Wenn du mit 19 deine erste EP rausbringst, ist es auch nicht beachtlich, dass du im Alter von 40 Jahren schon auf sechs Alben-Releases kommst. „All These Things“ ist demnach schon das siebte Vollwerk des Norwegers Thomas Dybdahl, und es ist schön, dass er immer noch etwas zu sagen hat.
Wenn man nämlich kurz vor der 40 steht, also wieder mal vor einer runden Zahl, dann ist es zum zweiten Mal Zeit, Bilanz zu ziehen (mit 10 ist man noch zu jung und mit 20 wahrscheinlich auf irgendeiner Studi-Party und einem gehört die Welt). Die 30 markiert da schon einen heiklen Punkt und das Altwerden lauert bedrohlich am Horizont. Aber 40? So alt habe ich mir nie vorgestellt, überhaupt werden zu können, und habe dafür auch noch ein wenig Zeit, aber Thomas Dybdahl stellt für sich fest, dass die Zeit bis dahin scheinbar wie im Flug vergangen ist, mehr noch, dass sein Leben womöglich genau jetzt halb vorbei ist. Und da kann man sie schon mal Revue passieren lassen, all die richtigen und falschen und ambivalenten Entscheidungen, die man getroffen hat und die einen an genau den Punkt gebracht haben, an dem man gerade steht, und darüber kann man sehr glücklich sein - wie Dybdahl zum Beispiel darüber, dass er Papa ist - oder das heulende Elend kriegen, weil so viele Dinge einfach nicht revidierbar sind und sich nicht wie materieller Ballast einfach abwerfen lässt, wenn er einem zu viel wird.
Ist „All These Things“ nun also eine Midlife-Crisis-Platte geworden? Nun ja: Sie klingt definitiv sehr erwachsen und reif, natürlich auch sehr nachdenklich, aber nicht unbedingt nach Krise. Thomas Dybdahl hat sich dafür mit einem illustren Kreis sehr versierter Musiker, unter anderem aus dem Umfeld von Tracy Chapman, Springsteen, Paul Simon oder Sheryl Crow, umgeben, die mit relaxten Percussions, Pedal Steel, Mandoline, Hammond-Orgel und anderen instrumentalen Preziosen den neun Songs ein überaus edles Gewand verleihen. Die Finesse von Dybdahls Band weckt nach den ersten Tönen des Openers (zugleich der Titeltrack) kurz den Verdacht, es könnte sich bei „All These Things“ um eine Mucker-Platte handeln, doch das Herz sieht ganz klar über die technische Brillanz. Die zeitlosen Arrangements von Songs wie „Can I Have It All“ oder „Look At What We’ve Done“, die irgendwo zwischen Songwriter-Folk, samtschwarzem Blues und dezentem Jazz mäandern, sind ein idealer und zeitgemäßer Rahmen für die logischerweise eben auch nicht mehr jugendlichen Gedankenwelten eines sehr ehrlichen, sich offen hinterfragenden Künstlers, dem es einmal mehr gelingt, trotz seiner mal falsettierten, mal gehauchten Vocals eine ungeheuer intensive Präsenz in seinen Songs auszustrahlen. Auf „When I Go“ hat er sich dann auch noch die Folk-Sängerin Lera Lynn dazu geladen, die man vielleicht von einigen Auftritten aus der Serie „True Detective“ kennt (ich nicht), auch das ist ein wunderschönes und wahrhaftiges Stück, das vom Lieben und Loslassen handelt - ja, möglicherweise steckt in diesen Songs dann doch die Krise im Älterwerden Thomas Dybdahls, aber sei’s drum. „All These Things“ ist klanglich ein sehr zurückgelehntes und entspanntes Album geworden, trotz der schweren thematischen Tragweite; es ist eine Platte, die in die Nacht gehört, wenn man nicht schlafen kann, weil sich der Kopf dreht und man dringend einen Anker sucht, von dem aus man mit sicherem Boden unter den Füßen in die nächste aufregende Phase seines Lebens starten kann; ein Album für den einsamen Hocker an der Bar zwischen Zigarettenrauch und einem guten Wein oder den verlorenen Blick aus dem Fenster ins Dunkel.
Text: Kristof Beuthner