpert ist; die Stimmung; die vielen Menschen, die man lange nicht gesehen hat. Wir sind überzeugt: Das wird ein denkwürdiges Wochenende werden.

Und weil wir ja nicht so sind, geben wir euch einen kleinen Laufplan an die Hand, der nicht mehr sein soll als eine dezente Orientierungshilfe. Ihr habt noch sechs Tage Zeit. Nutzt sie gut! Wir sehen uns da!

Mittwoch, 21.9.2016

20:00 - 20:30, Spielbude: Dirty Old Town
(Alternative-Country-Folk aus Dänemark)
20:40 - 21:20, Docks: Blossoms
(schön schnöseliger Britpop mit Glamfaktor)
21:30 - 22:10, Häcken: Inner Tongue
(Drama-Pop aus Österreich, u.a. Support für Get Well Soon)
22:30 - 23:00, Spielbude: Shred Kelly
(Mumford & Sons in gut, erzählt man sich. Kanadier!)
23:45 - 00:30, Prinzenbar: Oum Shatt
(Franz Ferdinand macht Urlaub im Orient. Gnadenloser Tipp!)

Donnerstag, 22.9.2016

15:30 - 16:00, Molotow: Bombay
(schön lärmiger Neo-Grunge aus Holland)
16:30 - 17:00, Molotow: Black Oak
(filigrane Folk-Songwriter-Harmonieseligkeit, halb Black Atlantic, halb I Am Oak)
17:00 - 17:30, Kukuun: Shred Kelly
(für die, die’s Mittwoch verpasst haben)
18:00 - 18:30, Kukuun: Scenic Route To Alaska
(Indie-Folk-Rock aus Kanada. Kann nicht schief gehen)
20:10 - 20:50, Kaiserkeller: Giant Rooks
(unverschämt junge Band zwischen Arcade Fire und Alt_J)
21:00 - 21:40, Prinzenbar: Der Ringer
(deutschsprachiger Avantgarde-Indie-Pop. Toll!)
22:25 - 23:05, Molotow: YAK
(Krach! Yeah! Rock!)
23:10 - 00:10, St. Pauli Kirche: Black Oak
(darf man nochmal schauen, vor allem in der tollen St. Pauli-Kirche!)

Freitag, 23.9.2016:

ab 13:00, Lattenplatz am Knust: Garage Sale
(Schnäppchen und Schnacks mit unseren Lieblingslabels, Pflichtprogramm!)
14:15 - 14:45, Sommersalon: Fai Baba
(großer Bluesrock in Duo-Besetzung)
15:30 - 16:00, Sommersalon: Laskaar
(herzerwärmender Elektronik-Soul)
16:45 - 17:15, Sommersalon: Me & Marie
(schöner Indie-Songwriter-Pop aus der Schweiz)
20:00 - 20:45, Resonanzraum: Tamar Halperin
(Bach-Interpretationen, traumhaft grandios)
21:00 - 21:50, Knust: The Boxer Rebellion
(Melancholie und genau die richtige Prise Pathos im Shoegaze-Indie-Pop)
22:30 - 23:30, Knust: The Paper Kites
(betörend schöner Folk, kein Innovationspreis, aber ohrenschmeichelnd)
00:15 - 01:00, Bahnhof Pauli: Venom Is Bliss
(bis ins letzte Detail catchy Indiepop. Macht süchtig!)
01:00 - 01:30, Imperial Theater: The Slow Show
(majestätisch, edel, tieftraurig, riesengroß)

Samstag, 24.9.2016

14:45 - 15:15, Molotow Backyard: Lilly Among Clouds
(Frau am Piano, dramatisch, bildschön)
15:30 - 16:00, Molotow Backyard: FIL BO RIVA
(Songwriter, Weltenbummler, AnnenMayKantereit-Support)
17:00 - 17:30, Molotow Backyard: Warhaus
(Soloprojekt vom Balthazar-Sänger, düster und ganz famos)
17:30 - 18:00, Sommersalon: Have You Ever Seen The Jane Fonda Aerobic VHS?
(Bubblegum-Punk ohne Gitarre. Muss man sehen!)
20:20 - 21:00, Imperial Theater: Haux
(traumwandlerischer Synthie-Pop für Fans von RY X)
21:45 - 22:25, Molotow Sky Bar: Dead!
(Britrock mit Schlag ins Gesicht. Endlich!)
00:00 - 00:50, Terrace Hill: Moose Blood
(Ami-Emo-Powerpop aus Großbritannien)


Hier nochmal die harten Fakten:

Was? Reeperbahn Festival 2016
Wo? Hamburg, Reeperbahn (wie der Name schon sagt)
Wann? 21.-24. September 2016
Wieviel? Tickets gibt’s noch auf www.reeperbahnfestival.de, und das geht so: Ein-Tages-Tickets (Mittwoch 25 Euro, Donnerstag 35 Euro, Freitag 40 Euro, Samstag 45 Euro), Zwei-Tages-Ticket Freitag und Samstag 72 Euro, Drei-Tages-Ticket Donnerstag, Freitag, Samstag 82 Euro, Vier-Tages-Ticket 92 Euro.
Mit wem: Schwer bis unmöglich, das alles aufzuzählen. Checkt die Homepage für mehr Info!


Text: Kristof Beuthner